Jimmy Page – Denkmal-Schutz
Erst Plant, jetzt Page - die pensionierten Led Zep-Piloten kratzen die Spinngewebe von ihrem legendären Luftschiff. Zusammenfliegen will man zwar nicht mehr, doch die Solo-Routen kreuzen sich. Sylvie Simmons sprach mit dem Gitarren-Denkmal.
Led Zeppelin erging es in der Musikwelt wie Trotzki in der Sowjetunion: Man wurde rehabilitiert. Die Denkmäler wurden aus den Lagerhallen geholt und von Verehrern bestaunt. Sogar John Lydon, früher Zeppelins ärgster Feind, wandte sich persönlich an Robert Plant, um den „Kashmir“-Text zu kriegen. Ihm folgten die trendbewußten Riff-Klauer, die Grufties und natürlich auch die Musikpresse.
Im Heavy Metal läuft’s sowieso wie eh und je: Junge Männer machen Zeppelin vorm Schlafzimmerspiegel nach, alte Männer (Whitesnake, Kingdom Come) auf Platte, und ein US-Radiosender spielt nichts als Led Zeppelin und betet für eine Wiedervereinigung.
Befristete Wiedervereinigungen hat’s in letzter Zeit sogar schon gegeben: erst bei Live Aid, dann bei der Geburtstagsfeier für Atlantic Records (statt seines verstorbenen Vaters John saß Jason Bonham am Schlagzeug), außerdem tauchte Jimmy Page auf Plants letztem Solo-Album auf, und Plant gab das Kompliment auf Pages Album zurück.
„Live Aid war toll“, erklärte mir Robert Plant kürzlich, „aber wir waren schrecklich. Alles, was ich an Zeppelin gehaßt habe, war auf einmal wieder da: wie ein Hund, der kopflos seinem eigenen Schwanz hinterherrennt. Unser Roadmanager hatte Page seine Gitarre gegeben, und sie war völlig verstimmt, weil er sie zehn Jahre nicht aus dem Koffer genommen hatte. Außerdem waren die Kabel nicht lang genug also stakste er in der Ecke um, während ich versuchte, vorn an die Bühne zu kommen… ein Witz!
Die Vorstellung, sowas jeden Abend zu machen, gehört wahrscheinlich zu den am wenigsten erstrebenswerten Dingen, die ich mir vorstellen kann. Mit Jimmy live zu arbeiten, wäre ungefähr so wie eine Ex-Frau wiederzutreffen, mit ihr ins Bett zu gehen, aber nicht miteinander zu schlafen. „
Plant hat eine Band aus Rock-Youngstern zusammengestellt und tourt mit einem zeitgemäßen Album im Gepäck; Zep-Bassist John Paul Jones hat mit The Mission gespielt; Page scharte dagegen einen Haufen Musiker-Veteranen um sich u.a. die Sänger Chris Farlowe und John Miles – und veröffentlichte ein angestaubtes Blues Jam-Album namens OUTRIDER. Mit seiner Band – John Miles singt, Jason Bonham trommelt – ist er gerade in Amerika unterwegs, auf seiner ersten Solo-Tour! So nervös wie jetzt war er nie; erst kurz vor dem ME/Sounds-Interview wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, wo er sich wegen Magenbeschwerden untersuchen ließ.
Bei seinem seltsamen Ruf (nachzulesen in der Zeppelin-Biografie „Hammer Of The Gods“) und nach allem, was mir Insider über sein Benehmen während der Proben in London erzählt hatten, war ich auf einen völlig abgespaceten Jimmy Page gefaßt. Stattdessen überraschte er mich als ausnehmend umgänglicher Zeitgenosse, der allerdings entweder entsetzlich schüchtern oder pathologisch vorsichtig ist.
Dieses Album, so sagt er, „wollte ich mir schon lange von der Seele spielen. Man kann es wohl wirklich als eine Art Jam Session bezeichnen, denn bis auf eine Nummer ist alles andere erst spontan im Studio entstanden.“
Und die Tour „ist eigentlich eine Chronologie: Das Material fängt mit meiner Yardbirds-Zeit an und geht durch sämtliche verschiedene Stile.“
Meine Informanten sprachen von insgesamt vier Zeppelin-Songs plus einem Medley aus Zeppelin-Riffs („Nein, ich spiele keine Medleys alter Hits! Das überlasse ich denen, die nach Las Vegas wollen!“), inklusive dem guten alten „Stairway To Heaven“.
„Allerdings als Instrumental-Version, die habe ich aber früher auch schon gebracht. Zu ‚Stairway‘ habe ich damals nur die Musik geschrieben – und mehr werde ich auch nicht spielen. „
„Stairway To Heaven“ ist immer noch die Nummer eins auf sämtlichen Coverversion-Listen. „Es ist ein großes Kompliment“, nickt Page, „wenn etwas, das du mal ausgeheckt hast, dem Zahn der Zeit so lange standhält – ganz egal ob’s die Leute im Schlafzimmer spielen oder andere es klauen und auf Platten pressen!“
Aber was Kingdom Come – um die offensichtlichsten zu nennen – mit Led Zeppelin gemacht haben, unterscheidet sich doch sicher nicht sonderlich von dem, was Zeppelin auf ihren ersten Alben mit alten Blues-Musikern gemacht haben?
„Naja“, meint Page, „ich habe mich anfangs natürlich von einer ganzen Menge Gitarristen beeinflussen lassen – von James Burton, Scotty Moore, Chuck Bern: Aber ich habe daraus meinen eigenen Stil entwickelt.“
Dasselbe haben mir Kmgdom Come auch erzählt.
„Vergleich doch mal, Get It On‘ und ‚Kashmir‘, entgegnet Page, schon ein wenig ungeduldiger. „‚Kashmir‘ war derart neuartig, daß jedem klar sein muß, daß, Get It On‘ total geklaut ist. Hier geht’s nicht bloß um ein Chuck Berry-Riff! Außerdem hat mir irgendwer erzählt, ihr Gitarrist habe gesagt, daß er früher nie etwas von mir gehört habe. Wie kann einer als Rock’n’Roll-Gitarrist groß werden, ohne je was von Led Zeppelin gehört zu haben?
Was die Live Aid-Reunion angeht, schließt sich Page Robert Plants Einschätzung an: „Schrecklich“. Und Zeppelins Auftritt beim Atlantik-Geburtstag fand er kaum geglückter, obwohl sie gehofft hatten, es besser zu machen als beim ersten Mal.
An die alten Led Zeppelin hat er im Grunde nur gute Erinnerungen. Nach dem Ende der Gruppe, das damals mit Bonhams Tod zusammenfiel, hätte er beinah die Gitarre an den Nagel gehängt. „Das war eine so niederschmetternde Erfahrung: Ich hatte einen guten Freund verloren und wollte einfach keine Gitarre mehr sehen, weil dann alles wieder hochkam.“
Kein Wunder, daß ihn auch die Vorstellung einer Komplett-Wiedervereinigung nicht sonderlich reizen kann. „Wenn das hätte passieren sollen, dann wäre es längst passiert, und nicht bloß, weil Robert und ich wieder zusammen rumhängen.“ Für Plant ist „die Kombination von Persönlichkeiten nicht mehr da. Es macht keinen Spaß mehr.“
„Das hat Roben gesagt, nicht ich“, meint Page dazu. „Ich nehme an, da spielt seine Solo-Karriere eine Rolle. „
Ungeachtet dessen, was wir vielleicht denken, findet Page, daß er nie „weg vom Fenster“ war. Bloß „nicht im Rampenlicht“. Er hat sich einige Konzerte angeschaut seinen alten Freund Clapton z.B., den er „brilliant“ findet (dasselbe Wort benutzt er auch für Jeff Beck, bloß mit Lob für Plants Sachen ist er vorsichtiger). Was hält er eigentlich für die größte Fehleinschätzung seiner Person?
„Ich weiß nicht, wie man mich einschätzt.“
Dann lies „Hammer Of The Gods“. Page lacht. „Es kommt ganz darauf an, an was für einem Tag du mich erwischst. Wo Rauch ist, ist natürlich auch Feuer.“ Nach der Tournee wird er die jetzige Band auflösen und an einem Album arbeiten, „das völlig anders wird als das letzte. „
Wenn er morgen als Teenager aufwachen würde: Würde er dann alles nochmal genauso machen?
„Ich weiß nicht, ob ich gern mit Rock’n’Roll zu tun hätte, jetzt wo es AIDS gibt“, lacht er. „Eigentlich bin ich zufrieden, so wie ich bin.“