Jimi Hendrix
Viele sind überzeugt, daß die Geschichte des Jimi Hendrix eine Tragödie ist. Entweder sein Leben oder sein Tod waren eine Tragödie. Aber sie erscheint mehr als eine Tragödie der Irrtümer und des Mißverständnisses, der Torheit und des Mangels an Kommunikation. Jimi war keine tragische Figur." So beginnt der ' Journalist Chris Welch seine 1972 veröffentlichte Biografie über Jimi Hendrix. Welch's Sätze sind bemerkenswert, weil sie den Wust der Legenden und Histörchen über Hendrix beiseite legen und das Augenmerk auf die schlichte Tatsache richten: "Jimi war keine tragische Figur.
In der Tat, erst Produzenten und Plattenmanager, Presseleute und Posterhersteller und nicht zuletzt wir selbst, die Rockfans, haben aus Hendrix jenen tragischen Helden konstruiert, der er zu Lebzeiten nicht war. Mit verklärtem Blick und wissendem Kopfnicken reagieren viele Rockfreunde bei Nennung des Namens Jimi Hendrix. Alle anderen ähnlich wichtigen Rockgrößen treten in den Hintergrund, wenn die Reminiszenzen zu Jimi schweifen. Übersehen wird dabei, daß es trotz Hendrix‘ Erfindungen mit der Gitarre noch weitere Gitarristen gab, die entweder genauso innovativ wirkten, etwa Jeff Beck, oder technisch wohl besser waren, etwa Eric Clapton. Daß Hendrix lediglich drei Alben veröffentlichte, die den Namen „Meilenstein“ verdienen: „Are You Experienced?“, „Axis: Bold As Love“ und natürlich „Electric Ladyland“. Daß zwar Hendrix das Feedback zum Stilmittel erhoben hat, Pete Townshend und die Who die Rückkoppelung jedoch schon Jahre vorher (in „Anyway, Anyhow, Anywhere“) integriert hatten. Dali Hendrix als Sexsymbol gefeiert wurde, obwohl etwa Jim Morrison dabei mindestens ebenso viel bot. Kurzum, Jimi Hendrix war nicht der, sondern bloß einer der Größten. Alles andere ist posthumes Glitter und Gloria.
Die englische Leichtgewichts-Sängerin Petula Clark meinte 1967 im „Melody Maker“: „Jimi Hendrix ist eine riesige Täuschung“. Und auch Nick Cohn schrieb: „Er war nur Image, dieser Hendrix“, obwohl der bissige Schreiber auch lobende Worte über den Gitarristen fand. Richtig ist, daß Hendrix, als er um die Jahreswende 1966/67 die ersten Auftritte mit seiner Experience in London absolvierte, zunächst weniger durch Musik, sondern eher durch sein Aussehen und seine ekstatischen Gebärden auffiel. Die Branche war derart überrascht von diesem Symbol des „wilden Mannes an sich“, daß sich selbst die Stars vor der Bühne der Clubs drängelten, um nur ja nichts zu verpassen. Und Hendrix‘ Manager Chas Chandler, Ex-Bassist der Animals, der Jimi aus Amerika nach England gebracht hatte, tat alles mögliche, um das Interesse noch anzuheizen.
Chandler hatte nach seinem Ausstieg bei den Animals neue Chancen als Geschäftsmann gesucht, war zur Entdeckung neuer Talente nach Amerika gereist und hatte dort von Keith Richard’s damaliger Freundin Linda Keith den Tip erhalten, sich einmal einen farbigen Gitarristen im „Cafe Wha“ in New Yorks Greenwich Village anzusehen. Es gelang Chandler relativ schnell, diesen James Marshall Hendrix, wie der Gitarrist hieß, zur Reise nach England zu überreden; am schwierigsten fiel noch, Hendrix zu bewegen, sich von seinen damaligen Mitspielern zu trennen, zumal Jimi gerade einen talentierten Gitarristen namens Randy California in seine Band einbauen wollte. Chandler wollte jedoch nur Jimi, so daß California auf der Strecke blieb, im Jahre darauf allerdings Spirit gründete – was ja auch einiges wert war.
Chandler’s Pläne, Hendrix zum Riesenstar aufzubauen, fielen auf fruchtbaren Boden. Jimi wußte um seine vorzüglichen Fähigkeiten auf der Gitarre, die er bis dato nie recht hatte einsetzen können. Außerdem winkte natürlich das große Geld in England, ein umso stärkerer Reiz, als Hendrix in eher ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war.
Am 27.11.1942 war Jimi in Seattle im US-Staat Washington geboren worden. Vater James Allen Hendrix, ein Schwarzer, arbeitete als Gärtner, Mutter Lucille, eine Halbindianerin, war arbeitslos. Beiden wurde 1947 ein zweiter Sohn, Leon, geboren; als Lucille einige Jahre später starb, heiratete Mr. Hendrix ein zweites Mal, nun eine Japanerin, mit der er zwei Töchter zeugte. Diese ramilienverhältnisse zu kennen, ist wichtig: Als Hendrix später, 1968/69, mehrfach von der Black Panther-Bewegung und parallelen Vereinigung gedrängt wurde, sich öffentlich gegen die Rassendiskriminierung einzusetzen, lehnte er jedesmal ab. Nicht nur politisches Desinteresse wog dabei mit, sondern auch das Unvermögen, diese Diskriminierung nachzuempfinden. Jimi’s Familie war ja gerade ein Symbol der Vermischung verschiedener Rassen gewesen und als Star hat Jimi sowieso nie irgendwelche Diskriminierung empfunden. Im Gegenteil, seine teils negroide, teils indianische Abstammung wurde sogar als publicityträchtig vermarktet.
Mit 16 verließ Jimi die Schule, übte weiterhin Gitarre und ließ sich von B.B. King, Muddy Waters und Robert Johnson beeinflussen. In Amateurbands spielte er unter anderem Songs der Coasters nach. 1961 trat er freiwillig in eine Fallschirmspringer-Kompanie der US-Army ein, verletzte sich beim 26. Absprung und wurde 1963 daher entlassen. Jimi entschloß sich zu einer Karriere als Profi-Musiker.
Teils mit fester Anstellung, teils lediglich für Tourneen spielte er bei B.B. King, Little Richard, Sam Cooke, Wilson Pickett, den Isley Brothers, Ike & Tina Turner und Joey Dee & The Starlighters. Ein längeres Engagement folgte als Leadgitamst beim Sänger Curtis Knight, der später eine Hendrix-Biografie schrieb, in der vornehmlich der Verfasser selbst gut wegkam. Irgendwann 1965 führte Jimi sogar eine eigene Band – Jimmy James & The Blue Flames. Dann folgten das Cafe Wha und Chas Chandlei.
Chris Welch berichtet in seinem Hendrix-Buch von phänomenalen Konzerten der frühen Jimi Hendrix Experience. Jimi mimte den wilden Mann, nuschelte Dylan-haft vieldeutige Texte und setzte seine Gitarre in bis dahin nicht gehörte musikalische Flammen (später mit Hilfe von Feuerzeugbenzin sogar in echte). Er liebkoste und quälte sein Instrument, spielte mit den Zähnen und hinter dem Rücken, über dem Kopf und zwischen den Beinen. Und wenn er die Gitarre vor der Hüfte hielt und sein Becken nach vorn schob, dann merkte es jeder: Wo die Penis-Symbolik einer Gitarre liegt und wie man sie als clean mnchine benutzen kann.
Neben Jimi zupfte ein Bassist, der ähnlich wild aussah, Noel Redding hiefi und sich 1966 ursprünglich als neuer Gitarrist bei den Animals beworben hatte, dann aber von Chas Chandler als Bafimann der Experience angeheuert worden war. Dahinter trommelte Mitch Mitchell, den man vorher aus Georgie Fame’s Band entlassen hatte. Das Trio bestand schon kurz nach der ersten Zusammenkunft eine Art Feuerprobe: Frankreichs Rockidol Johnny Halliday benötigte für eine ansteh-Halliday benötigte für eine anstehende Tournee eine backing band und engagierte die Experience gleich beim ersten Anhören. So erlebte denn das Publikum im Pariser ‚Olympia‘ zuerst die Jimi Hendrix Experience – quasi mit Halliday als Leadsänger.
Nachdem sich Hendrix Anfang 1967 durch zahlreiche Auftritte in London und mit den Hits „Hey Joe“ und „Purple Haze“ weithin Aufmerksamkeit erspielt hatte, folgte die Eroberung Amerikas. Paul McCartney hatte der Experience zum Auftritt beim Monterey Pop Festival im Juni 1967 verholfen, wo Hendrix sich nicht nur trotz solcher Konkurrenz wie Who, Byrds, Janis Joplin, Jefferson Airplane, Mamas & Papas, Otis Redding und Johnny Rivers behaupten konnte, sondern glatt zum Star des Festivals avancierte. Im Nu biß die US-Branche an.
Mike Jeffery, der neben Chas Chandler zweite und recht zwielichtige Manager der Experience, hatte flugs einen Vertrag abgeschlossen, der wie der reine Hohn aussali: Jimi Hendrix on tour with The Monkees. Nun war eine solche Übereinkunft für damalige Zeiten keineswegs so absurd, wie sie heute erscheint. Schon in England war die Experience gemeinsam mit Cat Stevens, Engelbert Humperdinck und den Walker Brothers als Topgruppe durchs Land gereist – mit Erfolg übrigens. Dem sich festigenden Image der Hendrix Experience ; schien allerdings nun Gefahr zu drohen, denn wer mochte Jimi noch ernstnehmen, wenn er mit den Monkees, der allerschlimmsten TV-Teeny-Band, auf Tournee ging? Vor den zehn- bis zwölfjährigen Monkees-Fans mit ihren Müttern erlitt Hendrix prompt Schiffbruch; die Tournee wurde abgebrochen und das Gerücht verbreitet, der militant konservative Frauenverein „Daughters Of The American Revulution“ habe dies durch eine Kampagne gegen Jimi’s eindeutig sexuell betonte Show verursacht. Indirekt geriet nun die Tournee zum Erfolg: Amerikanische Zeitungen berichteten entrüstet von der Unmoral Hendrix’scher Konzerte – Jimi in allen Zeilen und aller Munde. Und allmählich tauchten auch bei uns erste Berichte in den Boulevardblättchen auf. Von irrwitzigem Krach, entfesselten Orgien, Drogenkonsum und sexuellen Ausschweifungen wurde da berichtet. Alles natürlich in bildhaft undenklicher Sprache.
Jimi wurde mehr und mehr zum Idol, ja nachgerade zur Inkarnation der Psychedelic- und Underground-Szene erhoben und man begann, mehr auf sein Äußeres denn auf seine Musik zu achten. Niemand wollte wahrhaben, daß der bejubelte Star seit Ende 1968 musikalisch zu stagnieren begann, immer wieder die gleichen Songmuster benutzte und sich live nur noch selbst reproduzierte.
Im August 1969 folgte in Woodstock der letzte Höhepunkt der unzähligen Hendrix-Konzerte. Die amerikanische Nationalhymne „Star Spangled Banner“ geriet bei Jimi zum infernalischen Melodie-Torso, durch den per Gitarre imitierte Starfighter fegten. An Popularität stand Hendrix nun im Zenit, künstlerisch steckte er jedoch längst in einer Sackgasse. Nicht umsonst wartete das Publikum anderthalb Jahre lang vergeblich auf eine neue LP, die dann erst 1970 in Form von „Band Of Gypsies“ erschien. Eine mäßige Platte, mit der Jimi selbst unzufrieden war.
Ebenfalls nicht zufrieden konnte man mit Hendrix‘ damaliger Band sein. Im November 1968 hatte sich die Experience getrennt; für Noel Redding war Jimi’s Freund aus der Armee-Zeit, Billy Cox, eingesprungen; mit dem Schlagzeuger gab es noch größere Schwierigkeiten, denn in Woodstock trommelte abermals Mitch Mitchell, auf „Band Of Gypsies“ dann jedoch Buddy Miles, später wiederum Mitchell, denn sowohl Miles‘ Stil wie auch seine Ansprüche als zweiter Star neben Hendrix machten eine weitere Zusammenarbeit fragwürdig. Mithin lagen Hendrix‘ nachlassende Kreativität und seine Stagnation nicht bloß in ihm selbst begründet, sondern auch in der Schwierigkeit, geeignete Musiker zu finden. Schon zu Jimi’s Lebzeiten, mehr aber noch nach seinem Tod schien die Anzahl seiner Freunde unermeßlich. Die Sängerin Jeanette Jacobs, Cathy Etchingham aus London, Monika Dannemann, eine Deutsche, und noch einige Frauen mehr wollten alle Jimi’s Liebe für’s Leben gewesen sein; zahlreiche Musikmanager, allen voran Alan Douglas, fühlten sich als freundschaftliche Nachlaßverwalter bezüglich unveröffentlichter Tonbänder; Noel Redding, Curtis Knight, Eric Burdon, um nur einige zu nennen, behaupteten mehr oder weniger deutlich, Jimi’s eigentliche Kameraden gewesen zu sein. Zieht man die Quersumme der Eindrücke dieser Freunde, dann war Hendrix ein eher schüchterner, manchmal ironischer und oft witzig-charmanter Gesprächspartner, der indes – so pathetisch dies klingen mag – in seiner Musik den wahren Freund gefunden hatte.
Dem stand natürlich das Image krass entgegen. Die von Chas Chandler ersonnene Chose, Hendrix als den „wilden Mann von drüben“ in London einzuführen, wurde von den Medien gierig aufgenommen und weitergesponnen. Kaum ein billiges Massenblatt ließ die Chancen aus, von zwei Frauen pro Nacht zu fabulieren, fälschlich von Drogenabhängigkeit zu berichten oder genüßlich auszumalen, wie Hendrix in Göteborg ein Hotelzimmer demolierte oder in Toronto wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde. Kaum jemand nahm wahr, daß Hendrix‘ Aussehen eigentlich für Underground-Zeiten üblich war: Eine Frisur, wie sie Bob Dylan schon 1965 getragen hatte; Blümchenhemden und Samthosen, die alle trugen, die das mochten und sich auch leisten konnten; mit Voodoo-Kettchen behängt, die ebenso von den Hollies, den Beach Boys oder den Beatles zeitweise getragen wurden. Irgendwie aber schien dies alles bei Jimi anders zu sein – er selbst hat wenig dazu beigetragen, dieses Mau Mau-Image aufzubauen, hat es jedoch munter mitgespielt, bis er schließlich merkte, daß ihm dieses Image in der Folgezeit hinderlich wurde. Da aber war’s zu spät.
Denn die Fans wollten ihren Hendrix auf immer und ewig als ihren Ober-Hippie, als Kultfigur, in die man die eigenen nicht realisierbaren Vorstellungen projizieren konnte. Viele hielten Jimi gar für eine Personifizierung des Protestes, ohne zu bedenken, daß er eine politische Rolle immer abgelehnt hat. Trotzdem spielte Hendrix, von zahlreichen Seiten bedrängt, dann doch halbherzig mit und wurde prompt unglaubwürdig. Helmut Salzingers Buch „Rock Power“ machte auf ein denkwürdiges Detail aufmerksam: Auf der LP „Band Of Gypsies“ kündigte Hendrix einen Song mit den Worten an „Wir widmen dieses Stück allen Soldaten, die in Chicago kämpfen und (kleine Pause) in Milwaukee und (kleine Pause) in New York. Ach ja, und allen Soldaten, die in Vietnam kämpfen“. Mit dieser Ansage erklärte sich Jimi quasi solidarisch mit jener amerikanischen Jugend, die sich als revolutionär empfand, die in US-Städten gegen die Ordnungsmacht kämpfte und gegen den Vietnamkrieg demonstrierte. Hendrix ein Revolutionär? Mitnichten, denn ein halbes Jahr später kündete der Gitarrist den gleichen Song („Machine Gun“) auf der Insel Wight an, mit anderen Städtenamen, doch sonst den gleichen Worten. Und am Ende wieder: „Ach ja, allen Soldaten, die in Vietnam kämpfen“. Dieses „Ach ja“, eigentlich eine Floskel der Spontaneität, war einstudiert, nur noch scheinbar spontan. Hendrix‘ Engagement fiir die revolutionäre Jugend war Teil der Bühnenshow.
Zu Hendrix‘ Image haben seine Songtexte erheblich beigetragen. „Purple Haze“, „The Wind Cries Mary“ oder „Stars That Play With Laughing Sam’s Dice“ (abgekürzt zu „STP – LSD“) ließen Drogenassoziationen zu. „Up From The Skies“, „Third Stone From The Sun“ oder „And The Gods Made Love“ erinnerten an Überirdisches. „1983 (A Merman I Should Turn To Be)“, „Spanish Catle Magic“ oder „If Six Was Nine“ bewegten sich im Irrealen, dessen Quintessenz schon in „I Don’t Live Today“ erschienen war.
Solche Texte paßten natürlich vorzüglich zu Gitarrenklängen, die man vor Hendrix kaum gehört hatte. Nicht nur der Gebrauch des kontrollierten Feedbacks, von Fuzz und Wah Wah-Effekten sowie etlichen Manipulationen auf dem Gitarrenhals machten Jimi’s Spiele so aufregend, sondern auch seine Fähigkeit, diverse Stile zwischen Blues, Rock & Roll und Jazz kompetent zu zupfen. Hendrix spielte „Blue Suede Shoes“ ebenso brillant wie den Blues „Red House“, mit Angejazztem befaßte er sich seit 1968 unter anderem in Sessions mit John McLaughlin, einem seinerzeit noch recht unbekannten Musiker. Damals erzählte Hendrix auch öfters von dem Plan, eine Big Band zu gründen, in der er nicht der alleinige Star sein wollte und mit der er verschiedenste Stilformen zu vereinen gedachte.
Mit der technischen Wiedergabe seiner Musik hatte Hendrix laufend Schwierigkeiten. Live kam er trotz etlicher Versuche mit wechselnden Verstärkern und Lautsprechern nur gelegentlich zurecht: Die technische Entwicklung hinkte in den sechziger Jahren hinter Jimi’s Ideen her. Auch im Studio zeigte er öfters Unzufriedenheit: Die Abmischungen zu der ziemlich hohl eingespielten „Are You Experienced?“-LP schienen ihm zu Recht ungenügend; spätere Verbesserungen, etwa stereophone Tricks auf „Electric Ladyland“, reichten ihm ebenfalls nicht. Noel Redding und Mitch Mitchell berichteten von unzähligen Anweisungen, mit denen Hendrix seine Umgebung traktierte, um den ihm vorschwebenden Sound zu realisieren. Konsequent richtete sich Jimi in New York nach seinen eigenen Vorstellungen das Electric Ladyland Studio ein, das jedoch zu seinen Lebzeiten nie voll zur
Verfügung stand, weil die Geldmittel zur Ausstattung fehlten.
Bei den Platten kann man im strengen Sinn nur von drei wesentlichen Hendrix-Alben sprechen: Das furiose „Are You Experienced?“, das von einigen Fans wegen seiner Ungeschliffenheit bevorzugt wird und die Klassiker „Manie Depression“, „Red House“, „I Don’t Live Today“ und „Are You Experienced“ enthält; weiter „Axis: Bold As Love“, offensichtlich eine LP des Übergangs, die neben einigen Nullnummern wie „She’s So Fine“ (Komponist und Sänger: Noel Redding) und „Ain’t No Telling“ auch Juwelen in der Art des exemplarischen „If Six Was Nine“ und „Bold As Love“ serviert und daneben einen überraschend besinnlichen Hendrix mit „Castles Made Of Sand“ und „Little Wing“ bietet. Schließlich, weithin als Nonplusultra angesehen, das Doppelalbum „Electric Ladyland“, dessen Stilvielfalt ebenso auffällig ist wie sein Trickreichtum – zumal für 1968. Hier arbeitete Hendrix erstmals mit Sessionmusikern zusammen, die Redding und Mitchell unterstützten und bekannte Namen trugen: Steve Winwood, Chris Wood, Buddy Miles, Jack Cassidy oder AI Kooper. „Electric Ladyland“ ist uneingeschränkt zu empfehlen.
Bei den drei weiteren autorisierten LPs handelt es sich um den bereits erwähnten mäßigen Live-Mitschnitt „Band Of Gypsies“, um die Zusammenstellung früher „Best Of‘-Songs mit dem Titel „Smash Hits“ sowie um „The Cry Of Love“, woran Jimi bis zu seinem Tod arbeitete und worauf mit Steve Winwood, Chris Wood, Mitch Mitchell, Buddy Miles und Billy Cox wiederum mehr als drei Akteure wirkten. „The Cry Of Love“ ist den drei wichtigen Hendrix-Alben fast gleichrangig und zeigt einen besinnlicheren, melodiöseren Jimi, der hier – kurz vor seinem Tod – offenbar erneute Kreativität und die dringend nötige Richtungsänderung andeutete.
Am 17.9.1970 besuchte Jimi seine Freundin Monika Dannemann in deren Wohnung in Notting Hill/London. Er schien erschöpft und ratlos: Vieles deutete darauf hin, daß er in den Wochen zuvor nicht nur musikalisch dazugelernt hatte („The Cry Of Love“), sondern auch ernsthafte Konsequenzen aus geschäftlichen Mißständen ziehen wollte. Doch er schien nur erschöpft wie jedermann, der hart gearbeitet hat. Bei Monika Dannemann verbrachte er den Abend bis etwa 2.00 Uhr, kehrte nach dem Besuch einiger Partner gegen 3.30 Uhr zurück und schlief am 18. September ein, als der Tag dämmerte. Die Versuche, ihn morgens zu wecken, verliefen ergebnislos: Jimi hatte sich schon am Abend zuvor krank gefühlt und später einige Schlaftabletten genommen. Als der von Monika Dannemann gerufene Krankenwagen St. Mary Abbott’s Hospital in Kensington gegen 11.45 Uhr erreichte, war Jimi tot. Durch unsachgemäße Lagerung durch das Krankenwagenpersonal war er am eigenen Erbrochenen erstickt ein bedauernswerter Unfall, sicher nicht der erste seiner Art. Niemand hätte sich weitere Gedanken gemacht, wenn der Tote nicht Jimi Hendrix geheißen hätte.
Manches wurde nach Jimi’s Tod bekannt, vieles blieb indes unerklärlich. Einige zweifelhafte Machenschaften führten immer wieder zu Jimi’s zweitem Manager Mike Jeffery hin, der 1972 bei einem Flugzeugabsturz umkam. Jeffery’s Holding-Gesellschaft „Yameta“ kontrollierte seit 1968 alle Platteneinkünfte und Gagen, die enorme Geldmassen einbrachten. Jimi erkannte später, daß Yameta eine faule Organisation war, deren Büros auf den Bermudas frei erfunden waren. Kaum zu glauben: Trotz immenser Gagen war offenbar nur wenig Geld vorhanden, etwa die Electric Ladyland Studios einzurichten. Kaum zu glauben: Die Schätzungen über Jimi’s Einnahmen belaufen sich auf über hundert Millionen Dollar in vier Jahren; er hinterließ aber nur ein paar Tausender.
DISCOGRAFIE: Berücksichtigt wurden die sechs autorisierten Hendrix-Alben sowie halbwegs empfehlenswerte posthume Veröffentlichungen; Platten unter Hendrix‘ Mitwirkung vor 1967 verdienen keine Erwähnung!
Are You Experienced? (1967) Polydor 2428 301 Axis: Bold As Love (1967) (Nur noch als Doppelalbum mit „Are You Experienced?“erhältlich) Polydor 2679 021 Smash Hits (1968) Polydor 184 138 (Imp.) Electric Ladyland (1968) Polydor 2612 0021 DoLP Band Of Gypsies (1970) Karussell 2435 606 The Cry Of Love (1970) Polydor 2459 337 At Monterey Pop Festival ’67(1970) (mit Otis Redding) off. vergriffen Rainbow Bridge (Soundtrack, 1971) Reprise 54 004 At The Isle Of Wight (1971) Polydor 2302 016 (Imp.) Hendrix In The West (1972) Polydor 2302 018 (Imp.) War Heroes (1972) Polydor 2310 208 Jimi Hendrix Documentary (Soundtrack, 1973) Reprise 65 017 DoLP Crash Landing (1975) Polydor 2302 398 (Imp.) Jimi s musikalischer Nachlaß wurde nur von Bob Dylan schlicht, aber gebührend gewürdigt: Dylan spielt seit 1974 seine eigene Komposition „All Along The Watchtower“ so, wie Hendrix sie interpretiert hatte. 1973 erschien ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Jimi Hendrix“ von Joe Boyd, der den Gitarristen zwar ein wenig zu respektvoll, aber insgesamt richtig zeigt. Der entsprechende Soundtrack gehört zu den besten der posthum veröffentlichten Hendrix-Alben, von denen kein einziges unbeschränkt empfohlen werden kann. Außer den wenigen teilweise brauchbaren (und in der Discografie genannten) LPs überboten sich viele Plattenfirmen in der Veröffentlichung baren Schrotts. Jede von Hendrix gespielte Note, vor und nach der Experience-Zeit, wurde vermarktet; gewiß befanden sich manchmal Kostbarkeiten darunter, doch das definitive posthume Album kam bislang nicht heraus. Noch 1976 erschien eine Hendrix -Session mit Redding, Johnny Winter und Jim Morrison – unsinnig, weil alle Beteiligten bei den Aufnahmen total besoffen waren. Produzent Alan Douglas ging so weit, die Hendrix-Klänge von unzähligen Tonbändern solo herauszufiltern, dann von Studiomusikern passende Begleitungen aufzunehmen und dies dann als zusammengemixte Aufnahmen wieder unters Volk zu bringen (immerhin geriet „Crash Landing“ ganz passabel). Selbst bei Hendrix‘ Beerdigung am 1.10.70 in Seattle behackten sich die Geier: Alan Douglas versuchte, den von Mike Jeffery angestellten PR-Mann Mike Goldstein hinauswerfen zu lassen. Im Nachhinein erscheint Chas Chandler der einzige seriöse Geschäftsmann in Hendrix‘ Umgebung gewesen zu sein.
Und trotzdem war Jimi kerne tragische Figur. Fast alle großen Rockstars – die Beatles eingeschlossen – haben künstlerische, finanzielle und menschliche Probleme ähnlich erlebt, wenngleich es zutrifft, daß Hendrix wohl stärker als alle anderen betroffen war. Doch neben Managern, Produzenten, Anwälten und angeblichen Freunden wirkten noch andere an seinem Untergang mit: Die Fans. Eric Burdon sagte einmal: „Er starb, weil man seine Kreativität abgewürgt hatte.“ Das Publikum bejubelte kritiklos alles, was mit Jimi zusammenhing – selbst das Stimmen der Gitarre vor dem Konzert entfachte Beifall. Für einen wahrhaftigen Musiker der künsterische Tod. Wozu sich auch Mühe geben, wozu Ansporn empfinden, wenn gute wie schlechte Soli in hemmungsloser Verehrung untergingen? „Wenn ihn nur jemals einer ausgebuht hätte, dann hätte er schon einige seiner Probleme gelöst und wäre zur vollen Wirklichkeit seiner Befähigung gekommen, „schrieb ganz zutreffend Nik Cohn. Wirklich gut befreundet war Jimi Hendrix mit seinen Roadies Gerry Stickells und Eric Barrett. Stickells hat immer betont, daß er laute Rockmusik nicht leiden könne…