ME.HELDEN

Jim Morrison ist der Pin-up-Boy der Rebellion


Schamanentänze auf der Bühne, skandalöse Auftritte im Fernsehen, Trips auf Meskalin: Jim Morrison war der erste echte Rockstar. Niemand beherrschte die neuen Posen besser, niemand inszenierte sie konsequenter. Doch erst sein früher Tod in Paris machte ihn unsterblich.

Am 9. Dezember 1967 nutzte er bei einem Konzert in New Haven erstmals sein Charisma und seine Physis, um das ohnehin aufgekratzte Publikum zu Ausschreitungen zu animieren. Die Menge demolierte die Halle und machte anschließend auf der Straße weiter. Es war Punk, bevor es Punk gab, und Morrison ging in die Geschichte ein als erster Rockstar, der jemals von der Bühne weg verhaftet wurde. Während sich ein Elvis durch sein Eintreten in die Armee mit den Autoritäten arrangierte, gab Morrison den umgekehrten „agent provocateur“ und „geistigen Brandstifter“, der den schwelenden Studentenunruhen immer wieder neue Nahrung gab. Oder, wie er es ausdrückte: „Wenn du deinen Frieden mit Autoritäten machst, wirst du selbst autoritär.“ Das FBI verstand und legte eine erste Akte an, die sich rasch füllte. Immer wieder kam es nun bei Konzerten der Doors zu Tumulten und Zusammenstößen mit der Polizei. Am 1. Mai 1969 kulminierte der Konflikt im berühmten „Miami-Vorfall“.

„Ich trinke, damit ich mich mit Arschlöchern unterhalten kann, mich selbst eingeschlossen.“

An diesem Tag stand Morrison noch unter dem Eindruck eines experimentellen, anarchischen Theaterstücks, als er – mit einer Stunde Verspätung und betrunken – in dem zur Konzerthalle umfunktionierten Flugzeughangar eintraf. In der Halle, ausgelegt auf eine viel kleinere Menge, drängten sich 12.000 Besucher, die Stimmung war aufgeheizt und, wie sich Doors-Manager Siddons erinnerte, „bizarr und zirkusartig“. Morrison schwankte zwischen derber Publikumsbeschimpfung („Ihr seid ein Haufen verdammter Idioten! Was wollt ihr dagegen tun?“) und dem aggressiven Einfordern von Zuneigung („Ich will Liebe! Will nicht jemand meinen Arsch lieben?“) Als er mit Champagner besprüht wurde, streifte er mit den Worten „Lasst uns ein wenig Haut sehen, wir wollen uns ausziehen“ sein Hemd aus, und das Publikum tat es ihm gleich. Genau das war es, was Nietzsche damit meinte, als er forderte, in der Musik müsse „Nieempfundenes sich zur Äußerung“ drängen. Vier Tage später flatterte ein Haftbefehl für Morrisons „Äußerung“ ins Haus: Morrison habe Obszönitäten geschrien und Oralsex simuliert. Außerdem soll er auf der Bühne seinen Penis herausgeholt haben. Zwar sollte sich herausstellen, dass alle Zeugen für die angebliche öffentliche Masturbation irgendwie mit dem zuständigen Sheriff verbandelt waren. Trotzdem wurde der Rocker zu 500 Dollar Strafe verurteilt – und zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Morrison blieb nur deshalb auf freiem Fuß, weil seine Anwälte das Urteil anfochten – und er starb, bevor der Fall endgültig abgeschlossen werden konnte.

Auch für seine Kollegen wurde Morrison immer unberechenbarer. „Der Suff“, sagte er einmal, „ist eine gute Verkleidung. Ich trinke, damit ich mich mit Arschlöchern unterhalten kann, mich selbst eingeschlossen.“ Immer häufiger konnte er seine Texte nur noch lallen. Immer häufiger übernahm sogar Robby Krieger die Aufgabe, Texte für die Musik zu schreiben, während Morrison lieber über die Zukunft der Musik nachdachte. 1970 machte er in einer Fernsehsendung eine interessante Prophezeiung: „Ich stelle mir eine Person vor, die von Maschinen, Tonbändern und elektronischen Hilfsmitteln umgeben ist und singt oder spricht.“

Jim Morrison bei einem Auftritt 1968.
Jim Morrison bei einem Auftritt 1968.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Morrison glaubte, diese Zukunft sei für ihn nun angebrochen. Mit dem Erscheinen von L.A. Woman im April 1971 hatten die Doors ihre Verpflichtungen bei der Plattenfirma erfüllt, ein neuer Vertrag war noch nicht ausgehandelt – Jim Morrison war frei. Er nutzte die Auszeit, um zu seiner Freundin nach Paris zu fliegen. Das Paar unternahm lange Reisen nach Korsika und Nordafrika, Morrison selbst schmiedete Pläne für eine ausgedehnte Indien-Reise, bei der er der Route Alexanders des Großen folgen wollte. Ansonsten streifte er mit seiner Kamera, seinem Notizbuch und Manuskripten in einer Plastiktüte durch die französische Hauptstadt, ganz der romantische „Amerikaner in Paris“.

The Doors 1968 in London.
The Doors 1968 in London.

Was jedoch wäre passiert, wenn dieser Amerikaner einfach so eingeschlafen wäre, nüchtern womöglich, in dieser Nacht am 3. Juli vor 40 Jahren? Was, wenn Morrison seiner Dämonen doch noch Herr geworden wäre? Antworten mögen müßig sein, aber reizvoll. Wäre er einen Monat später bei George Harrisons „Concert for Bangladesh“ aufgetreten? Hätte er vielleicht anstelle von Roy Harper als Gastsänger für die von ihm verehrten Pink Floyd den Song „Have A Cigar“ eingesungen? Womöglich wäre er danach alleine oder zusammen mit Laurie Anderson auf Tour gegangen, umgeben nur von „Maschinen, Tonbändern, elektronischen Hilfsmitteln“ und seinen Gedichten. Vielleicht hätte es ihn auch nach Las Vegas verschlagen, wie sein Vorbild Frank Sinatra. Punk hätte ihm, dem Proto-Punk, gefallen, und der Grunge hätte ihn auf einen ähnlichen Thron gehoben wie den anderen „echten Rocker“ und Späthippie, Neil Young. Und nach der Jahrtausendwende könnte ein Rick Rubin ihn noch einmal ins Studio gelockt haben, um seine alten Hits neu einzuspielen, ganz cool und reduziert. Vielleicht, womöglich, eventuell – was bleibt, ist der übermenschlich große Schatten des ultimativen Rockstars. Und ein mickriges, aber magisches Grab auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris.

Einfach einer, der stellvertretend für uns gestorben ist, die wir nicht so wild und gefährlich leben.

Das Grab wirkt, mit Edding und Graffiti verziert, so unaufgeräumt wie ein Hindu-Schrein, übersät mit vorgedrehten Joints und Wegwerf-Feuerzeugen. Zwischen geschmolzenem Kerzenwachs sammeln sich Whisky- und Rotweinflaschen, Kondome, Spritzen, Bierdosen, Blumen und Briefchen – Opfergaben einer Gemeinde, die sich dem Toten noch immer verbunden fühlt. Die das Gleichnis noch immer versteht, zu dem dieses kurze Leben geronnen ist. Morrisons Grab ist das, was Ethnologen eine „polymorphe heilige Stätte“ nennen, ein Wallfahrtsort des Rock’n’Roll, als läge dort ein großer Heiliger dieser seltsamen Religion. Nicht einer, der für unsere Sünden starb. Einfach einer, der stellvertretend für uns gestorben ist, die wir nicht so wild und gefährlich leben.

Im Dezember 1990 ließen Morrisons Eltern übrigens die alte Grabplatte mit der Morrison-Büste entfernen und einen neuen Grabstein aufstellen. Die Bronzeplatte trägt die altgriechische Grabinschrift, die „gemäß seinen Dämonen“ bedeutet. Ein guter Satz. James Douglas Morrison mag ein toter Mann sein. Selbst sein Mythos hat, wenn wir ehrlich sind, bereits einen strengen Geruch entwickelt. Und seine Dämonen? Sie schlafen, schockgefrostet nach dem Tod ihres Wirtes, noch immer als Hausgötter in den Plattenschränken dieser Welt.

 

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