Jeff Lynne packt aus: So wird im elektrischen Lichtorchester Musik gemacht!


ELO Vom 29. April bis zum 11. Mai tourt das Electric Light Orchestra durch Deutschland. Als Vorspeise serviert der Musik Express exklusiv ein Interview mit Band-Boß Jeff Lynne und Drummer Bev Bevan. Ingeborg Schober sprach mit ihnen über die jüngste ELO-LP "Out Of The Blue", über Konzerte, Kompositionen und über Zeiten, in denen sich pro Stadt nur 200 Leute für ELO interessierten....

ME: Ihr stammt beide aus Birmingham; eine ganze Reihe anderer Musiker, z.B. Steve Winwood oder die Moody Blues kommen auch von dort. Hat das einen Grund?

Lynne: Es ist neben Liverpool die langweiligste Stadt Englands.

ME: Auch die Move kamen von dort. Hat es ELO eigentlich anfangs geholfen, daß drei Mitglieder aus dieser Band stammten?

Bevan: Eher umgekehrt, es hatte einen Bumerang-Effekt; zumindest in England, wo Move eine erfolgreiche Single-Band war. Man hat von ELO wohl dasselbe erwartet. Deshalb sind wir auch erst einmal nach Amerika.

ME: Europa habt ihr in den letzten Jahren überhaupt sehr vernachlässigt…

Lynne: Das stimmt. Das letzte Jahr war mit einer ausgedehnten Amerikatournee, mit den Aufnahmen zu „Out Of The Blue“ und den Tourneevorbereitungen für dieses Jahr vollgepackt. Allerdings kann ich mich sehr genau an eine Deutschlandtournee vor drei Jahren erinnern. Die war ziemlich deprimierend, pro Stadt wurden etwa 200 Karten verkauft. Deshalb hat man den Rest der Tour damals auch abgesagt.“

ME: Obwohl es ELO seit 5 Jahren gibt,hat der internationale Erfolg erst mit „A New World Record“ eingesetzt?

Lynne: Bis auf Amerika, Holland und Skandinavien, wo der Erfolg schon ein Jahr früher kam.

ME: Habt ihr für eure plötzliche Popularität eine Erklärung?

Lynne: Eigentlich nicht. Unser Stil hat sich ja kaum verändert, nur meine Songs sind akzeptabler geworden, nicht mehr so verquer. Und dann gehören wir vielleicht zu jenen Bands, die ihr Publikum erst nach längerer Zeit erreichen. Wir sind natürlich auch irritiert, wie sich das jetzt entwickelt. Ein ähnlicher Fall ist ja zum Beispiel auch Peter Frampton.

ME: Habt ihr all die Jahre, wo es nicht so gut lief, nicht überlegt, das Handtuch zu werfen?

Lynne: Nein, denn schlimmer konnte es nicht werden.

ME: Glaubt ihr, daß man, es heute eigentlich nur noch über eine Hit-Single schaffen kann?

Bevan: ELO hat ja mit Alben begonnen, zumindest in Amerika. Und alle Singles stammen von den Alben. Jeff hat noch nie eine Single selbst ausgewählt, das überläßt er der Plattenfirma.

ME: Das heißt, Jeff, daß du dir nie vorher Gedanken zu den einzelnen Songs machst?

Lynne: Nein. Ich versuche jeden Song wie eine Single zu schreiben, ihn so perfekt wie nur möglich aufzunehmen. Er muß einerseits Teil eines Albums sein, andererseits aus dem Kontext genommen auch allein bestehen können. Singles passieren also unbewußt.

ME: War „Out Of The Blue“ denn als Doppelalbum geplant?

Lynne: Anfangs nicht. Als ich im Münchener Musicland-Studio den Überblick verlor, bin ich in die Schweiz. Zuerst passierte gar nichts, dann überfielen mich die Ideen geradezu. Pro Tag hatte ich plötzlich drei Songs. Ich hatte eine Menge Instrumente und eine Revox bei mir und machte sofort Aufnahmen. Dann kam der Rest der Band nach und im Nu hatten wir bereits 12 Songs fertig. Die anderen schrieben wir im Studio.

ME: Ist sich die Band immer einig über die Songs, die ja alle von Jeff stammen?

Bevan: Ja, völlig. Jeff hat auch die Band gegründet. Und eigentlich kümmern sich nur vier um die Aufnahmen,unsere Rhythmusabteilung: Richard, Kelly, Jeff und ich. Also Frustrationen gibt es bei uns nicht, wenn du das meinst! Jeff schreibt gute Songs, die uns allen gefallen. Wenn einer will, kann er ja Soloprojekte machen. Richard produzierte zum Beispiel, Kelly spielt bei anderen Leuten mit.

ME: Aber anfangs gab es viele Umbesetzungen?

Lynne: Ja, wir hatten ein paar Streitigkeiten.

Bevan: Keine musikalischen, persönliche.

ME: Habt ihr Probleme, eure Studioeffekte auf der Bühne zu realisieren?

Lynne: Nein, wir haben an dieser Sache ja ein paar Jahre gearbeitet. Und zum Beispiel die Kombination von 9 verschiedenen Keyboards und den 3 echten Streichern macht den Sound fast perfekt.

ME: Ihr setzt auch fertige Tonbänder ein?

Lynne: Ganz selten, nur für einen großen Auftakt oder eine Einleitung, in die die Band dann hineinspielen kann. Das soll also kein Betrug sein, sondern Atmosphäre herstellen.

ME: Denkt ihr bereits über die Livepräsentation nach, wenn ihr die Platten aufnehmt?

Lynne: Nein, aufnehmen und spielen sind für mich zwei Paar Stiefel. Das Studio ist das Beste, was es für einen Musiker gibt, denn die Möglichkeiten sind beinahe unbegrenzt. Und wenn sich Probleme für die Bühne ergeben, muß man sie halt lösen.

ME: Könnt ihr das „Concerto For A Rainy Day“ live spielen?

Lynne: Ich hoffe ja, wir proben schon die ganze Zeit dafür; bis auf „Big Wheels“ ist es einfach. Natürlich ist die Überorchestrierung so massiv, daß nichts fehlen darf, ME: Jeff, hattest du jemals eine musikalische Idee, die du nicht verwirklichen konntest?

Lynne: Es ist eher so, daß ich bei jedem Album, das wir machen, meine begrenzten Fähigkeiten erkenne. So gibt es auf jedem Album ein paar Dinge, die ich heute ganz anders machen würde.

ME: Du meinst, du würdest sie verändern?

Lynne: Nein nicht ändern, denn damals habe ich sie ja wohl so gemeint. An einem Tagebuch kann man auch nicht einfach Korrekturen vornehmen. Es ist ein Ansporn für die Zukunft.

ME: Woher beziehst du die Themen zu deinen Songs?

Lynne: Das „Concerto For A Rainy Day“ etwa sind die gesammelten Impressionen des verregneten Sommers 77. „Jungle“ entstand durch einen alten Hollywood-Film, den ich im Fernsehen sah: „42nd Street“ von Busby Berkely. Der Klang dieser Stepptänzer hat mir unheimlich gefallen. Also haben wir diesen Tanz im Korridor des Musicland-Studios nachgestellt. Natürlich haben wir dabei mächtig geschwindelt, aber auf der Platte klingt es perfekt. „Jungle“ war ein Mordsspaß, sowas muß auf einem Doppel-Album sein, um die Ernsthaftigkeit zu unterbrechen. Zum Beispiel haben wir im Hintergrund einen deutschen Text gesungen, der ging etwa so: „Der Fisch, der kochen heute Abend, der Fisch aus Fortsetzung von Seite 38

England… Das war alles sehr komisch, ein richtiger Hollywood-Parkett-Hinfall-Tanz.

ME: Wie kamt ihr auf den Titel „Out Of The Blue“?

Bevan: Gute Frage, weißt du das, Jeff?

Lynne: Eigentlich nicht…

ME: ELO wird häufig mit den Beatles verglichen….

Lynne: Wenn wir nur annähernd so gut wären, könnten wir natürlich sehr zufrieden sein. Es ist sehr schmeichelhaft, aber nicht mehr.

ME: Und wie steht ihr zu eurem jetzigen Erfolg?

Lynne: Wir sind natürlich sehr dankbar. Die Steigerung ist einfach traumhaft. Und weil’s langsam ging, hatten wir immer etwas, auf das wir uns freuen konnten.

ME: Es wird euch oft vorgeworfen, daß ihr eine Menge zitiert.

Lynne: Wir haben in der Popmusik doch alle die gleichen Akkorde zur Verfügung, oder? Seit Chuck Berry oder was weiß ich wird zitiert. Und, um es auf einen Nenner zu bringen, wer es gut macht, der parodiert auch gleichzeitig.

ME: Und wieso magst du die Bezeichnung Classic-Rock nicht, obwohl ihr eine Menge klassische Elemente verwendet?

Lynne: Weil’s kein Classic-Rock ist. Wir sind schon immer eine Pop-Band gewesen, die ein Faible für Streicher hat. Sie klingen gut und machen sich auf der Bühne nicht schlecht.

ME: Hörst du persönlich viel klassische Musik?

Lynne: In der Schule habe ich sie gehaßt. Aber durch unsere Streicher, die ja Experten sind, habe ich Gefallen daran gefunden. Einiges gefällt mir, einiges nicht. Das ist wie mit anderer Musik auch.

ME: Und was hörst du sonst gern?

Lynne: Boz Scaggs etwa, „Silk Degrees“ ist ein schönes Album. Und natürlich noch immer eine Menge Beatles.

ME: Steht ihr jetzt unter Erfolgszwang?

Lynne: Nein, ich freue mich auf das nächste Album, denn jedesmal lerne ich dazu.

Bevan: Es gibt Gruppen wie zum Beispiel Boston, deren erste LP in Amerika gleich Doppel-Platin oder sowas wird. Wie kann man solche Dimensionen noch übertreffen? Bei ELO ging’s genau umgekehrt. Man könnte uns fast als Schulbeispiel für eine Anleitung nehmen, die lautet: „Wie schaffe ich es nach oben?“ Nämlich so: Schritt für Schritt.