Japan


Konsumenten der einschlägigen Teeny-Presse sind mittlerweile hinlänglich über die Jungs von Japan informiert worden. Geburtsdaten, Schuhgröße, Lieblingsgericht und die diversen Gründe für ihre buntgefärbten Haarprachten sind also bekannt. Wir werden uns darum in der Hauptsache mit dem geistigen und musikalischen Potential dieser Gruppe auseinandersetzen. Ihre Debut-LP "Adolescent Sex" reicht nämlich viel weiter als das redaktionelle Konzept von "Bravo".

Konsumenten der einschlägigen Teeny-Presse sind mittlerweile hinlänglich über die Jungs von Japan informiert worden. Geburtsdaten, Schuhgröße, Lieblingsgericht und die diversen Gründe für ihre buntgefärbten Haarprachten sind also bekannt. Wir werden uns darum in der Hauptsache mit dem geistigen und musikalischen Potential dieser Gruppe auseinandersetzen. Ihre Debut-LP „Adolescent Sex“ reicht nämlich viel weiter als das redaktionelle Konzept von „Bravo“.

Unser kleiner Spaziergang für die Fotosession mit Japan durch die malerischen Gassen des Hamburger Stadtbezirkes St. Georg geriet für die fünf Musiker Zusehens zum Spießrutenlaufen. Irgendwann hatte sich eine Horde halbwüchsiger St. Georgianer zusammengerottet und verfolgte uns in angemessenem Abstand – man weiß ja nie! Zusehends mutiger riefen sie dann Schmähungen wie „Punker“ oder „New Waver“ quer über die Straße. Die fünf von Japan trabten ungerührt weiter und formierten sich zum nächsten Gruppenfoto. Entweder hatten sie’s gar nicht mitbekommen oder sie fühlten sich einfach nicht angesprochen.

Warum auch. Mit Punk oder globaler ausgedrückt: mit New Wave haben sie wenig zu tun. Ihre Vorliebe für weibische Klamotten und Regenbogen-gefärbte Haare habe sie schon während der Schulzeit zusammengeführt, geht die Legende. Steve Jansen (18), Mick Kam (20) und Dave Sylvian (20), wacher Texter, Sänger und Rhythmusgitarrist von Japan, bildeten in den einschlägigen Jugendtreffs von Lewisham im Süden von London so eine Art Notgemeinschaft: ihre Haartrachten, ihr Make up und ihre allzu ausgeflippten Kleider hätten sie zur meistgehaßten Clique des Vorortes gemacht, wird behauptet. Irgendwann fingen sie dann mit Musik an. Steve entschied sich für das Schlagzeug, Mick für den Baß und Dave für die Gitarre. Richard Barbiert (20) wurde später an die Tasteninstrumente gesetzt und Rob Dean, mit 23 der älteste im Bunde, kam als letzter dazu, „weil dem Sound noch eine echte Leadgitarre fehlte.“ Er ist übrigens auch der einzige, der sein Instrument ganz locker beherrscht. Alle anderen lernen noch immer von Song zu Song. Das geben sie allerdings auch unumwunden zu. In einem Interview mit einem britischen Fanzine erklärten sie: „Wir können weder Boogie noch Rock’n’Roll oder irgendetwas anderes aus dem Ärmel hinlegen. Wir sind technisch nicht vollkommen. Dafür besitzen wir einen eigenen Stil.“

Anders als beim verbreiteten Einheitsgallopp vieler Punkbands zeichnet sich bei Japan tatsächlich ein eigener Stil ab. Ihre LP „Adolescent Sex“ (vergl. ME 8/78) steht auf einer unübersehbaren Funk-Säule, ohne in die Monotonie massenfabrizierter Disco-Produktionen abzurutschen. Das kommt zum Teil daher, daß Rhythmusgruppe und Gitarre/ Keyboards nicht gleichgeschaltet sind. „Manchmal spielen Rob und ich sogar noch gegeneinander,“ erklärt Dave. Bei der kommenden zweiten LP geht’s beim Grundrhythmus jedoch nicht mehr funky zu, sondern da dominiert der Reggae. Soweit wollte Dave schon über das neue Produkt Auskunft geben.

Sex & Politik

Nach dem langen Marsch durch das schwüle Hamburg und dem endlosen Posieren für unseren Fotografen war Dave allerdings ein wenig mundfaul geworden. Drei Gänge lang weigerte er sich, beim Pöseldorfer Japaner feste Nahrung zu sich zu nehmen und hielt sich trotzig am Rotwein fest.

Glücklicherweise ließ er sich mehr oder weniger bereitwillig darauf ein, das chaotische Textblatt (welcher Grafiker hat sich dabei wieder einen abgebrochen?) mit mir durchzugehen. Wie viele andere hatte ich mich natürlich fast nur auf das Thema Sex versteift, das zweifellos in Sylvian’s Texten dominiert, daneben politische Aussagen jedoch übersehen. Dave jedenfalls sprach nun überhaupt nicht über die sexuellen Aspekte, sondern beschränkte sich auf die gesellschaftskritischen Elemente seiner Lyrics. „Wish You Were Black“ zum Beispiel sei ein Song über die ultra-rechte Bewegung der National Front in Großbritannien, erklärt er. Klar: Ich wünsche dir, daß Du schwarz bist und all dieselben Repressalien auszustehen hast wie die Diskriminierten (Farbige, Frauen) der Gesellschaft. Das sagt der Song. Und zum Thema „National Front“ speziell meint Dave: „Die Organisation ist längst nicht so stark, wie man aufgrund der vielen Berichte in den Medien annehmen mag. Dadurch bekommen die nur eine Menge kostenloser Publicity.“

Doch den „Sex des Heranreifenden“ (so der LP-Titel) wollen wir deswegen nicht ganz unter den Tisch fallen lassen. „Sex langweilt mich, es sei denn, er hat irgendwelche experimentellen Aspekte,“ betonte Dave einmal. Und eben das spricht aus seinen Zeilen: Verächtliches, Aggressives und vielleicht auch ein Hauch von boshaftem Sadismus. Gedankenspiele eines eigenwilligen Beobachters mit Talent zu außergewöhnlichen Abstraktionen. Der Politik will er auch auf der zweiten Japan-LP (die zur Zeit gerade produziert wird) treu bleiben. Mit „Suburbian Berlin“ versucht er zum Beispiel einen Vergleich „zwischen dem Berlin der Vorkriegszeit und dem Nazi-Kram im heutigen England“zuziehen.

Griff in die Hose

Die erstaunliche Aussagekraft der Gruppe, deren musikalisches Potential bis heute nicht die Anzahl ihrer Songs überschreitet, war dem ehemaligen Yardbirds-Manager Simon Napier-Bell aufgefallen. Japan hatten damals nichts als ein Demoband vorzuweisen, das sie mit einer notdürftigen Ausrüstung eingespielt hatten. Die Jungs bezogen damals Arbeitslosengeld, und der eine oder andere verdiente sich durch Gelegenheitsjobs ein paar Pfund nebenbei. Davon wurden die ersten Instrumente angeschafft. Das deutsche Musikverleger-Ehepaar Meisel, das gerade die Londoner Dependence zu ihrer Berliner Schallplattenfirma Hansa aufgebaut hatte – Hansa International – stand sofort auf die Band, die allerorts wegen ihres geschmacklosen Äußeren angefeindet wurde. Da die Musik jedoch einen völligen Kontrast zur grauenvollen Aufmachung der Japan-Musiker bildet, fanden sie diese Neu-Entdeckung erst recht interessant. Hansa International investierte daraufhin reichlich. Die Firma sorgte für ein angemessenes Equipment und für provozierende Anzeigen in der englischen Musikpresse. Der Griff in den Hosenschlitz war vielen bereits vertraut, ehe die erste LP auf dem Markt war. Produziert wurde „Adolescent Sex“ übrigens von Ray Singer, der bereits mit Michel Polnareff, den Easybeats und den Movies arbeitete.

Alle Versuche, den Musikern ein anderes Image zu geben, scheiterten. Genau das, was Medienleute und Publikum spontan als miserablen Promotion-Gimmick zu entlarven meinten, sei der Musiker viel bespötteltes aber unumstößliches Naturell, heißt es von allen Seiten. Von einer schlechten New York Dolls-Kopie ist allerorten die Rede, doch die Band bleibt ungerührt. Ist vielleicht der Gag raffinierter, als wir glauben? Ist es Zufall, daß Dave sich denselben Nachnamen zulegte wie Sylvain, (der bei den Dolls Gitarre und Piano bediente), und nur das „a“ mit dem „i“ vertauschte? Er gefällt sich in blondierter Bardot-Mähne und Mick Kam umrahmt seinen derben Griechenteint mit orange/pink – getönten Haaren. Richards blaue Tönung findet sich teilweise auf dem weißen Hemd wieder. Steve hält es ähnlich wie Dave, und nur Rob wirkt mit seinem dunklen Krauskopf „normal“. Dave Sylvian zieht die Verkleidungs-Arie allerdings am konsequentesten durch: er trägt fast nur Mädchenkleidung: Blazer mit Abnähern, bunte Plastikarmreifen, T-Shirts mit tiefem, spitzen Dekollete. Sehr zum Ärger seiner Mutter natürlich. Nebenbei betonen sie alle einstimmig, daß nicht einer von ihnen schwul sei!

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, daß es sich bei Japan um alles andere als um eine von vielen fotogenen Tralala-Bands irgendeiner Hardrock-Hitfabrik handelt. Für September lud man sie zu Aufzeichnungen für die TV-Sendung „Szene ’78“ ein. (Sendetermin: ARD, 6. Oktober). Möglicherweise werden sie bei dieser Gelegenheit einige Einstandsgigs auf deutschem Boden absolvieren. Bislang haben sie sich nicht sonderlich um Konzerte gerissen. Im Vorprogramm der britischen Blue Öyster Cult-Tour mußten sie überwiegend gegen die Ungeduld des Publikums anspielen. Beim zweiten Konzert in London hatte Dave allerdings die Nase voll. Er pflanzte sich vor dem Mikrofon auf und erklärte den Zuschauern, daß die Band jetzt ihren vollen Set spielen werde, ganz gleich, ob es den Leuten passen würde oder nicht. Sie hätten jetzt also zuzuhören und damit basta. Und es lief! Also wißt Ihr Bescheid: Klein beigeben werden die nie!