Jan Müller feiert die Tape-Kultur seiner Jugend – und das aktuelle Revival
Jan Müller in seiner „Reflektor“-Kolumne über Tape-Labels mit illustren Namen und Fanzine-Netzwerke.
Die Welt ist sonderbar. Trotz Kahlschlag Digitalisierung sind nun schon seit Jahren wieder Tapes populär. Das ist in gewisser Weise zwar Folklore und Ressourcenverschwendung, aber es bewegt mich. Denn Tapes spielten in meinem Leben eine wichtige Rolle. Schallplatten waren teuer. Gut, dass man sie sich bei Freunden auf Kassetten überspielen konnte. Als ich dann Mitte der 80er-Jahre in die Subkultur des Punk und Hardcore abtauchte, bekam ich über die Fanzine-Netzwerke auch mit, dass es viele Bands gab, die ihre Musik nicht auf Vinyl, sondern auf Tapes veröffentlichten. Aus Geldgründen, aus Praktikabilitätsgründen oder aus Prinzip.
Die Tape-Labels hatten illustre Namen wie: Graf Haufen Tapes, Irre Tapes, Schuldige Scheitel, Silberne Ritter Kassetten, Mutti Macht sich Sorgen Label, Höllenqual Tapes, Durchbruch Tapes, Zweckfrei, Wir wollen nur Dein bestes Bänder, Sepplhubers Stubenmusi, Kröten Kassetten, Weltfremd Kassette oder Hör Weg Produktion. Die Kassetten bestellte ich ebenso wie die Fanzines (die übrigens allesamt genauso gute Namen hatten, wie die Tapelabels) bei kleinen Mailordern. Zum Beispiel beim Nord-West-Kassetten-Vertrieb (Das war der Zusammenschluss der Labels Pissende Kuh Kassetten von Iko Schütte aus Hildesheim und Trümmer Products der Gebrüder Pruditsch aus Rastede im Ammerland).
Sie betrieben auch gemeinsam die Band Rudolfs Rache. Deren Tapes waren göttlich: „Helene“, „Fettauffemilch“ und „Haferschleim“ hießen ihre mitreißenden und originellen Pogo-Knaller. Ich kaufte dort aber auch avantgardistisches Material: Zum Beispiel Herrmann Naujoks und die Naujoks. Deren Hit „Hamburg – Rostock (Der ganze Weg am Stock)“ von 1984 ist mir bis heute nicht mehr aus dem Ohr gegangen. In Feucht bei Nürnberg war Ralf Lexis mit seinem Label Der 7. Versuch ansässig.
Das war kein Geramsche, sondern Idealismus
Wundervoll waren die blass thermokopierten Inlets der Tapes. Er verkaufte zu absoluten Tiefstpreisen. Das war kein Geramsche, sondern Idealismus. Über ihn lernte ich die Musik der Kanalkotzer und der rohen Frauenband Pervers kennen. Man konnte ihm sogar Leerkassetten einschicken, die er kostenlos bespielte. Glücklicherweise war das Porto damals noch günstig. Stichwort: „Warensendung“.
Bei Henning Prochnow von Anti System konnte man die LÄRMATTACKE-Tapes bestellen. Auf ihnen rauschte internationaler Hardcorepunk vom Heftigsten. Man kann sich die Ohren nicht besser freispülen als mit Mob 47 und Avskum aus Schweden. Die Derbheit der skandinavischen Bands sorgte im Deutschland der 80er-Jahre für Bewunderung. Das ging so weit, dass es sogar deutsche Bands gab, die Finnenpunk machten. Ich bestellte mir das C-20-Tape der Berliner Finnenpunkband Crapscrapers, ALLE HABEN GEKOTZT, NUR ICH NICHT, bei Andreas Thomé und seinem sehr guten Spandauer Fanzine-Vertrieb.
Thomé brachte auch die INFERNO Tapesampler-Reihe mit ausschließlich Spandauer Bands heraus. König der Tapesampler war jedoch in jenen Tagen WIR SCHLAGEN DAS IMPERIUM von Fastlife Tapes / Flocki Schück. Er kompilierte 47 Bands auf einer C-90. Szenegrößen wie Boskops und Tin Can Army waren dabei. Aber auch Genies wie die leider vergessene Band Dreckmüll (Anspieltipp: „Dreck Müll rechnet ab“). Das Tape lief bei mir rauf und runter. Allerdings nur eine Kopie. Ich hatte es mir bei meinem Freund Arne Zank auf seinem Doppeltapedeck kopiert.
Die alten Tapes lassen sich heute digital konsumieren
Arne und ich fingen dann in jenen Tagen auch an, selbst Tapesampler rauszubringen. Es war toll, als kleines Fanzine-Punk-Kind Bands wie Neurotic Arseholes oder Dunkle Tage anzuschreiben und von denen dann sogar Antwort in Kassettenform zu bekommen. Die von uns kompilierten und kopierten Sampler gefielen mir allerdings dann doch nicht so gut wie meine gekauften Lieblingstapesampler. Zum Beispiel JENSEITS VOM BUNDESTAG aus dem Jahr 1985 von Nastrowje Produkt. Hinter diesem Label verbarg sich Rüdiger Thomas, der später dann Teenage Rebel Records grün den würde.
Auf diesem Tape fand ich das geniale Lied „Pattex“ von Donalds Horden: „Wenn ich morgens früh aufsteh’ / Und dann in den Spiegel seh’ / Spring ich schnell in meine Hose / Und greif dann zur Pattexdose / Pattex, Pattex macht das Leben lose / Pattex, Pattex / Das Wunder aus der Dose“. Hier schließt sich der Kreis. Rauschtechnisch könnte der Text auch von Money Boy oder T-Low sein. Nur dass heutige Rapper ihre Mixtapes dann in der Regel doch ausschließlich digital veröffentlichen. Aber auch die alten Tapes lassen sich heute digital konsumieren. Wer ein steigen möchte, dem empfehle ich die Website tapeattack.blogspot.com, hier findet ihr wirklich viel. Es gibt eine Welt jenseits der Streamingdienste!
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 5/2024.