Jan Joswig kontrolliert: PLAYMAN IM ROLLKRAGEN


Hier kommt die schlechte Nachricht für alle wandelnden Kleiderständer da draußen: It‘s the singer, not the song! Es ist der Träger, nicht das Outfit! Eine altbekannte Regel, die immer noch Gültigkeit hat. Ein schlichtes Gemüt mag von einem originellen Outfit profitieren – ein origineller Kopf dagegen wird immer durch ein schlichtes Outfit geadelt.


Dieses Gesetz unterstreicht der 58-jährige Puppenspieler und Unterhaltungsgrenzgänger Friedrich Liechtenstein mit gelassenem Aplomb an dem härtesten Punkt, an den man in seiner Biografie stoßen kann: dem Abschnitt nach der Midlife-Crisis. Nachdem man mit der Sekretärin auf einer Kreuzfahrt, mit dem Guru in den Reisfeldern oder mit dem Hund im Schrebergarten die letzte Sau rausgelassen hat, stellt sich einem die Grundsatzfrage in den Weg: Wie werde ich alt – und wie bleibe ich sexy? Ein würdiger Charakter, der seine erotische Ausstrahlung nicht im grau-beigen Rentnersumpf versenken muss? Rolf „Big Eden“ Eden signalisiert im Rentenalter mit aufgeknöpftem Hemd unter weißem Anzug, dass er als ewiger Playboy durch die ewigen Jagdgründe zu streichen gedenkt. Ein grauhaariger Boy im aufreißerischen Outfit? So reitet man auf der Erotik herum, schickt aber die Würde aufs Glatteis. Da kann dann auch das Rolls-Royce-Cabrio nicht so recht weiterhelfen.

Friedrich Liechtenstein, der 1956 in Eisenhüttenstadt geboren wurde, zieht sich subtiler aus der Affäre: Er unterschlägt Sexyness und Erotik durch unauffällig gedeckte Herrenanzüge (und den Körper bis zum Hals versteckende Rollkragenpullover). Aber hinter dieser Uniform schlichter Alterswürde steckt ein faustdick origineller Kopf. Um das zu erkennen, muss man statt eines Fotos ein Video (am besten „Kackvogel“) studieren. Friedrich Liechtenstein hält es wie Christopher Walken im Video zu Fatboy Slims „Weapon Of Choice“: Er schreitet nicht, wie es seinem Anzug angemessen wäre, sondern tanzt durchs Leben.

Aus dem biederen Anzug platzt der Schwerenöter mit Hüftschwung hervor. Mit diesem Streich kombiniert er vordergründige Würde und hintergründige Erotik. In „Belgique, Belgique“ konstatiert Friedrich Liechtenstein: „72 ist kein gutes Alter für einen Go-go-Tänzer.“ Mit ihrem Zweischichten-Modell – korrekte Fassade, heißrhythmisches Innenleben – hebeln Liechtenstein und Walken diese Weisheit aus. Sie transformieren den Playboy zum Playman. Es ist der Tänzer, nicht das Outfit! Für die wandelnden Kleiderständer mit Stock im Arsch ist das natürlich kaum ein Trost.

Diese und weitere Kolumnen sind in der Oktober-Ausgabe des Musikexpress erschienen – seit 11. September am Kiosk und im App-Store erhältlich.