Jan Joswig kontrolliert: Künstler in Schwarzweiß
Die Verweigerung von Farbe macht Musiker nicht langweilig, sondern sexy, findet Stil-Kolumnist Jan Joswig.
Vergeistigung und Schwarzweiß gehören zusammen wie der französische Künstler Yves Klein und Blau. Die Verweigerung von Farbe bedeutet Substanz statt Oberfläche, Inhalt statt Verpackung.
Schwarzweiß signalisiert intellektuelle Askese. Wer sich als anspruchsvoller Autorenfilmer gegen das bunt-plakative Hollywood positionieren will, tut das in Schwarzweiß, sei es Wim Wenders, Jim Jarmusch oder das New Yorker „Cinema of Transgression“ der 1980er-Jahre.
Schon zu Anfang des Jugendkulturzeitalters nach dem Zweiten Weltkrieg gefielen sich die existenzialistischen Beatniks in schwarzen Rollkragenpullovern – was ihnen das Kulturestablishment flugs nachahmte. Denn das Pathos einer radikalen Inhaltlichkeit, mit dem einen die Verweigerung von Farben umgibt, macht nicht nur widerspenstig, sondern durchaus sexy. Modedesigner wie Comme des Garçons, Yoshi Yamamoto und Helmut Lang setzten in den Achtzigern und Neunzigern mit Dekonstruktionsklamotten in Schwarz auf vergeistigte Erotik.
Heute stehen Bands wie Hurts, The xx oder Inc. in dieser Tradition. Sie setzen eine Pop-Pose fort, die seit den Achtzigern in der Musik immer wieder gegen den affirmativen Gute-Laune-Farbexzess in Stellung gebracht wird. Am radikalsten prügelte die Industrial-Szene um Throbbing Gristle, Einstürzende Neubauten oder Lydia Lunch mit dem Schwarzweiß auf die Technicolor-Welt des Pop ein. Cyndi Lauper und Markus, fahrt in die Bubblegum-Hölle!
Bands wie Depeche Mode und Ultravox! standen mit ihrem Synthiepop zwischen den Lagern. Wenn Dave Gahan in weißer 501 auf die Bühne kam, fielen die Teeny Bopper in der ersten Reihe geschlossen in Ohnmacht. Das war definitiv mehr Erotik als Askese. Aber spätestens mit der Schwarzweiß-Fotoserie von Anton Corbijn zu ihrem 1990er-Album VIOLATOR drehte sich das Verhältnis um und die „Enjoy The Silence“-Prediger waren von New-Romantic-Hampelmännern zur Avantgarde eines elektronischen Blues gereift. Im Video zu „Heaven“ bringt Gahan mit weißem T-Shirt unter schwarzer Lederjacke und schwarzem Hemd unter weißem Dinnerjacket vor Sakralbaukulisse all die Zwischentöne des Schwarzweiß-Kosmos’ von morbider Erotik bis Weltschmerz-Pathos auf den Punkt. Das strahlt fast so viel vergeistigte Erhabenheit aus wie Yves Kleins Blau..