Jan Joswig kontrolliert: Das Ende des weißen Heteros
Der Papst trägt weiße Soutane und roten Umhang. Spirituell- politische Ansprüche lassen sich mit plakativem Nachdruck im Gewand signalisieren. Die Popmusik steht auf Plakativität und Gewänder. Wenn sie obendrein ein spirituell-politisches Programm verfolgt, wie bei Of Montreal in unserem Fall hier, sticht sie den Pontifex locker aus.
Der Uneingeweihte sah bei Freejazzer Sun Ra und seinem Intergalactic Arkestra nur durchgedrehte Tutanchamun-Fans. Dem Eingeweihten signalisierten die Fantasiekostüme die Reise des „Brother from another planet“ in den Weltraum. Auch George Clintons Parliament setzte auf ein Heil jenseits des Planeten und hielt die „Mothership Connection“.
Parliaments Kostüme stießen im Gegensatz zu Sun Ra die Verweise auf religiöse Rituale ab, hatten mehr mit Science Fiction als mit Liturgie zu tun. Mit Seehundfell-Gamaschen, Ski- Brillen, Silberflügeln und Mickey-Mouse-Helmen stattete sich eine Anarcho-LSD-Raumschiffbesatzung aus, eine „One Nation under a Groove“. Aber bei allem Comic-Charakter formulierte sich in den Parliament-Kostümen eine strikte Weigerung, sich dem Rassismus des weißen Mannes zu beugen: Wir kommen nicht von den Sklaven-Schiffen, wir kommen von den Raumschiffen. Wir lassen uns nicht zum Christentum, zur Kirche der Unterdrücker, bekehren, sondern basteln uns unseren eigenen Mythos.
Die Kostüme von Of Montreal ziehen an Pracht und Irrwitz gleichauf. Auch sie sind Symbol und Waffe in einem spirituell-politischen Kampf. Aber Kevin Barnes und seine Mitmusiker wehren sich in überkandideltem Drag nicht gegen äußere Anfeindungen, sondern gegen den Unterdrücker in ihnen selbst: den weißen, heterosexuellen Mann. In der Retro- Popmusik regiert eine Re-Maskulinisierung mit bärtigen Barden in Workwear. Familienvater Kevin Barnes positioniert sich mit seinen effeminierten Kostümen dagegen.
Der Weg ins gelobte Land des weißen, heterosexuellen Mannes führt über den Austritt aus seinem Identitätsknast. Bisher muss er den hegemonialen Aggressor und Unterdrücker mimen, der alle anderen auf ihre Plätze verweist. Er ist der, der die Macht hat. Aber der neue weiße, heterosexuelle Mann will keine Macht ausüben, er will nur spielen. Genau das signalisieren die Crossdresser-Strampelanzüge von Of Montreal.
Diese Kolumne ist in der Februar-Ausgabe 2014 des Musikexpress erschienen.