Jan Böhmermann im Interview: „Die Gesellschaft braucht das: Reinigung durch Witz“


Nach #BandAid30 und #JeSuisCharlie, vor #Varoufake, Pol1z1stens0hn und #ParisAttacks: Im Winter 2015 trafen wir Jan Böhmermann zum Interview und sprachen mit ihm über sein Selbstverständnis und seine Ziele mit dem „Neo Magazin Royale“ – und erhielten Antworten, die auch im Rückblick aufs Jahr lesenswert sind.

Du hast solche Titel dann mit einer gewissen Süffisanz anmoderiert …
Ja, genau. Das war immer der Grund. Deswegen war ich auch nie schockiert, wenn es dann geknallt hat. Aber irgendeine Art von inhaltlicher Kompromisslosigkeit ist wichtig, glaube ich.

Ich glaube, wir müssen auf jeden Fall auch noch über die Herren Winterscheidt und Heufer-Umlauf reden …
Müssen wir? Sagen die das, oder …?

Nein, das sage ich. Ihr werdet immer wieder als die großen Hoffnungsträger des deutschen Fernsehens gepriesen, aber neben der offensichtlichen Gemeinsamkeit, dass ihr die „Jungen“ seid, unterscheidet sich euer Programm doch ganz erheblich.
Ja, das möchte ich genau so unterschreiben. (grinst) Nee, klar, wir sind gleich alt, wir kennen uns, und wir haben alle die wahnsinnige Entscheidung getroffen, Fernsehen machen zu wollen. Ansonsten haben wir schon eher unterschiedliche Ansätze.

Es gibt ja auch eine Kehrseite dieses Auspreisens von euch als „junge Wilde“. Verschafft sich die Branche damit nicht auch ein Alibi, von wegen: „Da sind sie doch, die jungen Gesichter im deutschen Fernsehen, mit ihren frischen Ideen! Wir lassen sie doch machen!“?
Das ist natürlich richtig. Auf der anderen Seite stimmt das aber wirklich: Wir können ja auch machen. Ich kann mich nicht darüber beschweren, keine Freiheiten zu haben. Und Joko und Klaas können auch machen. Wobei ich ahne, dass bei Pro7 schon ein anderer Wind weht als bei uns. Die laufen ja in der späten Primetime. Und sie genießen eine andere Art von Popularität als ich. Ich glaube auch, dass die Unterschiede zwischen uns in den nächsten Jahren immer deutlicher werden. Ich finde zum Beispiel, dass Joko und Klaas durchaus eine Samstagabend-Show moderieren können – anders als ich.

Aber wird es in fünf Jahren überhaupt noch Samstagabend-Shows geben?
Ich glaube, das ist schwierig.

„Bei diesen Idioten, die in Dresden marschieren, da werde ich schon persönlich.“

Wie soll das in einem immer weniger linearen Fernsehen funktionieren?
Ich mache meine Sendung auch, weil ich sie für eine zukunftsfeste Sache halte – dadurch, dass sie sich über alle Kanälen ausspielen lässt und überall stattfinden kann. Eine Samstagabend-Show ist schön für meine Familie, meine Mutter und meine Oma, vielleicht auch für ein paar Leute, die wieder ans ZDF gewöhnt werden. Aber ich glaube, mehr Gutes tun fürs ZDF kann ich mit einer Sendung wie unserer.

Ist diese Strategie, eine Sendung fürs Fernsehen zu produzieren und daraus dann auch Inhalte fürs Internet zu generieren, schon die Spitze der modernen crossmedialen Möglichkeiten?
Das ist alles ein Prozess und auch gar nicht so akademisch geplant von uns. Das kommt sehr aus dem Herzen, weil wir auch selber in dieser Welt, im Internet, zu Hause sind. Ich gucke selbst kaum Fernsehen. Aber ich glaube eben, dass es dort draußen ein Bedürfnis gibt, eine Art von professioneller Tagesaufarbeitung zu bekommen, wie auch immer und wo auch immer das stattfindet. Und dass es auch immer noch eine gute Idee ist, mit Prominenten lustige Sachen zu machen. Und je besser die Idee ist, desto besser funktioniert das. Am Ende zählt nur die Idee und ihre Umsetzung, dann ist es egal, wo es gezeigt wird. Eine gute Nummer funktioniert im Fernsehen und im Internet gleichermaßen.

Wie weit kannst du eigentlich gehen, wenn du dich auf Twitter quasi in Personalunion als Medienfigur und Privatperson politisch äußerst?
Das ist natürlich eigentlich nie privat, bei über 170 000 Followern auf Twitter. Es gibt viele Dinge, über die ich mir sehr viele Gedanken mache, und viele Dinge, die sehr tief verankert sind – zum Beispiel diese Idioten, die in Dresden marschieren. Da werde ich dann schon persönlich. Aber ich glaube, die meisten Leuten verstehen, dass das am Ende zwei verschiedene Performance-Formen sind. Dass daraus ein differenzierteres Bild gebaut wird, als es bei Fernsehleuten vor 20 Jahren war, ist klar. Und dass es eventuell Leute überfordern könnte, auch. Aber das ist nun mal die Welt, in der wir heute Medien machen.

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