Konzertbericht

James Blunt live in Berlin: „Aus Regen werde Schweiß“


Vor seiner Europa-Tournee im nächsten Jahr erprobt der Brite seine neuen Songs. Wir waren dabei.

Vor dem Berliner Metropol bildet sich eine Traube aus Regenschirmen. Mal pechschwarz, mal gelb-getupft tummeln sie sich vor der Konzertlocation am Nollendorfplatz und anonymisieren die Gesichter darunter, in deren Lächeln sich die Vorfreude auf James Blunt lesen lässt, der hier auftreten wird. Das grellrote Licht erleuchtet nicht nur das imposante Gebäude mit den Steinsäulen, es spiegelt sich auch in den kleinen Pfützen zwischen unebenen Pflastersteinen und wird schließlich durch die dicken Regentropfen verwischt. Nach einem Glühwein-To-Go, den der Späti nebenan stolz anpreist, und wenigen zehn Minuten Anstehen hat sich die Schlange aufgelöst. Die tropfenden Daunenjacken wurden im Inneren abgelegt und das verwüstete Haar gerichtet – alles für den britischen Singer-Songwriter, der kurze Zeit später auf der Bühne stehen soll.

Aus Regen werde Schweiß!

Eine tiefe Blockbuster-Stimme aus dem Off kündigt das Geschehen an. Alle Scheinwerfer zeigen auf die kleine Stage, wo die stellvertretende Leuchtzahl von dem Fernsehsender ProSieben steht, der das Exklusiv-Konzert veranstaltet. An den Seiten die großen kirschroten Banner mit dem Slogan „We love to entertain you“ – ein Versprechen, das gehalten werden soll. Der Moderator Thore Schölermann springt ins Zentrum der Aufmerksamkeit und begrüßt das Publikum und will die Stimmung mit La-Ola-Wellen aufheizen. Die Zuschauer:innen sollen tanzen und feiern, bis „aus Regen Schweiß wird“ – mal sehen. Dann bittet er Blunt auf die Bühne. Eine blonde, junge Frau im Publikum springt vor Freude auf und ab und klammert sich an ihrer Begleitung fest.

Der Sänger lässt nicht lange auf sich warten – ganz britische Korrektheit ­– und eröffnet den Auftritt mit „Beside You“, eine Single seines aktuellen Albums WHO WE USED TO BE, das am 27. Oktober erschien. Nachdem James Blunt die Saiten seiner Gitarre, die er nach nahezu jedem Song wechselt, ein letztes Mal streift, hallen schrille Pfiffe und Bewunderungsrufe durch das hohe Gewölbe, bis sie auch die höchste Empore der stuckverzierten Location erreichen.

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Versuchsmeerschweinchen

Der Künstler grinst breit, sodass seine Lachfalten spannen, und richtet sich an die Menge – auf Deutsch. Seine Sprachkenntnisse seien zwar „limited“, er wolle aber dennoch „Danke, danke, schön und wieder danke“ sagen, so Blunt in gebrochenem Deutsch. Weiter erklärt er, dass das Publikum an diesem Abend „Versuchsmeerschweinchen oder -hamstern“ gleichkomme, denn er wolle sein Set an ihnen testen. Viele seiner neuen Lieder spiele er schließlich zum ersten und – bei schlechten Reaktionen – vielleicht – zum letzten Mal. Welche der Stücke es letztlich auf die Tracklist seiner Europa-Tournee geschafft haben, wird man dann im Frühjahr 2024 zu hören bekommen, wenn Blunt auch in zwölf Städten in Deutschland auftritt – darunter in der Berliner Mercedes-Benz Arena, Nürnberg, Frankfurt und Mannheim. Als der 49-Jährige seine Zuschauer:innen fragt, wer im kommenden Jahr dabei sein wird, schnellen vereinzelte Hände in Höhe. „Fünf Menschen kommen“, analysiert der Musiker lachend und fährt fort: „Perfekt, wir sind schließlich auch zu fünft“, und bezieht sich dabei auf seine mehrköpfige Band im Hintergrund.

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„One Brit Wonder“

Die Selbstironie zieht sich grundsätzlich durch Blunts Fan-Kommunikation. So bewirbt er seine neue Platte auf Instagram nicht nur durch einen schnöden Ankündigungstext, sondern feuert das Rennen gegen Popstar Taylor Swift an: „Wenn ihr mein Album noch nicht gekauft habt, tut es bitte – schließlich zählt jedes Exemplar in meinem Rennen gegen Taylor Swift in den Charts …“ – ein ambitioniertes Vorhaben, das sich schließlich nicht erfüllte.

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Auch auf der Bühne nimmt sich der Sänger nicht allzu ernst. Samt Augenzwinkern spielt er mit seinem Ruf als „One Brit Wonder“ – wie auch die Dokumentation des Musikers heißt, die am 06. Dezember in allen Kinos der UK vorgeführt wird. Nachdem seine ersten gespielten Tracks allesamt neue Songs waren, beruhigt er die Menge: Sie sollen keine Angst haben, er wird auch genug seiner Klassiker spielen – allerdings nur unter der Bedingung, dass die Zuschauer:innen bei den unbekannteren Werken stets lächeln und nicken. Ein bisschen stärker reagierte das Publikum dann doch bei neuen Liedern wie „The Girl That Never Was“. Die Crowd schunkelt im Takt und ergänzt diesen Move gelegentlich durch das zarte Hin- und Herwerfen des Kopfes.

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Ausgelassene Emotionen

Ein Raunen geht durch die Menge als das softe Gitarrenzupfen von Blunts größtem Hit „You’re Beautiful“ ertönt. Sofort hat der Musiker wieder die ganze Aufmerksamkeit des Publikums, das die erste Zeile des Tracks „My life is brilliant“ kaum abwarten kann, auf sich gezogen. Die Discokugel an der Decke wirft Tausende von kleinen Lichtflecken an die Wände, die sich in den Anhängern der elf Kronleuchter daneben spiegeln. Ein Mädchen sieht verliebt zu ihrem Freund. Daneben wippen zwei ältere Frauen zufrieden hin und her, während ein junger Mann seine Tränen aufhalten will, indem er Zeigefinger und Daumen in seine Augeninnenwinkel drückt – sein Partner legt ihm tröstend den Arm um die Schulter. Alle zusammen singen sie den Refrain des 2004er Hits: „You’re beautiful, it’s true / I saw your face, in a crowded place / And I don’t know what to do / ‘Cause I’ll never be with you.“

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Nachdem Blunt Klassiker wie „Bonfire Heart“ und „Wisemen“ spielte und den Gesang sowie das Summen der Menge dirigiert, wechselt er die Stimmung. Es seien „too many happy songs“ gewesen, weshalb er sich nun ans Klavier setzt und „Dark Thought“ anstimmt – eine Ballade, die der Musiker für seine verstorbene Freundin und „Star Wars“-Darstellerin Carrie Fisher schrieb. Mit seiner hohen – beinahe weinerlichen – Stimme trägt der Sänger seine Geschichten vor.

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Wippen und Schunkeln

Um den Abend nicht völlig gedankenversunken und emotional zu verlassen, liefert James Blunt mit dem Song „OK“, der in Zusammenarbeit mit Robin Schulz entstand, einen seiner Tracks zum „Tanzen“. Tanzen – das bedeutet in der etwa 35- bis 60-jährigen Menge ein obligatorisches Wippen, das durch das Einknicken der Knie und das taktische Klatschen ergänzt wird, sobald sich das Tempo des Songs verschnellert. Dann sollen alle in die Hocke gehen, bis der Beat droppt und die Zuschauer:innen einmal in die Höhe springen. Bei dem einen Mal bleibt es dann auch, bis sie wieder in ihr chronisches Schunkeln sacken.

Auch Blunts finaler Song „1973“ lädt zum Bewegen ein und schaukelt sich so weit hoch, bis der Sänger sein rechtes Bein auf den Klavierdeckel stellt und gen Publikum jubelt.

Kaum ist der Musiker von der Bühne werden auch schon die Instrumente abgebaut. Trotz Zugabe-Zurufen bleibt eine weitere Performance aus. Die gute Stimmung bleibt trotzdem bestehen und man hört einem Fan an der Garderobe ein leises „Goodbye my lover / Goodbye my friend“ entweichen.

James Blunts aktuelles Album WHO WE USED TO BE:

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Für alle, die nicht dabei waren

Hier geht’s zum Konzertstream.