Jäger Des Verlorenen Schatzes, Sag Mir Wo Die Bänder Sind
Sie suchen in staubigen Archiven, in Abstellkammern, Garagen und sogar in alten Kapellen. Die Objekte der Begierde ähneln sich dabei stets. Es sind die Originalaufnahmen kultiger Künstler. Denn mit deren Wiederveröffentlichung auf CD läßt sich manche Mark machen.
Ein US-Gericht sprach nach langwierigem Rechtsstreit das Urteil und verschaffte AI Hendrix damit späte Genugtuung: 27 Jahre nach dem Tod seines Sohnes verfügt der alte Herr aus Seattle erstmals über die Rechte an Jimis Musik. Al’s Firma „Experience Hendrix“ veröffentlicht jetzt in Kooperation mit der Plattenfirma Universal (vormals MCA) den kompletten Back-Katalog des legendären Gitarristen in einer überarbeiteten Fassung. Ziel von „Experience Hendrix“ ist es, Jimis künstlerischen Intentionen zu ihrem Recht zu verhelfen. So sollen auf den rockmusikalischen Meisterwerken „Are You Experienced“, „Axis: Bold As Love“, „Electric Ladyland“, „Band Of Gypsies“ und den bisher in dieser Form unveröffentlichten „First Rays Of The New Rising Sun“ Hendrix‘ ursprüngliche Vorstellungen von Artwork, Tracklisting und Mastering eins zu eins umgesetzt werden. Dafür, so heißt es, garantiere Jimis ehemaliger Toningenieur Eddie Kramer, der für das Remastering der Originalbänder gewonnen worden sei.
Schluß also mit Hendrix-Veröffentlichungen von fragwürdiger Qualität?
Wohl kaum. Weder Universal noch Jimis Vater konnten verhindern, daß zum Beispiel die berüchtigten „PPX-Sessions“, die Hendrix zwischen 1965 und 1967 mit Curtis Knight einspielte, seit Mitte 1996 als Serie von acht CDs auf den Markt gebracht werden. Wie aber konnte es dazu kommen?
Blenden wir zurück in den zweifelsfrei windigen New Yorker Herbst des Jahres 1965: Der 22jährige Jimi Hendrix besitzt keine eigene Gitarre und braucht dringend einen Job. So unterschreibt er in der Nacht zum 15. Oktober im Hotel America einen Vertrag, der ihn an den Produzenten Ed Chatpin und dessen Firma PPX Enterprises bindet. Damit kommt Chalpin, der das Tonstudio „76“ am Broadway betreibt und dort den R&B-Sänger Curtis Knight produziert, für die Dauer von drei Jahren in den Besitz sämtlicher Rechte an Hendrix‘ Musik – und Jimi gehört ab sofort zu den Squires, Knights Begleitgruppe.
Die Vereinbarung mit Chalpin ist nicht der einzige Vertrag, den der in geschäftlichen Dingen völlig ahnungslose Gitarrist in jenen Tagen unterzeichnet – aber der wohl folgenschwerste. Als Hendrix ein Jahr später Chas Chandler trifft und von ihm den Weg in eine weltweite Karriere gewiesen bekommt, kauft der gewiefte Manager Chandler seinen jungen Schützling zwar umgehend aus sämtlichen Verträgen frei. Doch vergißt Hendrix, seinem neuen Partner von dem Deal mit Chalpin zu erzählen. Nach gerichtlichen Auseinandersetzungen mit den späteren Hendrix-Plattenfirmen Polydor und Track Records wird Chalpin schließlich an den Einnahmen der drei Experience-Alben mit je zwei Prozent beteiligt. Die Einnahmen der vierten Hendrix-Platte, ‚Band Of Gypsies‘, sackt er sogar komplett ein.
Noch heute ist Chalpin im Besitz von Hendrix‘ PPX-Bändern. Ein Umstand, den sich die deutsche Plattenfirma SPV geschickt zunutze machte. Produktmanager Sven Edlefsen erzählt, wie er sich die musikalisch zwar fragwürdigen, aber dennoch begehrten Tapes des späteren Gitarrengottes Jimi H. sicherte: „Chalpin ist inzwischen ein etwas wunderlicher alter Mann, der in zwei Apartments in Manhattan ganze Massen von alten Tonbändern hortet. Wir schlössen mit ihm einen Vertrag, der uns für sieben Jahre die Rechte an bestimmten Aufnahmen sichert.“
Inzwischen hat SPV sechs Alben der ‚Authentic PPX Studio Recordings‘ veröffentlicht. Zwei stehen noch aus. Natürlich weiß Edlefsen, daß es sich hier nicht um First Class-Repertoire von Hendrix handelt: „Was wir verkaufen, ist ausschließlich Material für Fans – musikalisch meilenweit entfernt von den Standards, die Jimi als Solokünstler gesetzt hat.“ Stimmt, denn als PPX-Vertragskünstler schrammelte der Meister lediglich bei Jam-Sessions der Squires. Was beinharte Hendrixianer allerdings nicht daran hindert, auch dieses Material zu kaufen. So sind die ersten beiden Alben der PPX-Serie von SPV, „Flashing“ und „Get That Feeling“, jeweils 15.000 mal über den Ladentisch gegangen – und das trotz einer bescheidenen Spieldauer von 30 beziehungsweise 32 Minuten.
Das Beispiel Hendrix zeigt, wie attraktiv ältere Alben bekannter Musiker, zusammengefaßt unter der Rubrik „Back-Katalog“, für die Plattenfirmen sein können. Auch in den 9oern noch werden weltweit pro Jahr gut zwei Millionen Alben von Jimi Hendrix an den Mann gebracht. Und auch mit vielen anderen Musikern läßt sich noch manche Mark machen. So liegt der Anteil des Back-Katalog-Programms am Umsatz der großen deutschen Plattenfirmen nach über(me sounds report)
Text: Ernst Hofacker
einstimmenden Schätzungen derzeit bei immerhin 20 Prozent. Doch sind die Käufer nach dem wahren Run auf Katalog-Repertoire, der mit der Einführung des CD-Formats einherging, im Laufe der Jahre immer anspruchsvoller geworden. So gibt sich ein Teil der Kundschaft mit der reinen Übertragung von Vinyl-Musik auf Compact Disc längst nicht mehr zufrieden. Gefragt ist statt dessen der erkennbare Mehrwert einer CD gegenüber dem schwarzen Original, etwa in Form zusätzlicher Bonustracks, ausführlicher Liner Notes und/oder zeitgemäßer Soundkosmetik. Beliebt sind in Sammlerkreisen auch umfangreiche und aufwendig gestaltete Anthologien. So bescherte die schlagzeilenträchtige Beatles-Anthology den Fab Four, aber auch dem Fachhandel und dem Plattenmulti EMI so manche Million.
Im Rahmen einer Werkschau dürfen aber auch zunehmend Bands aus dem zweiten und dritten Glied auf größere Geldbeträge hoffen. Zwar können die meisten Musiker von den Millionen der McCartneys dieser Welt nur träumen, eine zusätzliche Altersversorgung in Zeiten unsicherer Renten ist die Wiederveröffentlichung bekannter und beliebter Songs aber allemal. Und die Jagd nach verborgenen Schätzen hält unvermindert an. „Der Mainstream- und Greatest Hits-Bereich ist weitgehend abgegrast“, weiß WEA-Experte Bernd Skibbe, „deshalb fahnden heute alle Firmen viel intensiver als früher nach Themen, die für eine Wiederveröffentlichung in Frage kommen könnten. Es ist wie im Bergbau – die Rockhistorie wird Schicht für Schicht freigelegt.“
Dabei läßt sich, um im Bild zu bleiben, durchaus Kohle machen. Das gilt auch dann, wenn man bedenkt, daß die Absatzzahlen der teuren Nobelboxen naturgemäß nicht ins Unermeßliche klettern. Immerhin: Die Firma Polydor konnte von der Who-Box „Thirty Years Of Maximum R & B“ fast 20.000 Exemplare absetzen. Und Jens Lorentzen, verantwortlich für den großen Jazz-Katalog von Columbia, berichtet stolz, daß die aufwendige Miles Davis-Box „The Complete Columbia Studio Recordings“ (mit sechs CDs und 2ooseitigem Booklet) seit ihrer Veröffentlichung vor einem knappen Jahr bei einem Preis von 160 bis 200 Mark immerhin von 2.500 Käufern angeschafft wurde.
Auf der Suche nach verschollenen Pop-Perlen entdeckt die Industrie zunehmend auch vergessene Helden vergangenen Tage. Darunter auch jene Künstler, die vor einem Vierteljahrhundert für das legendäre Krautrock-Label „Brain“ musizierten. Die Rechte an den Aufnahmen dieser Firma hält heute Tim Renner, Chef des Polygram-Unternehmens Motor. In den frühen 70er Jahren erschienen auf „Brain“ unter anderem die Elektronikrock-Pioniere Neu und Harmonia. Von deren Wiederveröffentlichung verspricht Renner sich allerdings eher einen Prestige- als einen Geldgewinn: „Viele aktuelle Bands beziehen sich auf die Arbeit von Gruppen wie Neu und Harmonia. Trotzdem müssen wir diese Veröffentlichungen aus dem Back-Katalog kalkulieren wie ein neues Produkt – auch was die Promotion betrifft. Im Falle von Neu und Harmonia zum Beispiel müssen wir den Leuten klarmachen, daß es das Heute nicht ohne das Gestern gibt.“ Wohl wahr. Für den Erfolg eines Produktes am Markt indes dürfte derlei feinsinnige Philosophie kaum ausschlaggebend sein. Im harten Wettbewerb zählt schon eher so Banales wie der Preis einer Platte. So ärgern sich beispielsweise viele Fans der Fab Four, daß Beatles-CDs grundsätzlich nicht unter 37 Mark zu haben sind. Dagegen ist das Oeuvre von Bob Dylan fast komplett im günstigen Midprice-Segment, also um die 20 Mark pro CD erhältlich. Dazu Ludwig Hafner, Einkaufsleiter bei WOM in München: „Die Plattenfirmen legen die Einkaufspreise für den Handel fest. Im Falle der Beatles hat die EMI sogar einen eigenen, oberhalb des Hochpreis-Niveaus angesiedelten Preiscode eingeführt.“ Nicht immer jedoch sind die Plattenfirmen völlig frei in der Gestaltung ihrer Preise. „Rumours“ zum Beispiel, der Millionenseller von Fleetwood Mac aus dem Jahr 1977, könnte schon längst für weniger als 20 Mark angeboten werden – jedenfalls wenn es nach dem Willen der zuständigen Plattenfirma WEA ginge. Doch Bandboss Mick Fleetwood verweigert dem konsumentenfreundlichen Abgabepreis beharrlich seine Zustimmung. Dazu WEA-Manager Bernd Skibbe: „Mick Fleetwood hat nun mal die Rechte an seiner Musik. Ohne seine Zustimmung sind wir machtlos.“
Trotzdem können die Fans von Fleetwood Mac vergleichsweise zufrieden sein. Denn immerhin sind die
Aufnahmen ihrer Lieblingsband komplett im CD-Format erhältlich. Der Back-Katalog manch anderer namhafter Musiker weist dagegen im Bereich der Compact Disc auch heute noch erstaunliche Lücken auf (siehe untenstehenden Kasten). Da ist zum Beispiel das Oeuvre von Jefferson Airplane respektive Jefferson Starship. Zwar gibt es den Airplane-Katalog fast vollständig auf CD, und auch die Box „Jefferson Airplane Loves You“ sowie ein Rückblick namens Jefferson Family“ erfreuen den Fan. Die Aufnahmen aus den 70er Jahren hingegen, aus jener Zeit also, in der die damalige Starship-Besatzung eiseien durchaus daran interessiert, bestehende Lücken im Angebot zu schließen, wie Ludwig Hafner von WOM betont. Doch wird man auch künftig nach manchen Schätzen vergeblich suchen: „Es gibt immer weniger Plattenfreaks, die sich intensiv mit dem Pop-Repertoire auseinandersetzen“, meint Gerd Gliniorz von der EMI in Köln, „deshalb lohnt sich die Wiederveröffentlichung älterer Aufnahmen nicht in jedem Fall.“
Doch sind nicht nur wenig verlockende Verkaufserwartungen daran schuld, daß so mancher Wohnzimmerrocker weiter auf verkratztes Vinyl zurückgreifen muß. Mitunter nen kommerziell erfolgreichen Mainstreamkurs flog, sind bis zum heutigen Tag eher stiefmütterlich behandelt worden. Wolfgang Eckart, bei BMG International zuständig für die Hippie-Kommune aus San Francisco, über die Hintergründe: „Die bisherigen Airplane-Wiederveröffentlichungen haben sich schlecht verkauft. Die Box zum Beispiel hat nicht einmal die angefallenen Kosten eingespielt. Und die als Testballon veröffentlichten CDs des Airplane-Ablegers Hot Tuna sind bei ein paar Hundert Stück stehengeblieben.“ Trotzdem, so Eckart, habe man sich nun entschlossen, der Vollständigkeit halber auch die Werke „Spitfire“ und „Earth“ in den Katalog der Wiederveröffentlichungen aufzunehmen. Sehr zur Freude des Fachhandels übrigens. Denn die Läden liegt’s auch an den Musikern selbst, daß manch regulärer Longplayer bis heute nicht als CD wiederveröffentlicht ist. Beispiel Neil Young: Aus dessen Back-Katalog fehlen immer noch sechs Alben, unter anderem „American Stars & Bars“, eine Platte, die mit „Like A Hurricane“ einen von Youngs größten Hits in der Originalversion enthält. Klangfreak Young besteht aber darauf, die ausstehenden LPs in einem speziellen Mastering-Verfahren selbst zu bearbeiten. Bloß ist der Mann dermaßen beschäftigt, daß er kaum dazu kommt, sich um das klangliche Recycling seiner älteren Arbeiten zu kümmern.
Im Grunde aber bleibt es dabei: Hoffnung für die allermeisten Vinyl-Leichen, eines Tages als glänzender Silberline wiedergeboren zu werden, besteht nur dann, wenn sich eine Plattenfirma Gewinn verspricht, wie nun etwa im Falle von Frank Zappas „200 Motels“, die -1971 auf Vinyl veröffentlicht – demnächst endlich auch als Compact Disc angeboten werden sollen. Zuvor jedoch müssen die Beteiligten sich noch über vertragliche Details unterhatten. Schließlich soll ja alles mit rechten Dingen zugehen. Das jedoch ist bei der Wiederaufbereitung von Klangkonserven längst nicht immer der Fall. So überspielen unseriöse Anbieter Original-LPs auf das CD-Format, um mit den daraus resultierenden Bootlegs Kapital aus bestehenden Kataloglücken zu schlagen. Eine Praxis, die sich bei seriösem Umgang mit alten Aufnahmen im Grunde von selbst verbietet. Aber auch hier gibt es Ausnahmen: „In seltenen Fällen, wenn die Masterbänder zerstört oder einfach nicht mehr aufzufinden sind, werden schon mal Vinyl-Platten als Vorlagen benutzt“, räumt Ingo Rose von der Firma I.R.S. ein, „aber das bleibt die Ausnahme.“
Völlig anders verhält sich die Sache dagegen, wenn ein Musiker erst mal das Zeitliche gesegnet und eine unübersichtliche Rechtssituation hinterlassen hat. Dann sind Lug und Trug nicht selten Tür und Tor geöffnet. Eines der traurigsten Beispiele dafür bietet das Repertoire des längst verblichenen Glamrockers Marc Bolan. Zuletzt entzündeten sich die Gemüter an den dessen angeblichen Unplugged-Aufnahmen, die vor wenigen Monaten unter dem Titel „Acoustic Warrior“ erschienen sind. Die dafür verwendeten Tondokumente waren zuvor in der Garage des englischen Fanclub-Leiters von Marc Bolan gefunden worden. Produzent Peter Todd unterzog die arg mitgenommenen Mastertapes dann ein volles Jahr lang einer ganz persönlichen Bearbeitung. Und die soll, das jedenfalls behaupten englische Bolan-Kenner, zumindest bei einigen der 25 Jahre alten Aufnahmen folgendermaßen ausgesehen haben: Bolans Gesang, so wird gemutmaßt, sei vom Rest der Aufnahmen isoliert und mit einem neu eingespielten Instrumentalteil unterlegt worden. Im Inlay der CD findet sich sogar ein Hinweis auf diese mögliche Vorgehensweise: „Wo die klangliche Unausgewogenheit der Bänder es erforderte, wurden sie im Studio… mit sparsam-effektvollen Untermalungen versehen.“ Hier wurde also nicht nur der Klang, sondern auch die Musik verändert.
Doch obwohl derlei Praktiken von äußerst zweifelhaftem Wert sind, gilt folgendes: Alte oder gar fehlende Masterbänder führen immer wieder zu ungewöhnlichen Schritten. So erzählt Jackie Stansfield von Polygram London, daß die Osmonds aus lauter Verzweiflung über das unauffindbare Mastertape ihres einstigen Riesenhits „Crazy Horses“ drauf und dran waren, den Song für ein geplantes Greatest Hits-Album neu einzuspielen – bis Jimmy Osmond mit dem Originalband unterm Arm freudestrahlend vor der Studiotür aufkreuzte. Die Aufnahme hatte in seiner Garage vor sich hin gegammelt. Noch Schlimmeres widerfuhr Jimi Hendrix im November 1967. Als er den endgültigen Mix von „Axis: Bold As Love“ fertiggestellt hatte, kletterte der Gitarrist mit den Masterbändern unterm Arm in ein Taxi – auf dessen Rücksitz er das Ergebnis wochenlanger Arbeit prompt vergaß. So kam es zur Sonderschicht. Innerhalb weniger Stunden, der Abgabetermin bei der Plattenfirma ließ sich nicht verschieben, mußte Jimi „Axis“ ein zweites Mal abmischen.