J. J. Geils Band
Als Anheizer im Vorprogramm der Stones-Tournee erhält diej. Geils Band ihre große Chance in Europa. Denn im Gegensatz zu den englischen Großverdienern rollt fiir Peter Wolf& Co. erst jetzt der Rubel: die seit 15 Janren hart arbeitende Gruppe aus Boston wechselte von erdigem Blues zu geschliffenem Mainstream-Rock – und ist gefragter denn je. Rock’n’HoH“, sagt Peter Woll, ist eine einflußreiche Kräh“. Anstelle der liebgewonnenen Stories vom ausschweilenden Tourneeleben ist die Presse bei ihm gezwungen, wohlüberlegte Kommentare zur Lage der Nation abzudrukken. Auf den Platten der J. Geils Band findet man Songs, die sich mit Dingen beschäftigen, die außerhalb des üblichen hoy-meetsgirl-gets-laidüeimen angesiedelt sind. Und auf der Bühne enthält sich Wolf des üblichen Gelabers über Frauen, Whisky und Kokain. Er hält stattdessen lieber Volksreden zum Thema Moral Majority, Wehrpflicht und Arbeitslosigkeit oder darüber, wie die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden. Nichts Weltbewegendes, aber angesichts der politischen Gegebenheiten durchaus nicht ohne Effekt. .Die Zeiten“, grübelt er, „sind auf politischer Ebene etwas ernstergeworden. Wenige besitzen viel und viele haben überhaupt nichts. Dem kannst du kaum ausweichen, falls dir an den Leuten, für die du spielst, etwas liegt“. Aber mit ein paar hochkarätigen Alben im Rücken gehören die Geilses doch auch eher zur besitzenden Klasse, oder? “ Wir haben wirklich lange daran gearbeitet, uns einen gewissen Stellenwert zu erkämpfen und klar, zur Zeit sind wir durchaus auf eine Art privilegiert. Und ich lühle mich auch verantwortlich, aus dieser Situation positiven Nutzen zu ziehen. Wir verstehen uns zwar auf keinen Fall als politische Band, sondern als Entertainer. Aber wir haben noch immer das Gefühl, daß wir Inhalte vermitteln und unterhalten können. Erfolg ist wirklich, was du selbst draus machst. Einige können eben nur Autos kauten und sich volldröhnen. Andere wieder nutzen ihren Erlolg kreativ aus. Für uns entpuppte sich der Erfolg als etwas Positives, was uns ermöglichte, mehr in unsere Kunst zu investieren, mehr Zeit im Studio zu verbringen“. Fast ein lahr immerhin für FREEZE FRAME, ihr zwölftes Album. Jch behaupte nicht, daß wir die Welt verändern können. Wir stellen uns nicht auf ’neSeifenkiste, um irgendwas zu predigen. Wir sind uns lediglich derDmge bewußt und fühlen uns betroffen, von dem, was da vor sich geht …“ Ironie des Schicksals, daß die J. Geils Band nach 15 Jahren in den Staaten gerade in einer Zeit zu voller Blüte kommt, wo die Schallplattenfirmen an musikalischen Qualitäten anscheinend überhaupt kein Interesse mehr haben und alternde Rock’n’Roller lieber bei ihren Anwälten und Finanzleuten hocken als bei ihren Fans. “ Was uns zur Musik hinzog, war, daß wir auf dem Gebiet etwas lernen wollten und keine Buchführung“, entgegnet Peter. , Wir haben nie etwas gemacht, wofür wir uns zu schämen hätten. Wir sind stolz darauf, daß wir in den 14,15 Jahren nichtszu rechtfertigen haben. Wir haben uns wirklich voll eingesetzt“. EEs war vielleicht kein gezielter Versuch, kommerzieller zu werden, doch die letzten zwei oder drei Alben unterscheiden sich schon von früherem J.-Geils-Material mit gescliickt plazierten Synthesizer-Tupfern, die geradezu prädestiniert sind für das US-Radio ’82. „Das war nichts Vorgeplantes wie ‚Jetzt wollen wir auch mal was im Funk haben'“, protestiert Seth, Keyboarder, Arrangeur, Produzent und (zusammen mit Wohngenosse Peter Wolf) Songautor in Personalunion. „Vras wir versuchen, ist kontinuierlich zu wachsen. Wenn man vorher bei uns keine Synthesizer gehört hat, so lag das einfach daran, daß wir uns keinen leisten konnten … Wir haben mit unseren Platten nie Geld verdient. (Ihre erste Goldene hatten sie, nachdem sie 1978 zur EMI gewechselt waren). Die einzige Möglichkeit, das Geld für die Anlage und andere Dinge zu verdienen, war, ständig zu touren. Wir wollten unsere Platten auch nicht übereilt rausbringen, sondern waren eher daran interessiert, Qualität abzuliefern und als Musiker weiterzukommen. Das alles kostet Zeit, undZeit kostet Geld. Wir fangen gerade an, uns von diesen Schulden zu befreien“. Die musikalische Ideale der J. Geils Band sind hoch angesiedelt. Es fallen Namen wie B.B. King, Muddy Waters, Junior Wells, Thelonious Monk, Elvis Presley … und die Musiker sind offen für alles, was heute passiert. Sie kaufen sich immer noch Platten, tauschen Kassetten, beteiligen sich an Clubauftritten anderer Bands, wenn es sich am Rande einer Tour ergibt. Das Spektrum ihrer Interessen reicht von John Coltrane bis hin zu U 2, die als Opening Act auf ihrer Amerika-Tour dabei waren. Und ihre musikalischen Iriitialzündungen bekamen sie fast alle durch Ray Charles, James Brown, die SoulLabel Motown und Stax. Wie Wolf sagt, passierte es ihm damals innerhalb weniger Tage. „Heartbreak Hotel“ oder „Long Tall Sally von Little Richard oder „Schooldays“ von Chuck Berry davon wurde ich süchtig. Mein Vater war auch im Showbusiness – er war Sänger – und ich habe dadurch die verschiedensten Shows gesehen. Und als dann plötzlich der Rock’n’Roll einschlug, ging das fast über meinen Verstand. Elvis, Little Richard, Jerry Lee Lewis, dann der Entengang von Chuck Berry, das hörte überhaupt nicht mehr auf! Und afs ich etwa 12 war, spielten wir immer mit so einem Jungen ausHarlem Basketball. Der hat mich dann r——‚ zu einer Mitternachtsshow ms Apollo-Theater mitgenommen. Das war eine Jazz-Veranstaltung, da war ich total fertig. Denn in einer einzigen Show sah ich John Coltrane, Art Blakey und die Jazz Messengers, Jimmy Smith, Ray Charles und Betty Carter. Ich war bei allen erreichbaren Rock’n’Roll-Konzerten. Außerdem hatten wir hier in den Staaten ein astreines Radioprogramm. In New York City, wo ich herkomme, gingesmorgens um sechs los. Da waren Leute wie Alan Freed, der einem Haufen wichtiger Leute zum Durchbruch verhalf“. AAls Peter Wolf mit 18 nach Boston ging, hatte er nichts weiter als ein paar Pinsel und ein Stipendium für die Kunsthochschule dabei. „Mit dem Malen war es mir absolut ernst“, erinnert er sich, „bis ich eines Tages auf einer Party war. Alle standen herum und plötzlich vergaß so ein Typ den Text und ich kannte den Song zufällig: ‚There’s A Man Out There Might Be Your Man‘. Ich stand auf und fing an zu singen seitdem habe ich nie wieder gern alt und nicht mehraufgehört zu singen“. Wolf stieg sofort bei der Band ein, die damals R & B spielte, und. sich Hallucinations nannte. Dazu gehörte auch der heutige J. Geils-Drummer Stephen Bladd. Inzwischen hatte sich das J. (Jack) Geils Accoustic Trio (mit Magic Dick, alias Richard Salwitz, Mundharmonika und D. K. am Bass) entschlossen, von nun an elektrisch weiterzumachen. Es kam zu einerhistorischen Begegnung im Catacombs Club. Jeder, der spielen wollte, brachte an diesem Abend einfach sein Instrument mit. Jch hielt mich dam als für den gemeingefährlichsten Mundharmonikaspieler von ganz Boston und meinte, wenn ich da unten bloß ein paar Minuten gespielt habe, würden die Mädchen schon auf mich abfahren. In der Garderobe sah ich dann zwei Typen in der Ecke stehen -J. und Magic Dick – die bereiteten sich gerade vor. D. K. (Danny Klein) hatte so einen kleinen alten Boss, ]. so eine tolle alte Delta Blues-Gitarre mitBottleneck und Dick spielte auf seiner Mundharmonika. So etwas hatte ich noch nie gehört und das hat mir dann auch den Abend versaut. Für mich war klar: Wenn du sie schon nicht schlagen kannst, dann steig ein und nachher jammten wir auch zusammen“. Die Musiker trafen sich regelmäßig. J. war vertraglich an einen Manager gebunden, der ihnen nur erlaubte, in dieser Formation aufzutreten, wenn sie den Namen J. Geils Band benutzten. Er hatte nämlich Angst, daß ihm ein anderer Manager zuvorkommen könne“. Als I. Geils Blues Band (den „Blues ließen sie zwei Jahre später wieder fallen; zur selben Zeit unterschrieben sie einen Plattenvertrag und bekamen mit Seth einen Keyboardmann dazu) spielten sie siebenmal pro Nacht in diversen Motorradfahrer-Kneipen und setzten anschließend Peter Wolf noch beim Sender ab, wo er sein nächtliches Gastspiel als DJ „Woofa Goofa“ gab. Dies alles geschah im sogenannten summer oflove, was die Musiker jedoch nicht davon abhielt, weiterhin die Schmalztolle zu pflegen. Wolf: ,Wir spielten genau das Gegenteil von dem, was die populären Bands draufhatten. Wir waren hart undfunky, anstatt den Leuten zu sagen, daß sie sich Blumen ins Haar stecken sollen „. Aber immerhin lebten sie in einer Kommune! ,Eher in ’nem Riesenchaos, würdeich sagen“ meint Peter. “ Wir haben in einer alten Mietskaserne gewohnt. Über uns die alte Frau, so eine religiöse Fanatikerin, riß immer das Fenster auf, wenn wir draußen saßen und uns über Proben oder sonstwas unterhielten: (kreischt) ‚Gott sprach heute morgen zu mir, daß ihr die Musik des Teufels spielt!‘ Dann kippte sie Wasser auf uns runter“. Neun Jahre hockten sie dort aufeinander. Ein späterer Loft wurde dafür berühmt, daß John Coltrane bei einer Stippvisite dort fast mal verhaftet wurde. ,Eigentlich waren sie hinter den Leuten über uns her, da gab’s so einen LSD-Ring. Aber als sie bei uns so viel Schwarze und Weiße zusammen sahen, meinten sie, da sei irgendetwas faul – in den Vereinigten Staaten ist man halt sehr rassistisch. Schließlich haben sie gemerkt, daß sie bei uns falsch waren“. Brave Jungs also, mit lauter sauberen Platten? „Yes, ma’am. Artige Jungs sind wir“. Und in Amerika heißt es ja, daß die Guten am Ende immer siegen. Leicht war es für die J. Geils Band jedenfalls nicht. Wolfs Ehe mit der Schauspielerin Faye Dunaway ging nach vier Jahren in die Brüche – dank eines mörderischen Arbeitspensums. Aber die Musiker ließen sich nicht als nostalgische R & B-Band abservieren oder als zweitklassige US-Ausgabe der Rolling Stones. Oder als -wie ein Zyniker es einmal formulierte „Bostoner Juden, die alte Negermusik für WASP (white anglo-saxon protestants)-Kids spielen „. Nach einer erfolgreichen US-Tour vor kreischenden Teenies und ihren hiesigen Gigs im Vorprogramm der Stones reisen sie weiter nach Japan und Australien. Wenn es nach ihnen geht, werden sie in Clubs spielen, , weil die meisten amerikanischen Bands nur in großen Hallen auftreten. Und dann wird es langsam auch wieder Zeit für ein neues Album“.