Irmin Schmidt – Auf neuen Trips
Ein Album mit Filmmusiken und das phantasievoll wuchernde TOY PLANET verrieten jetzt, wo Irmin Schmidts musikalische Ambitionen außerhalb des Can-Gruppengefüges zu finden sind. Diese beiden LPs decken immerhin ein Spektrum ab, das von dezenter musikalischer Eleganz bis hin zu Tolkien’schem Überschwang reicht. Jetzt, da jeder Musiker mit eigenen Dingen beschäftigt ist, und das Projekt Can vorerst auf Eis liegt, flammt allerorts wieder enormes Interesse an der Band auf. In einem Gespräch mit dem MUSIK EXPRESS äußerte sich Irmin Schmidt dazu, was dies für die Zukunft bedeuten kann, auf keinen Fall aber bedeuten wird.
Es mag paradox klingen, aber Can waren selten so gut im „Geschäft“ wie jetzt, da jeder seine eigenen Wege geht. Das liegt einerseits daran, daß der Einfluß der frühen Can auf die englische Avantgarde in den vergangenen Jahren nicht zu überhören war. Der Rückkopplungeffekt auf den deutschen Markt läßt sich schon daran ablesen, daß Managerin Hildegard Schmidt auf dem von ihr gegründeten Spoon-Label von den wiederveröffentlichten alten Can-LPs speziell die ersten beiden, nämlich MONSTER MOVIE (69) und TAGO MAGO (71) höchst erfolgreich absetzt. Zum anderen sind es die Solo-Aktivitäten der einzelnen Musiker, die Can aus der Stagnation holten; angefangen bei Holger Czukays Album MOVIES, das 1979 veröffentlicht wurde und mittlerweile als heimlicher Kult-Hit bis nach Japan kam.
Während Holger geradezu euphorisiert von der Tatsache, daß Cans Ideen plötzlich von einer neuen Musikgeneration wiederentdeckt wurde, direkte Kontakte knüpfte und mit dem ehemaligen PIL-Musiker Iah Wobble einige inspirierte Tapes einspielte, blieb Irmin Schmidt zunächst Zaungast in eigener Sache. Als vielbeschäftiger Komponist für den neuen deutschen Film („Im Herzen der Hurricane – Nicht mit uns“, „Das Messer im Kopf“, „Endstation Freiheit“ etc.) schaltete er andere Aktivitäten für eine Weile aus, um in seinem Kopf Ordnung zu schaffen. Für den Musikkäufer trat er erst wieder in Erscheinung, als jetzt kurz hintereinanderseine LP mit Filmmusiken und TOY PLANET, ein romantisch-dramatischer Fantasy-Gemeinschaftstrip mit dem Schweizer Musiker Bruno Spoerri (vergl. ME 3-’81, Longplayers) veröffentlicht wurden.
Hat es für ihn Konsequenzen, daß Can plötzlich wieder in der Luft lag und liegt? „Es ist schwierig“, meint er, „zumal ich mich auf ganz neue Trips begeben habe, die mit der Sache nicht in so offensichtlichem Zusammenhang stehen. Ich erlebe das manchmal ein bißchen als verwunderter Zuschauer und denke dann ‚ach ja, jetzt…‘ (lacht) … da freust du dich oder wunderst dich auch: Jetzt merken die also endlich, was du eigentlich gemacht hast. Und das ist auch schön… Ich freue mich natürlich unheimlich darüber, daß es Leute gibt, die das gut linden. Aber wenn man jetzt darauf angesprochen wird, ob man aufgrund der Markttendenzen, die Can gerade nach oben spülen, sich wieder zusammentun sollte, so schließt das doch auch den Vorschlag ein, daß man die Can-Musik von vor fünl, zehn oder sogar zwölf Jahren macht, was absoluter Irrsinn ist.“
Em MONSTER MOVIE-Remake für die 80er wäre natürlich illusorisch; Zeitphänomene sind eben nicht wiederholbar. Außerdem: „Abgesehn davon, daß wir inwzischen zwölf Jahre älter geworden sind und ebensoviele Jahre an musikalischer Erfahrung reicher, ist dies genau der Vorschlag, den wir nie befolgt haben. Und gerade darum kann man heute noch Can-Musik gut finden – eben, weil wir uns nie um Markttendenzen gekümmert haben. Was so ein Vorschlag einschließt, nämlich, daß wir jetzt, wo uns alle gut finden, auch die Musik von vor zehn Jahren reproduzieren, ist absolut un-Can. Das hieße das, was eigentlich unsere Musik immer ausgemacht hat, verleugnen.“
Liebhaber des magischen Can-Sounds können sich natürlich an den Wiederveröffenlichungen bedienen, nachdem von MONSTER MOVIE bis SOON OVER BABALUMA,
das einstige United Artist-Material, was eine Zeitlang nicht mehr erhältlich war. Aber nachdem nun jeder Can-Musiker seine persönlichen Ambitionen ausgetobt hat (Drummer Jackie Liebzeit mit der Phantomband, Gitarrist Michael Karoli steckt noch mitten in der Produktion), haben sich die Aggressionen innerhalb der Formation gelegt, so daß es „unheimlich gut möglich sein könnte, daß wir irgendwann eine Platte machen, die vielleicht sogar viel leichter von der Hand geht als frühere Produktionen.“ Frustationen sind abgebaut, neue Erfahrungen und Inspirationen können durchaus neue Kicks vermitteln. Und da der eine oder andere Can-Musiker auf den Projekten der anderen auftaucht, war die Kommunikation nie ausgeschaltet: „Meine letzte Filmmusik („Endstation Freiheit“) ist ja eigentlich auch von den Can gespielt. Am Schlagzeug saß Jackie, Gitarre spielte Michael und ich habe Synthesizer und Orgel darauf gespielt.“
Eine Ausweitung der Can-Aktivitaten steht eventuell auch durch das Spoon-Label ins Haus, schließlich ist es nicht nur entstanden, um Verschollenes wieder ans Tageslicht zu holen. Hildegard Schmidt wili damit auch unbekannten Leuten eine erste Chance geben, aber keine „Knebeldeals“ machen: „Wenn ich für jemanden einen guten Deal finden kann, würde ich ihn natürlich sofort vermitteln; von diesem Moment an würde ich dann nicht mehr als Schallplattentirma, sondern nur noch als Manager arbeiten, denn für manche Gruppen ist eine Firma, die richtig mit Promotion einsteigt, eben besser.* Und Irmin; „Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, daß der eine oder andere – Holger oder auch ich – als Produzent tätig wird. Allerdings nur, wenn die Musiker sich etwas davon versprechen. Im Falle von S.Y.P.H. hat es ja scheinbar etwas gebracht. Und dem Holger hat es ja ungeheuren Spaß gemacht, sie zu produzieren,“
Obwohl das Ergebnis an sich beeindruckend war, schon allein unter dem Aspekt, was aus einer Gruppe mit so geringer Erfahrung mit einem Zauber-Produzenten und Schneidetisch-Genie wie Holger Czukay herauszuholen ist, schien vielen die Identität der kurz darauf sowieso aufgelösten Band zerstört. „Für mich ist Produzieren, daß man einem Typen dazu verhilft, wovon er immer geträumt hat. Ihn oder eben eine Gruppe in ihrer Identität noch zu verstärken, ohne dich selber da hineinzubringen. Holger hat natürlich auch diese Ergebnisse innerhalb von Can zu überraschend neuen Aspekten zusammenschneiden können. Aber das geschah immer mit unseren Einverständnis. Er sagte, ‚Paß auf, ich mach da mal was‘, und hat dann plötzlich irgendetwas zusammengeschnitten. Die Konzeption war jedoch so, daß auf jeden Fall geschnitten werden sollte. Und da dies Hglgers Job war, hatte er natürlich den Überblick. Wenn er das jetzt dort macht, wo die Konzeption ursprünglich nicht auf Schneiden angelegt war, verändert sich die Sache natürlich von Grund auf.“
Den Einwand, daß es irritiert, wenn der Unterschied zwischen dem, was auf Platte ist, und dem, was von der Bühne tönt, allzu gravierend ist, läßt er nicht gelten: „Wenn du eine Gruppe hast, die live nicht spielen können, im Studio aber sehr erfindungsreich ist, dann sehe ich eigentlich keinen Grund, warum man mit ihnen nicht eine unglaublich tolle Platte machen kann.“ Er kommt in Fahrt und opponiert gegen das System: „Diese Identität zwischen Live-Auftritt und Platte ist ein rein kommerzieller Aspekt, der als musikalischer überhaupt nicht gilt! Für das Medium Platte bist du im Studio und arbeitest unter völlig anderen Bedingungen als live. Das ist ein schöpferischer Akt, pathetisch ausgedrückt. Im Studio hast du ein Mischpult und alles, was sonst noch da herumsteht, und wenn du die Dinge nicht als Instrumente begreifst, brauchst du nicht ins Studio zu gehen. Denn in diesem Moment hast du ein anderes Instrumentarium und so solltest du – wenn du modisch ausgedrückt – mediengerecht arbeitest, eigentlich eine andere Musik machen. Oder zumindest sollte sich deine Musik dabei verändern. Ich halte jetzt nur ein Plädoyer dafür, wie ich es zehn lahr lang gemacht habe, weil Can-Musik sich auf der Bühne und-Platte immer total voneinander unterschieden hat.“
Was folgt, ist ein hartnäckiger Diskurs zum Thema Hörgewohnheiten, die uns von der Industrie anerzogen werden, den umstrittenen Begriff der Normalität und das auswendige Reproduzieren des Studiosounds in Konzerten. Fast schon habe ich den Verdacht, er wolle jetzt provokativ dafür plädieren, daß eine Band auf der Bühne wie Can, auf Platte dafür aber ruhig wie Queen klingen dürfte. „Nee, aber wenn sie auf der Bühne wie Can und im Studio wie Can sind, dies aber als zwei verschiedene Aspekte innerhalb der Gruppenidentität begreifen – das finde ich faszinierend, das könnte beinahe normal sein.“
Dachte ich mir’s doch, daß wir eigentlich dasselbe meinten.