Interview mit Robert Plant: Led Zeppelin war ein großes Monster“
35 Jahre nach ihrer ersten Probe erschienen jetzt ein Live-Album und eine Doppel-DVD mit unveröffentlichten Konzertaufnahmen von Led Zeppelin. Im ME-Interview spricht Sänger Robert Plant über die frühen Tage, das Ende der Exzesse und die Droge "Energie".
MUSIKEXPRESS: Auf der neuen Led Zeppelin Doppel-DVD gibt es bis zu 34 Jahre alte Konzert-Mitschnitte. Heute wirken diese Filme wie Zeugnisse einer anderen Zeit.
ROBERT PLANT: Es war auch eine andere Zeit. Das Energielevel auf den Konzerten war anders, weil die Leute nicht so übersättigt waren. Heute wird alles in Schubladen gesteckt. Rock ist Rock, Gangsta-Rap ist Gangsta-Rap, Beck ist Beck. Es gibt so viele Bereiche, da geht die Energie verloren. Aber manchmal braucht man diese Energie. Deswegen war die Punk-Revolution mit The Clash, The Damned und den Pistols so wichtig. Sie warf die Art-Rockbands wie Pink Floyd und Genesis für kurze Zeit aus dem Fenster und repräsentierte eine neue Jugend. Diese Jugendlichen wollten nicht über Scheiße nachdenken und großartige Gitarrensoli hören. Sie wollten einfach nur explodieren, wild werden.
Das war 1979, kurz vor dem Ende von Led Zeppelin.
Bands wie wir waren in dieser Zeit längst steinreich und raus aus der Nummer. Rock’n’Roll sollte aber die Musik der Jugendkultur und Straße sein. Jerry Lee Lewis wurde mal vor Elvis‘ Haus festgenommen, weil er betrunken war und eine Knarre dabei hatte. Er lehnte an Presleys Tor in Graceland, dieses große Metalltor mit den eingearbeiteten Musiknoten. Er schoss in die Luft und schrie, Elvis solle seinen Arsch raus bewegen und zurück zu den Jungs kommen. Jerry Lee hatte vollkommen Recht. Elvis wusste das. Ich habe ihn getroffen. Er war immer noch ein Rocker, ein Wilder. Er hatte diese Kanten, die ihn zu etwas Besonderem machten. Led Zeppelin hatten auch dieses ungestüme Talent. Wir waren roh, gleichzeitig aber auch sehr kultiviert.
Led Zeppelin waren authentisch. Das kann man spüren, wenn man die vier Männer auf der Bühne sieht. Ihr musstet euch nicht mal ansehen und es geschah etwas Großes.
Oh ja. Es war sehr schwierig, mit dieser Verantwortung umzugehen. Denn Led Zeppelin hatten eine Verantwortung. Das hört sich verrückt an, aber die Leute wussten, was sie erwarten konnten. Sie wollten das Energielevel steigen sehen. Wir spielten keine hübschen Lieder, die anfingen, Harmonien im Refrain hatten und dann aufhörten. Es war einfach nur: Bang! Das Adrenalin und auch die Konflikte in der Band halfen dabei. Led Zeppelin hatten genug kreative Kraft für ein ganzes Leben. Es ist ungewöhnlich, dass vier Kerle dieses Gefühl für eine so lange Zeit aufrecht erhalten können, ohne dass einer gegangen ist. Sechs Jahre lang waren wir sehr stark.
Du hast einmal in einem Interview gesagt, dass du bei jedem Konzert 110 Prozent gegeben hast. Da musst du dich zwischendrin auch mal ausgebrannt gefühlt haben. Woher kam dann wieder neue Energie?
Sie stand mir direkt gegenüber: das Publikum. Das funktioniert für verschiedene Leute auf verschiedene Art. Ich sah Jeff Buckley ein paar Mal bevor er starb. Ich hörte ihn singen und fühlte, wie sich die Masse auf ihn zu bewegte. Es war eine Gemeinschaft. Dabei ging es nicht um Aggression, sondern um Schönheit. Das ist der Grund, warum wir Musik brauchen: Musik heilt Menschen. Ich war neulich in Mali, in der Sahara in der Nähe von Timbuktu. Ich spielte mit meinen zwei Gitarristen auf einem Festival mit Ali Farka Touré. Es war fantastisch! Diese Erfahrung gab mir fünf Jahre Extraleben. Und die Männer und Frauen, die mir das gaben, haben noch nie eine Platte verkauft, sie wurden nie für eine Session bezahlt. Sie spielten einfach nur in dieser Wüstenlandschaft – und fütterten mich.
Mit Reinheit?
Ja.Und mit ihrer Verpflichtung zur Musik, ihren Stimmen und all diesen Dingen. Auch wir haben das Bedürfnis nach Musik und Alternativen zum alltäglichen Leben, auch wenn unsere Kultur eine andere ist. Mit Led Zeppelin waren wir mittendrin und haben’s gemacht! Wenn ich heute auf ein Konzert gehe, dann sitze oder stehe ich und höre zu. Meistens. Aber auf manchen Konzerten vergesse ich mich und schreie. Das ist kathartisch, das ist wie Medizin, das ist großartig.
Auf welchem Konzert hast du so etwas zum letzten Mal erlebt?
Gut, als Zuschauer schreie ich nicht wirklich. Aber ich summe. Ich mag Calexico. Sie und Jay Farrar, der Typ von Son Volt, haben diese bescheidene amerikanische Art des Übergangs. Und ich höre die Hives und sage: yes! Denn die Energie, die die Hives auf ihrem ersten Album einfingen, ist so vital wie die der frühen The Who. Leider wurden die Hives jetzt in eine Ecke gezwängt, in der sie sich besonders kleiden und geben müssen. Die Tatsache, dass sie aus Schweden kommen, wo es Bands wie The Soundtrack Of Our Lives gibt, führt dazu, dass sie in komische Ecken gedrängt werden… Ach so: Das Publikum geht auf Konzerten nicht mehr wirklich ab, auch deswegen ist es heute eine andere Zeit.
Sind wir heutzutage einfach abgestumpft?
Die Kultur hat sich verändert. Das Fernsehen zeigt alles. Es gibt einfach zu viel von allem. Es gibt keine Geheimnisse mehr.
Die Mythen hinter Led Zeppelin waren immer ein wichtiger Faktor. Während der Zusammenstellung der DVDs musstest du all die alten Mitschnitte sehen, teilweise nie zuvor gezeigte Bootlegs, von deren Existenz ihr nicht mal wusstet. Wie hast du dich dabei gefühlt?
Ich hatte die unterschiedlichsten Gefühle. Vor allem sehr viel Stolz, denn das alles überstieg ja meine kühnsten Träume. Als ich in der Schule mit dem Gesang anfing, wollte ich wie ein Schwarzer singen. Ich sang wie alle weißen Jungs, die versucht haben wie Schwarze zu klingen. Das war ein Fehler. Aber ich entwickelte einen neuen Stil, diese Art des hoch getriebenen Rockgesangs. Wenn ich mir das heute anhöre, merke ich auch, wie schnell die Zeit verflogen ist. Aber ich habe damit keine Probleme. Ich nehme es zur Kenntnis und vermisse John Bonham (der 1980 verstorbene Led Zeppelin-Drummer – Anm.
d. Red.). Ich habe schon mit diesem Mann zusammengespielt, bevor es Led Zeppelin überhaupt gab. Wir kamen aus demselben Stadtteil, hatten denselben Ehrgeiz … was zu machen? Da zu sein. Aber damals gab es kein „da“. Es war nicht so wie heute. Die größten Konzerte fanden vor 500 Leuten statt. Es gab kein Yankee Stadium, kaum Werbung. Das war unsere Frühzeit. Der erste Mitschnitt auf der DVD vom Konzert in der Londoner Royal Albert Hall…
… von dem du sagst, es sei dein liebster.
Ja.
Gerade wen es da noch so roh und rau war?
Genau. Denn wir wussten nicht, wie wir uns verhalten sollten. Später entwickelst du alle möglichen Arten physischer, verbaler und gedanklicher Verhaltensweisen, um dich selber zu schützen und überhaupt ein Entertainer sein zu können. Aber zu dieser Zeit wusste ich überhaupt nichts. Ich war 20, ich brauchte einen Zahnarzt, eine Zigarette und ein Auto. (lacht) Das war’s. Von diesem Punkt bis heute war es eine sehr interessante Reise.
Nun feiern wir den 35. Jahrestag der ersten Led Zeppelin-Probe.
Wirklich? Keine Ahnung.
Im Sommer 1968 probten Led Zeppelin das erste Mal, so steht es geschrieben. Kannst du dich daran erinnern?
Ich erinnere mich, denn ich war letztens erst bei dem Haus, in dem sie stattfand. Das steht in Pangbourne, Berkshire. Dort hat Jimmy Page früher gewohnt. Da stand ein Typ, der vor dem Haus ein Auto reparierte. Ich fragte ihn: „Weißt du, wer hier gewohnt hat?“ Er sagte: „Jimmy Page.“ Ich sagte: „Weißt du, wer ich bin?“ Er sagte: „Robert Plant.“ Ich sagte: „Weißt du irgendwas darüber, was hier passiert ist?“ Er sagte: „Ich weiß überhaupt nichts. Erzähl mir was.“ Der Mann lebt da seit 18 Jahren. Ich sagte: „Da oben hinter dem Fenster fand unsere allererste Probe statt.“ Die Probe war damals atemberaubend, verrückt.
War es ein magischer Moment. Oder ist das alles Legende?
Nein, natürlich war es ein magischer Moment. Wenn du das Konzert in der Royal Albert Hall siehst und nur ein Jahr zurückgehst – das war dieser Augenblick. John und ich waren 20 Jahre alt, Jimmy 24 und Paul 22. Als wir in die Albert Hall gingen, hatten wir schon in jedem Pub und in jeder Bar gespielt, die du finden konntest. Und als wir dann diese Stufen raufstiegen … Wenn ich da heute hingehe, schaue ich mir Veteranentennis mit Becker und McEnroe an. Ich sage dann zu meiner Freundin: „Hier habe ich gespielt.“ Und sie sagt: „Ich möchte nicht allein mit deiner Musik in einem Raum gelassen werden.“ (lacht)
Offensichtlich hast du keine Angst vor dem Alter. Du wirkst auch nicht alt, obwohl du es mit 54 Jahren biologisch gesehen bist.
Sicher. Ich meine, ich habe ja eine Menge zu tun. Ich habe dieses Jahr viel mit meiner Band zu tun.
Verzeihung, aber viele ältere Menschen müssen arbeiten. Was hält dich so wach, dass du immer noch Lieder aufnimmst, neue Musik entdeckst und neugierig bist?
Seit meiner Schulzeit beschäftige ich mich mit schwarzer Musik. Deswegen bin ich 1971 nach Nordafrika gegangen. Ich hörte auch damals diesen besonderen Klang in diesen Stimmen. Es ist die Musik der Schwarzen, egal wo sie leben. Als ich ein Kind war, war der Blues noch kein Hochglanz-Scheiß für die Leser des GQ-Magazins. Da passierte etwas. Und es war ziemlich unbequem. Meine Eltern wollten mich von dieser Musik fernhalten. Für sie war es Teufelsmusik. Wenn ich heute in die Sahara gehe, bin ich sofort mit den Menschen verbunden. Ich kann mit Ali Farka Touré auf einer Matte liegen, an einem Feuer in der Dunkelheit, und wir reden einfach. Es gibt so viel zu tun, denn ich weiß so wenig über das, was ich mache. Die Arbeit mit Led Zeppelin hat mich über die Jahre in die unterschiedlichsten Situationen gebracht. Aber in Wirklichkeit waren die Musiker der Band die Energie. Ich bin eher wie ein Falke in die Musik rein- und wieder rausgeflogen. Das Umfeld war schon so wahnsinnig stark und ich habe versucht, mich noch einzubringen. Das war fast unmöglich. Sich als Sänger in dieser Umgebung zu behaupten, war eine große Herausforderung.
Wenn du zurückschaust, bereust du irgendwas?
Ich wünschte, ich hätte niemals irgendwelche Drogen genommen.
Wirklich? Bist du sicher, dass einige Songs auch ohne Drogen entstanden wären
(lacht) Die Energie war die Droge, über die wir vorhin geredet haben. Die anderen Drogen standen da oft nur im Weg. Denn du siehst das klare Licht, wenn deine Rezeption rein ist. Ich habe Dinge gelernt und ich wünschte, ich wäre dabei sauber geblieben.
Wann wurde dir klar, dass du die Exzesse stoppen musst?
Als mein Sohn starb.* Er war fünf. Als ich meinen Jungen verloren habe, wurde mir klar, dass ich auf dem falschen Dampfer war. Ich konnte mit meiner Trauer nicht umgehen, weil ich nicht darauf vorbereitet war, ein erwachsener Mann sein zu müssen. Es gibt nicht genug Goldene Schallplatten in der Welt, um dieses Kind zurück zu holen. Es ist lange her. Er wäre heute 31. Sein Tod hat mich damals wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.
Wenn du heute ein Konzert gibst, fühlt sich das dann ähnlich an wie damals mit Led Zeppelin?
Nein, das ist nicht vergleichbar. Led Zeppelin waren auf einer Achterbahnfahrt, bei der alles möglich war. Wir wussten einfach nicht, wie das Spiel funktionierte. Heute weiß ich zu viel. Damals wusste ich überhaupt nichts. Das war wunderbar.
Die Unschuld.
Ja. Aber mir war sowieso alles egal. Erst als John Bonham starb und mit ihm Led Zeppelin, musste ich ernsthaft darüber nachdenken, was richtig für mich war. Wir hätten mit einem anderen Drummer weitermachen können, so als wären wir ein Unternehmen. Oder ich hätte etwas komplett Neues beginnen können. Ich habe mich für das Neue entschieden.
Genau das hat den Mythos Led Zeppelin wahrscheinlich über all die Jahre am Leben gehalten.
Das ist richtig. Wir wurden nie zu den Eagles. Aber nein: Unsere Musik war ja sowieso anders, sie hatte eine wahnsinnige Energie. Sie war nicht wie die Musik von Fleetwood Mac, die auf drei-Minuten-Stücken fürs Radio basiert. Led Zeppelin war ein großes Monster.
Und das hat Grenzen zerstört.
Und offensichtlich viele andere Dinge auch. Habe ich zumindest gelesen. Andererseits: Ist es nicht beängstigend, wie Led Zeppelin damals von der Presse zu einer bösen Kraft gemacht wurden? Aber das waren wir nicht! Wir waren nur manchmal etwas wild.
Kritik der Doppel-DVD How The West Was Won auf Seite 80.
* Robert Plants Sohn Karac starb 1977, während Led Zeppelin gerade in den Vereinigten Staaten auf Tournee waren, an den Folgen einer Mageninfektion. Plant flog sofort zurück nach England, die Tour wurde abgebrochen, was erste Gerüchte über ein Ende der Band auslöste.