INDIE-LAND IST ABGEBRANNT …


Wir werden später sehen, was „das“ denn „damit“ zu tun hat: In dem sehr lesenswerten Interview-Buch „Will Oldham On Bonnie ‚Prince‚ Billy“ erklärt der Singer-Songwriter, wieso auf der Mehrzahl der Alben-Cover seines frühen Projekts Palace nur die Titel, aber kein Bandname zu lesen ist – auf einem sogar gar nichts, und wieso diese Platten unter den verschiedenen Namen Palace, Palace Brothers und Palace Music veröffentlicht wurden. Er wünsche sich, so Oldham, dass Platten im Laden so einsortiert werden würden wie Filme in der Videothek. Nach ihrem Titel, nicht nach ihrem Regisseur. Eine Platte solle wie ein Film als eigenständiges Werk gesehen werde, unabhängig von denen davor und danach und unabhängig von dem Künstler, der das Werk geschaffen hat.

Es ist ein reizvoller Gedanke, den Oldham da denkt. Weil die Umsetzung dieses Gedankens dem Starkult entgegenwirken könnte und der absurden Selbstverpflichtung von Hardcore-Fans, zu einer einmal für gut befundenen Band auf Gedeih und Verderb zu stehen. Der Starkult ist ein Kreativitätskiller. Musiker, die zu sehr damit beschäftigt sind, Rockstars zu werden, haben keine Zeit, sich um die Musik zu kümmern. Und Fans, die zu sehr damit beschäftigt sind, sich auf eine bestimmte Band zu konzentrieren, werden früher als ihnen lieb ist so wie die Leute, die sie niemals sein wollten. Keine Band kann so schlecht, so unerheblich, so wurscht sein, dass sie nicht über einen Stamm an Hardcore-Fans verfügen würde, die jeden Unsinn, die diese Band verzapft, jedes schlechte Album bis aufs Blut verteidigen. In Internetforen. Auf Facebook. Mit Leserbriefen.

Oldham hat Recht. Bei Filmen funktioniert, was bei Alben scheinbar nicht geht. Man kann Quentin Tarantinos „Django Unchained“ für einen mit Fremd- und Selbstzitaten überfrachteten Blödsinn mit viel zu langer Spielzeit halten und gleichzeitig Tarantinos „Pulp Fiction“ für einen der besten Filme der 90er-Jahre. Musikfans, also „richtige“ Fans, zum Beispiel der Arctic Monkeys tun sich schwer, SUCK IT AND SEE, das vierte Album der Band aus Sheffield, für mit Rock-Klischees überfrachteten Blödsinn zu halten, weil es, nun ja, das Album „ihrer“ Band ist.

Es ist vielleicht purer Zufall, dass sich in diesen Tagen mit Arctic Monkeys, Babyshambles, Bloc Party und Franz Ferdinand vier maßgebliche Bands des 00er-Jahre-Indie-Revivals neue Musik veröffentlichen, die qualitativ der ihrer frühen Alben ebenbürtig ist. Eine neue alte Welle wird sich daraus aber nicht entwickeln. Nicht nur, weil sich die überlebenden Bands der „Class Of 2005“ höchstwahrscheinlich mit Vehemenz und dem Hinweis auf ihre hochgradig ausgeprägte Individualität gegen die Behauptung verwehren würden, jemals ein Teil irgendeiner Szene gewesen zu sein. Es ist zu früh für ein Revival des Revivals.

Es war auff.shortällig, also im Wortsinn ein „Phänomen“, dass in den Jahren von 2004 bis 2007 – mit dem Höhepunkt 2005 – die oben erwähnten Bands und sehr viele andere in Erscheinung traten, die dafür sorgten, dass der Rock’n’Roll sich auf seine Ursprünge besann, auf Frische, Frechheit und Rotzigkeit, anstatt sich selbst zu verwalten, Traditionen zu bewahren und schlechte Musik zu produzieren. Seit der Punkrevolution von 1976/77 hat sich im Pop kein Generationswechsel so abrupt und radikal vollzogen. Die Britpop-Bands aus den 90ern, die um 2005 mehrheitlich damit beschäftigt waren, musikalische Selbstzitate von einem unerheblichen Album zum nächsten weiterzugeben, waren mit einem Schlag abgemeldet. Keimzelle der „Class Of 2005“: UP THE BRACKET, das Debütalbum der Libertines um Pete Doherty und Carl Barât. Es war im November 2002 veröffentlicht und anfangs in Deutschland von Publikum und Medien ignoriert worden -es konnte sich nicht einmal in den Top-100 platzieren. UP THE BRACKET war eine Art THE VELVET UNDERGROUND & NICO der 00er-Jahre. Wer das Libertines-Debüt, das mittlerweile als moderner Klassiker gilt, damals gehört hatte, wollte eine Band gründen. In London, in Sheffield, in Edinburgh.

DIE ZUKUNFT DER ROCKMUSIK

Wellen wie die der „Class Of 2005“ werden von (uns) Musikjournalisten sehr gerne aufgegriffen und phänomenisiert. Sie laufen immer nach dem gleichen Muster ab. In einem gewissen Zeitraum – idealerweise in einem lokal oder national begrenzten Territorium – tritt eine Reihe von jungen Bands in Erscheinung, die stilistisch ähnliche Musik spielen und/oder sich auf dieselben Vorbilder aus der Musikgeschichte berufen. Diese Bands erlangen ohne großes Zutun ihrer Labels „Kultstatus“. Dafür sorgt das britische Musikfachblatt „NME“, das jede Woche mit einer anderen neuen Band auf der Titelseite, die Zukunft der Rockmusik ausruft. Die Meinung des „NME“ wird dann über Musiknerds, Promoter und andere Musikmagazine weiterverbreitet. Mit einer gewissen Zeitverzögerung erkennen die Menschen bei den Labels, dass sie mit einer ihrer Bands die Zukunft der Rockmusik im Portfolio haben. Durch verstärkte Promotion-Aktivitäten wird diese eine Band immer größer, spielt in immer größeren Hallen und wird immer bekannter. Wenn sich in der Musikindustrie langsam die Meinung durchsetzt, dass diese bestimmte Band, die in ihrem Programm die Zukunft der Rockmusik repräsentiert, Teil einer Szene ist, beginnen die Artist-&-Repertoire-Manager gezielt nach anderen Bands zu suchen, die in dieses Raster passen. So wurde in den Jahren nach 2005 jeder Clown mit komischer Frisur und Chucks und engen Hosen, der eine Gitarre halten konnte, unter Vertrag genommen. Bei dem daraus resultierenden Overkill an neuen Zukunften der Rockmusik stellt sich bald bei den Meinungsmachern und den Musikhörern eine Müdigkeit ein, keiner will diesen Second-hand-Scheiß mehr hören. Man wendet sich anderen Bands, Genres und Phänomenen zu. Die Welle ebbt ab. Übrig bleibt der Hardcore-Fan.

Aber es sind nicht nur die Bands der zweiten und dritten Generation, die nach wenigen Jahren die Bewegung in ihrer -nun ja – Bewegungsfähigkeit beeinträchtigen, auch manche der ersten Generation kommen entweder durch Sachzwänge – die gerade in Krisenzeiten wie diesen von den Labels verstärkt betriebene Verbetriebswirtschaftlichung von Musik -oder durch Realitätsverlust – der Wunsch ein richtiger Rockstar zu werden – vom rechten Weg ab.

RUBY, RUBY, RUBY

Das Paradebeispiel für eine gute Band, die innerhalb eines Jahres ins tiefe Tal der Kreativitätslosigkeit gefallen ist: Kaiser Chiefs aus Leeds. Ihr Debütalbum EMPLOYMENT, im Indie-Jahr 2005 veröffentlicht, war ein kraftstrotzendes, euphorisches Pop-Album in der Tradition großer britischer Bands. Dass danach nichts mehr kommen würde, hatte sich allerdings schon ziemlich früh angedeutet. Ricky Wilson, der Sänger der Kaiser Chiefs, erweckte bereits im Frühjahr 2005 bei einem der ersten Deutschland-Auftritte der Band im Atomic Café in München durch arrogantes Gepose und große Rockstargesten den Eindruck, er sei zu Höherem berufen, als in den Atomic Cafés dieser Welt aufzutreten. Wilson, das unterstellen wir, wollte auf Biegen und Brechen ein Rockstar werden, und für eine Spielzeit und für einen Bierzelt-Hit ist ihm das auch gelungen: „Ruby“ vom weitgehend unerträglichen zweiten Album YOURS TRULY, ANGRY MOB war für Kaiser Chiefs der Türöffner für die großen Hallen und die Headline-Slots bei den einschlägigen Rock-Festivals.

Kaiser Chiefs stehen auch exemplarisch für ein anderes Phänomen: die Transformation einer ursprünglich okayen Band in einen stinknormalen Rock-Pop-Act, der zunächst die Kernzielgruppe (aus den Augen) verliert und kurzzeitig die große Masse an Musikdesinteressierten in den großen Hallen und auf dem Oktoberfest erreicht. Aber diese Musikdesinteressierten, die den Singlehit „Ruby“ schon irgendwie ganz geil finden, wenn sie ihn im Radio hören, interessieren sich überhaupt nicht dafür, welche Band ihn zu verantworten hat. Ironischerweise richten sie sich damit nach der eingangs erwähnten Forderung Will Oldhams von der Entkoppelung von Künstler und Werk. Aber das ist wahrscheinlich nicht das, was Oldham gemeint hat. Um die Masse bei der Stange zu halten, hätten die Kaiser Chiefs einen zweiten Oktoberfest-Schlager wie „Ruby“ nachlegen müssen. Weil ihnen das aber nicht gelungen ist, hat die Band nach den alten Fans auch noch die neuen Musikdesinteressierten verloren.

KUNST UND BETRIEBSWIRTSCHAFT

Der Markt und mit ihm das Label erfordert nach einer angemessenen Zeit das zweite Album einer erfolgreichen Band. Während für das Songwriting des ersten Album theoretisch Jahrelang Zeit war, entstehen die für das Zweite nebenbei im Album-Tour-Album-Hamsterrad. Zwischen TV-Auftritten und exklusiven Sponsoren-Gigs und auf dem Flug nach Japan werden schnell ein paar Songs geschrieben, die wiederum zwischen TV-Auftritten und exklusiven Sponsoren-Gigs schnell aufgenommen werden müssen. Aber: Wenn jemand ein Jahr lang ununterbrochen unterwegs auf Tournee ist, wenn er ein Jahr lang nichts anderes sieht als Backstage-Räume, das Innere von Flugzeugen und Bandbussen und Hotelsuiten, worüber soll er Songs schreiben? Die Kreativität ist im Arsch.

Anderes Beispiel Franz Ferdinand. Die Schotten hatten die Aufnahmen zum Nachfolger ihres gloriosen Debütalbums penetrant im Internet öffentlich gemacht, quasi jeden Teilschritt via Blog und mit Webcam dokumentiert. Dadurch wurde eine dermaßen hohe Erwartungshaltung aufgebaut, die das fertige Album nie und nimmer hätte erfüllen können. YOU COULD HAVE IT SO MUCH BETTER war dann im Vergleich zum Debüt einfach mehr desselben mit schlechteren Songs. Trotz des offensichtlichen Qualitätsabfalls der Alben zwei und drei gegenüber dem Debüt verkauft die so genannte Indie-Band Franz Ferdinand heute immer noch verhältnismäßig viele Platten, in Deutschland mehr als zum Beispiel die Mainstream-Sängerin Beyoncé. Franz Ferdinand haben halt treue Fans. Denen können wir allerdings nicht garantieren, dass nach der Rückkehr zur guten Form mit RIGHT THOUGHTS, RIGHT WORDS, RIGHT AC-TION das nächste Album nicht doch kompletter Blödsinn werden wird. Aber das würden „die Fans“ sowieso ganz anders sehen.

Musikexpress-Redakteur Albert Koch hat im Jahr 2007 das Buch „Fuck Forever -Der Tod des Indie-Rock“ veröffentlicht, das sich mit der Thematik Indie versus Mainstream beschäftigt und den Auftritt von Mando Diao bei „Wetten, dass..?“ voraussagte.