Independent in Deutschland: Idealistische Seiltänzer in ökonomischen Nischen
Mit dem Punk kamen die "Independents", mit dem Punk traten sie auch wieder ab. Oder nicht? Um die unabhängigen Einzelkämpfer im Musikgeschäft ist es jedenfalls auffällig still geworden. Hat man sich arrangiert? Oder das Handtuch geworfen? ME/Sounds informierte sich bei einigen deutschen Independents über den Status Quo.
Theoretisch genügen ein Masterband und ein paar Telefonanrufe, und schon hat die talentierte Kellerband von nebenan ein greifbares Produkt ihres Schaffens in Händen. Danach hört der Spaß allerdings schnell auf, denn für den Sprung ins kalte Business wird ein Label benötigt – eine Firma, die bereit ist. Hoffnungen und Engagement in diese Musik zu investieren. Die großen Schallplattenfirmen sind längst nicht mehr in der Lage, jedes Talent, jede Entwicklung adäquat zu fördern.
Wie viele Platten erscheinen jeden Monat? Die wenigen, die in den Radio-Programmen mutieren? Diejenigen, die den Sprung auf die LP-Seiten der Musikmagazine schaffen 9 Der Plattenkäufer kommt auch in dieser Zeitschrift nur mit einem Bruchteil der tatsächlichen Veröffentlichung-Lawine in vage Berührung. Sämtliche Neuerscheinungen und Wiederveröffentlichungen würdigen zu wollen würde jeglichen Rahmen sprengen. Ein Schallplattenladen, der alle erhältlichen Produkte zu führen versuchte, wäre ein Dschungel, in dem sie! niemand zurechtfinden könnte. Wobei alle jüngeren Trends und Stile noch vergleichsweise präsent sind. Klassische Musikarten wie Blues, Folk, Country oder Reggae hingegen stehen traut vereint in der vernachlässigten Minderheiten-Ecke.
Ein internationaler Tonträgerkonzern muß nach dem Prinzip arbeiten, von möglichst wenigen Produkten möglichst hohe Stückzahlen zu verkaufen. Mit anderen Worten: Es müssen Hits produziert werden, koste was es wolle. Nicht daß Kostenfaktoren wie Nachwuchsförderung und Pflege des Backkatalogs dort gänzlich vernachlässigt werden, aber etliche gestandene wie talentierte Künstler sind längst durchs Sieb gefallen. Hier setzt die Arbeit eines unabhängigen Klein Label an.
Der Independent-Boom begann in den späten 70er Jahren, als die Punk-Bewegung zeigte, daß die etablierten Companies den Kontakt zur nachwachsenden Generation oft genug verloren hatten. Die Do-It-Yourself-Attitude der Punk-Bands übertrug sich auch auf junge Aktivisten, die mit dem Telefon in der Hand besser umgehen konnten als mit der Gitarre. Sie stellten sich die Aufgabe, die Musik ihrer Umgebung selbst auf den Markt zu bringen.
Auch bei der etablierten Plattenindustrie erkannten ein paar Musikverrückte die Zeichen der Zeit, verließen den gesicherten Schreibtisch und erinnerten sich an die Ursprünge des Rock ’n‘ Roll – und damit auch des Musikgeschäfts: Denn letztlich war Sam Phillips‘ Sun-Label (wo Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Johnny Cash ihre Karrieren starteten) auch nichts anderes als ein Indie.
Der in diesem Zusammenhang oft strapazierte Begriff des Idealismus wird von vielen
unabhängigen Labelmachern nicht gerne gehört. Generell herrscht die Einschätzung vor, daß das engere Verhältnis zwischen Produkt und Künstler oft mehr Vorteile bringt als es in der Anonymität einer großen Marketing-Abteilung zu erwarten wäre. Oder, wie es der Hamburger Line-Labelchef Uwe Tessnow ausdrückt: „Mein Musikgeschmack ist mein Idealismus.“
So manches kleine Label, das um 1980 begann, ist heute längst vergessen. Mancher Künstler wäre das mit Sicherheit auch, gäbe es nicht ein paar Klein-Label, die durchgehalten und so manchen in Ungnade gefallenen Musiker unter ihre schmalen Fittiche genommen hätten.
Blättern wir einmal fünf Jahre zurück. Da galten die Neville Brothers als zwar respektables, aber ziemlich abgekühltes (Alt-)Eisen. Zumindest dürften sie den meisten Käufern ihres aktuellen Hits „Bird On The Wire“ völlig unbekannt gewesen sein, obwohl die Brüder aus New Orleans dank 15jähriger Live-Erfahrung einen unschlagbaren Groove aus dem Ärmel schüttelten. Das aber erkannte damals nur Burkhard Seiler, besser bekannt als Chef von Zensor, einem unabhängigen Label aus Berlin.
Seiler kam eigentlich aus der experimentellen Punk-Szene, hatte 1978 als Importeur von Singles begonnen und sich in den Anfangstagen seines Labels avantgardistischen Acts wie Frieder Butzmann oder The Normal gewidmet. Sein Herz für schwarze Musik. Reggae und klassischen Soul hatte er dabei nie verloren. So flog er 1985 auf eigene Faust nach New Orleans und klopfte einmal unverbindlich bei der Familie Neville an. Resultat: ein Deal mit Zensor und endlich die erste Europa-Tour der Nevilles.
Den heutigen Chart-Erfolg der Nevilles bei Polydor, nicht zuletzt ein Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit, sieht er ohne Bitterkeit: „Je besser man arbeitel, desto eher kommt man den großen Firmen ins Gehege. Aber ich habe nichts zu klagen. Nur war ich ein wenig enttäuscht, daß in allen Artikeln über die Nevilles der Name Zensor überhaupt nicht mehr vorkam. Doch ich genieße den Gedanken, wie mein eigenes Label Geschichte gemacht hat. Ich habe damals nicht im Traum daran gedacht, daß ich 1990 in Plattengeschäften mit Riesenpostern von Bands konfrontiert werde, die vor fünf Jahren auf Zensor waren, siehe Neville Brothers wie auch Sonic Youth.“
Diese Erfahrung kennt auch Uwe Tessnow. Als er 1979 seinen Job als Product Manager bei der Teldec schmiß und das Line-Label gründete, hatte er seine Lieblings-Shouter Mitch Ryder und Roger Chapman als Startkapital – und haute sie mit großem Engagement zu veritablen Seilern auf. Beide sprengten schließlich den organisatorischen Rahmen.
den Tessnows Mini-Firma bieten konnte: „Mit Mitch Ryder gab es gar kein Problem. Er hat damals einen guten Vertrag für eine Major-Platte unterschrieben und ist inzwischen wieder auf Line. Im Falle von Roger Chapman mußte ich mich entscheiden, ob ich das Label weitermachen soll oder umsatteln ins Management. Da habe ich mich fürs Label entschieden.“ Dort nämlich arbeitet er nach dem Prinzip, „das realisieren zu können, was mir immer durch den Kopf schwebte, im Rahmen meiner finanziellen Möglichkeiten den Künstlerstamm so zusammenzustellen wie meine eigene Schallplattensammlung.“
Nachdem die musikalischen Entwicklungen der frühen 80er von Tessnow anfangs wenig goutiert wurden, ist seine „Schallplattensammlung“ heute Zeugnis eines weitreichenden Geschmacks. Tessnow: „Ich bin offener geworden. In den Anfangsjahren war ich vorrangig auf den klassischen Rock-Bereich ausgerichtet und habe retrospektiv gedacht, wohingegen sich mein persönlicher Geschmack heute ausgeweitet hat. Ich gehe jetzt auch in die Avantgarde-Bereiche, Jazz, Country, Klassik, Elektronik oder auch deutschsprachige Musik der frühen 80er. Dabei ist eine Palette entstanden, die es mir erlauben würde, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. An Attraktivität wird mein Katalog nichts verlieren.“
Gute Musik ist nicht nur für Uwe Tessnow zeitlos. Sein Engagement in der Wiederveröffentlichung versunkener Perlen wird branchenweit gerühmt. Sein perfektes Know-how macht für ihn Risiken berechenbar. Von Hits will er nichts mehr wissen. Das Line-Label nebst seiner zahlreichen, von freien Mitarbeitern betreuten Unter-Label kann sich heute sogar den Snobismus leisten, ausschließlich CDs zu veröffentlichen.
Burkhard Seiler laviert dagegen auf einem dünnen Seil. Seine Hoffnungen ruhen auf musikalisch extremen Acts wie der Gruppe des Gitarristen Caspar Brötzmann und auf dem Pop-Exzentriker Jonathan Richman, der sich mit seiner neuen Platte „Jonathan Goes Country“ just sein bestes Werk seit Jahren auf den Teller gelegt hat. Die Verkaufserwartungen sind trotzdem gedämpft.
Aber auch Tessnow frönt einer aktuellen Vorliebe, über die er Gewinnmargen gerne vergißt: der amerikanische Singer-Songwriter Richard Barone. „Die Hoboken-Szene mit den dB’s, Feelies und Bongoes war für mich neben Texas immer eine der wichtigsten Quellen guter Musik. Ich spüre einfach Liebe zu dem, was Barone macht.“
Liebe als Idealismus. Für Alfred Hilsberg, vor zehn Jahren Punk-Papst und angeblich Erfinder der „Neuen Deutschen Welle“, zählt neben dem persönlichen Geschmack auch die kulturelle Aufgabe, der hiesigen Musikwelt den (vielleicht ungeliebten) Spiegel vorzuhalten. Seine Compilation „Geräusche Für Die 90er“ hat er zwar streng nach eigenem Gusto zusammengestellt, dafür aber über 200 Demo-Tapes inländischer Bands (ohne DDR) durchgearbeitet. Dieses Engagement macht ihn auch heute noch zum wohl besten Kenner der hiesigen Nachwuchsund Untergrund-Szene.
An seiner Motivation hat sich seit der Gründung des ZickZack-Labels 1980 (inzwischen neben What’s So Funny About, Scatch’n Sniff, Cashbeat und Fertig nur noch eins von fünfen in seiner Hand) nichts geändert: „Ich fragte mich, warum diese Gruppen keine Öffentlichkeit hauen. Also entschied ich mich, Platten von ihnen herauszubringen. Ohne Idee, was das überhaupt finanziell bedeutete, nur aus der Lust heraus, den Gruppen ein Forum zur Verfügung zu stellen und als Nichtmusiker selbst Teil der Szene zu sein.“
Mit den Jahren ist er in seiner Veröffentlichungspolitik vorsichtiger geworden, sieht sich (und Klein-Label überhaupt) aber trotzdem als richtige Ansprechpartner für hiesige Individualisten und „schwierige“ Stars vom Schlage des Gun Club (der gerade seine neue Platte dem „What’s So Funny About“-Label anvertraute). „Das ist die Funktion eines kleinen Labels: Musik zu fördern, die von den Großen aufgrund ihrer Firmenstruktur nicht aufgebaut werden kann. Die müßten ja völlig umdenken.“
Besonderen Wert legt Hilsberg auf die Förderung deutschsprachiger Musik: „Hör dir an, was Palais Schaumburg damals gemacht haben, Cpt. Kirk 1986, oder die Kolossale Jugend, Mutter und Die Erde heute machen. Es ist eine Annäherung von Sprache und Musik, die die deutsche Popkulutr aus ihrer Zweitrangigkeh befreien könnte. Es gibt ja auch bei den Großen die Tendenz, wieder deutsche Bands zu signen, siehe Polydor, CBS oder WEA’s Königshaus-Label. Schließlich können Maffay und Grönemeyer nicht ewig weitermachen.“
Wo andere aus der Fan-Perspektive zum Labelchef wurden, kennt Friedel Muders, Mitinhaber von Jaro/Fuego, sich bestens in den Interessen der Musiker aus: 1980 wurde er der Geschäftsführer des Vertriebssytems „Schneeball“. zu dem sich Musiker der links-alternativen Szene (Embryo, TonSteineScherben) zusammengeschlossen hatten, um ihre Produkte unter eigener Kontrolle anbieten zu können. Für Muders eine schlechte Erfahrung, denn zu oft sah er sich in seinen Befugnissen von Meinungsverschiedenheiten und organisatorischen Unpäßlichkeiten des Musikerkollektivs gelähmt. Daß in Deutschland professionelles Management fehlt und Verhandlungen mit Bands oft in Desastern enden, wird übrigens von vielen Labels moniert.
Als Graphiker und gefragter Cover-Designer hatte Muders ein finanzielles Standbein, das ihm 1984 erlaubte, mit Fuego ein eigenes Label ins Leben zu rufen. Zwar beschränkt sich Fuego auf höchstens fünf Produktionen im Jahr, dafür werden die betreffenden Künstler von Muders‘ Bremer Adresse auch in anderen Belangen betreut. Zu den Aufgaben des Jaro/Fuego-Managements gehört es z.B., daß Partner Uli Balß (neben seiner Zuständigkeit für das Klassik-und Avantgarde-Programm des Jaro-Labels) die Einnahmen aus dem Verlagsgeschäft sicherstellt und Tourneen organisiert – nicht nur im Falle des bulgarischen Frauenchores (der einen gewichtigen Teil des Umsatzes von Jaro/ Fuego stellt). Für die Musiker, die ansonsten grundsätzlich Schwierigkeiten haben, die geheimnisvollen Wege des Musikgeschäftes zu verstehen, eine angenehme wie lohnenswerte Partnerschaft.
Der Gruppe M. Walking On The Water, die mit ihrem Debütalbum auf Fuego 1987 überraschend fünfstellige Verkaufszahlen erreichte, besorgte Muders jüngst mit unendlichem Verhandlungsgeschick einen lukrativen, aber auch im Bereich künstlerischer Freiheiten befriedigenden Vertrag bei Polydor, „Außer daß wir jemanden haben, der das finanzielle Risiko trägt, hat sich für uns und die Gruppe nichts geändert. Wir haben genausoviel Arbeit mit Cover und Management, die Gruppe hat alle Freiheiten – und bekommt dafür ein Monatsgehalt. „
Berührungsängste mit den großen Firmen kennt Friedel Muders nicht. Für ihn ist es ein ganz normaler Schritt, denn aufgrund hoher Produktionskosten kam das Label bei der letzten M. Walking-LP trotz guter Verkäufe nur auf plusminus Null. Polydor rechnet nun mit den dreifachen Verkaufszahlen. Gibt es für kleine Label ein generelles Vertriebsproblem?
Muders: „Ich habe damals die Gründung der Indie-Vertriebe Rough Trade und EfA aus nächster Nähe miterlebt und tue mich aus diesem Grunde schwer, dort Druck zu machen, denn ich kenne die Probleme. Die Probleme liegen weniger beim Indie-Vertrieb, sondern in der Abhängigkeit der mittleren und kleineren Plattenläden von den Industrie-Vertrieben. Für meinen Vertriebspartner Rough Trade ist es unmöglich zu sagen: Wir stellen jetzt in jeden Laden 50 Platten, und das möglichst ohne Rückgaberecht. Die Industrie kann das locker machen. Sogar mit Retouren, denn der Laden wird sich hüten, die Retoure auszunützen, weil er dann möglicherweise seine Prozente verliert.“
Mit straffer Organisation und geringem Produktausstoß gelingt es Muders (der Wort auf die Feststellung legt, seinen Lebensstandard in den letzten zehn Jahren nicht verändert zu haben: Er verbringt auch heute noch seinen Urlaub auf dem Campingplatz), die Firma auf festem, überschaubarem Terrain zu halten. Den Rest besorgt der Workaholic in ihm.
Im Falle des Bonner Labels Normal (hervorgegangen aus einem Schallplattenladen) ist der auf schwer erhältliche Importe spezialisierte Versandhandel Standbein und Impulsgeber für die Label-Arbeit. 1986 begann Normal, Produkte des neuseeländischen Flying Nun-Labels zu importieren. Es folgten in Deutschland gepreßte Lizenzveröffentlichungen, und mit den Chilis gab das Label inzwischen seine bestverkaufende Band an Metronome ab.
Als Grund dafür, ausgerechnet mit der geografisch entferntesten Musikszene zu kooperieren, gibt Stefan Werner, einer der beiden Labelgründer, Tips von befreundeten Fans und Journalisten an. Da die Verbreitung von Telefax-Geräten die Welt immer kleiner werden ließ, dauerte es nicht lange, bis Normal auch im benachbarten Australien als beste Adresse in punkto Lizenzpartnerschaft galt.
Nun ist es eine der schwierigsten Übungen für ein Label, hierzulande unbekannte Künstler (die zudem noch am anderen Ende der Welt ihr Dasein fristen und kaum einmal live zu sehen sind) allein mit einer LP durchzusetzen. Eine Aufgabe, die einen für Klein-Label wunden Punkt berührt: die Promotion. Den Gegensatz zu anderen Klein-Label sieht Werner darin, daß Normal alles unternimmt, den eigenen Fan-Geist zu multiplizieren. Von den sechs Normal-Mitarbeitern sind drei damit beschäftigt, das Produkt auch dort bekannt zu machen, wo es noch nicht vor eingefleischten Fans wimmelt. Dennoch gibt es auch dafür Grenzen: „Im Falle der Chilis gab es eine ausgezeichnete Medienresonanz, aber sie hat nicht die Leute angesprochen, die wir mit unserem Vertriebspartner erreichen konnten. Für uns waren sie zu poppig, für ihre neue Firma sind sie heule noch zu schräg. Bin mal gespannt, wie die WEA jetzt mit DinosaurJr., die bei uns doch eigentlich ganz gut aufgehoben waren, zurechtkommen wird.“
Mit Louis Tilletts „Ego Tripping At The Gates Of Hell (Platz 2 in der MÜV-Liste 1/89) erreichte gleich die erste Zusammenarbeit von Normal und dem australischen Citadel-Label erstaunliche Verkaufszahlen. Gerade für ein kleines Label ist es immens wichtig, auch auf internationalem Terrain aktiv zu sein. Während Line Records seine CDs dank exklusiver Rechte bis in die entlegensten Ecken der USA exportiert, sichert sich Normal die gesamteuropäischen Vermarktungsrechte für einen Großteil der Rock-Szene zwischen Sydney, Perth und Melbourne.
„Gerade für die Australier ist es wegen ihrer extremen geographischen Luge relativ schwierig, in Europa Fuß zu fassen“, resümiert Stefan Werner. „Viele sind in der Vergangenheit gelinkt worden und wissen einen vertrauenswürdigen Vertragspartner zu schätzen.“
in den Anfangstagen von Normal (1982) hätte Stefan Werner wohl nicht im Traum daran gedacht, einmal in weltweite Aktivitäten eingebunden zu sein. Für das kleine Hamburger Label L’Age d’Or. hier stellvertretend für eine neue Generation von Klein-Label genannt, klingt das heute ebenso utopisch. Die beiden Labelchefs Pascal Fuhlbrügge und Carol Von Rautenkranz sind absolute Newcomer im Geschäft. Ihre erste Veröffentlichung datiert von Ende ’88 und war eine Single der Gruppe Kolossale Jugend (bei der Pascal auch Gitarre spielt). Von ihnen gibt es heute zwei bundesweit gut verkaufter LPs. dazu noch weitere Titel deutscher, „möglichst auch deutsch singender“ Acts. „Amis kauft jeder“, meint Carol. „das wäre für uns keine Herausforderung. „
Der Ursprung des Labels liegt in der lokalen Szene, in der sich auch die Labelchefs aufhalten: Hamburg-St. Pauli. „Wir haben Festivals organisiert und dabei gesehen: Es gibt durchaus interessante Bands. Machen wir also ’ne Platte draus. Auf diesem Level läuft es so, daß man die Bands zunächst privat kennenlernt und sie dann erst aufs Label nimmt. Wichtig ist vor allem, daß wir das Gefühl haben müssen:
Die Bund hat Bestand und löst sich nicht morgen schon wieder auf.“
Wer diese Bedingung erfüllt, darf im Label-eigenen Studio produzieren und wird von der Label-eigenen Booking-Agency auf Ochsentour durch die hiesigen Live-Clubs geschickt. Auf diese Weise erspielte sich die Kolossale Jugend über die Grenzen ihrer Heimatstadt heraus zwischen Flensburg und Garmisch einen Ruf. der es dem Label heute erlaubt, erste vorsichtige Schritte in Richtung Professionalität zu unternehmen. „Geld haben wir nie reingesteckt. Wir hatten ja gar keins. Ohne Idealismus würde es das Label gar nicht geben. Wenn du anfängst, kannst du nur Idealist sein. Man kann jetzt zwar absehen, daß irgendwann einmal etwas Geld hängen bleibt, aber was man im Laufe der Jahre dafür alles hineingesteckt hat, ist nur mit Idealismus zu entschuldigen.“
Da kann auch der alte Pate Hilsberg nur zustimmen: „Die Macher der Labels müssen Fans bleiben. Das ist und bleibt die Überlebensvoraussetzung. Ohne die Liebe zur Musik kann das einfach nicht funktionieren. Wir sind hier besonders darauf aus. etwas zu entdecken und zu fördern, was sich der üblichen Vermarktungsindustrie nicht unterwirft. Die Ideen und die Phantasie dazu können nur von Fans kommen. „
Uwe Tessnow hingegen schränkt da gleich ein: „Man braucht fundiertes kaufmännisches Wissen, allein wegen Steuer, Gema und Lizenzabrechnungen. Nichts ist so enttäuschend wie eine Plattenfirma zu starten, um dann im Dschungel der Administration unterzugehen. Ansonsten zählt nur die wirkliche Liebe zur Musik. Man kann mit jeder musikalischen Aussage überleben, wenn man an sie wirklich glaubt. Und wenn das so ist, dann bitte soviele Plattenfirmen wie möglich, so kommunikativ und so hingabevoll wie möglich. Was wir brauchen, sind noch mindestens 50 Plattenfirmen mehr in Deutschland.“
„Ich bin sehr gerne unabhängig. Ich find’sgut“ – so gelassen wie Burkhard Seiler es hier formuliert, möchte Carol von Rautenkranz auch gerne reden. Zur Zeit muß er nämlich alle Arbeit allein machen: Partner Pascal Fuhlbrügge kuriert gerade seinen zweiten Nervenzusammenbruch.