In der Stille bewegt sich was

Rund 15 Jahre ist es her, dass der Pfarrerssohn Tilmann Otto auszog, sein GlĂĽck zu suchen. Als ĂĽberall respektierter Roots-Reggae-Poet Gentleman findet und erneuerteres heute in seiner Kunst und immer wieder auf Jamaika.

You’re from Germany?“ Der schwarze, spindeldĂĽrre HĂĽne vor dem Eingang des Hotels „Altamont“ in Kingston reagiert geradezu euphorisch. „Do you know Gentleman?“ Wir nicken. Klar, Gentleman, der Reggae-Superstar aus Köln, wer kennt den nicht? Der Riese fährt seine krakenhafte Rechte aus und richtet seinen Zeigefinger auf den Tower des „Pegasus“-Hotels, der sich in seinem RĂĽcken ĂĽber die umliegenden Gebäude erhebt. „Da wohnt der gerade. Hab‘ vor zehn Minuten mit ihm telefoniert. Und Stephan, sein Manager, wohnt hier.“ Er deutet auf das Haus, das wir gerade verlassen haben. „Im Altamont.“

Wenn wir nicht wĂĽssten, dass er Recht hat, wir wĂĽrden ihn fĂĽr einen Spinner haken. Vor allem, nachdem er uns seinen Namen verraten hat: Skellian, ein Ausdruck auf Patois, dem jamaikanischen Dialekt. Zu Deutsch, so erklärt es uns der Pförtner des Altamont, bedeutet das wohl so viel wie „Suppenkraut“ oder „Petersilie“. Bob Marley höchstselbst, der frĂĽh verstorbene Messias des kleinen Eilands, soll ihm diesen Kosenamen verpasst haben. „Der ist mit meiner Mutter in die Schule gegangen und sagte zu mir, als ich noch ein kleiner Junge war: Du bist Skellian! „Wir mĂĽssen lachen. Er sieht wirklich aus wie eine ĂĽbermäßig gedĂĽngte GemĂĽsepflanze. Aber er nimmt es mit Humor. BloĂź – ob die Geschichte auch so stimmt? FĂĽr ein paar Dollar erzählen dir die Menschen hier alles, wovon sie glauben, dass du es hören willst. Denn fĂĽr die meisten von ihnen geht es Tag fĂĽr Tag ums Ăśberleben. FĂĽr amerikanische Pauschaltouristen mag Jamaika der Inbegriff karibischer Lebensfreude sein. FĂĽr die Einheimischen ist es ein in weiten Teilen verarmtes Land, das auch 35 Jahre nach seiner Unabhängigkeit von der Kolonialmacht GroĂźbritannien nicht recht erwachsen werden will. Wer es bereist, kurvt stundenlang ĂĽber löchrigen Asphalt und blickt dabei in die wartenden Gesichter meist junger Menschen am StraĂźenrand, deren Tage beschäftigungslos vorĂĽberziehen und denen nichts bleibt als die vage Hoffnung, dass etwas passieren möge, irgendwas.

Auf dieser Insel, nicht mal halb so groĂź wie Hessen, deren einzige relevante Rohstoffquelle Bauxit in der Hand ausländischer GroĂźunternehmen und deren einzig wirklich florierender Geschäftszweig neben dem Kaffeeanbau die Musikindustrie ist, finden KĂĽnstler wie einst Bob Marley oder heute Bounty Killer und Beenie Man mehr Gehör als viele Politiker. Die meisten der 2,7 Millionen Einwohner tragen A frika im Herzen – ein Umstand, der eben auch in der widersprĂĽchlichen Kultur der Rastafari seinen Ausdruck findet. Viele Vorfahren der heutigen Jamaikaner wurden während der britischen Kolonialzeit auf die Insel verschleppt. Fast jeder hier hat seine ganz persönliche, bisweilen tragische Geschichte, die ihn untrennbar mit seinem Land verbindet.

Allerdings mögen Besucher aus dem fernen, reichen Europa den Jamaikanern nicht weniger wunderlich erscheinen. Ein Weißer mit bürgerlich-protestantischen Wurzeln wird hier normalerweise ein Fremder bleiben. Bei Gentleman aber ist das augenscheinlich anders. Seit rund 15 Jahren besucht er regelmäßig die Insel, Patois spricht er, als habe er es von seiner Mutter gelernt, und auch Tamika, seine Freundin, stammt aus Jamaika. Obwohl er keinen eigenen Wohnsitz in Kingston hat, sind er und sein Manager Stephan Schulmeister doch im dicht verwobenen Musikernetzwerk des Eilands hoch angesehene Strippenzieher und längst keine Exoten mehr.

Nach Skellian, der fĂĽr ihn auf seinem orangen Fahrrad dann und wann Botendienste erledigt, können wir Gentleman aber gerade nicht fragen. Er hat sich ins „Pegasus“ zurĂĽckgezogen und sucht in der nächtlichen Ruhe ĂĽber dem Kingstoner Moloch nach einer letzten Strophe fĂĽr ein noch namenloses StĂĽck, das auf seinem neuen Album Another Intensity erscheinen soll. In zwei Tagen startet der Flieger vom Kingston Airport ĂĽber Miami zurĂĽck ins kĂĽhle Köln. Bis zum Check-in mĂĽssen die ausstehenden Aufnahmen endgĂĽltig im Kasten sein, sonst fällt das Tracklisting der Platte unwiderruflich kĂĽrzer aus als geplant. Aber wäre das denn wirklich so schlimm? Wann ist ein Album denn fertig? Bei zehn, 15 oder 20 Tracks? Bei 30, 60 oder 90 Minuten Spielzeit? „Es muss rund sein“, hat Gentleman morgens – noch halbwegs entspannt und ausgeschlafen – erklärt. „Manchmal fehlt eben was Schnelles oder vielleicht ein Love-Song. Und erst, wenn dieses Mosaiksteinchen dazukommt, ist ein Album komplett.“

Die Zeit drängt. Gentlemans Label, 4 Music, hat die Promotion-Maschinerie bereits angeworfen. Zeitgleich zieht die sommerliche Festivalkarawane ĂĽber Europa und lechzt nach Riddims und Lyrics jenes Mannes, der vor 32 Jahren in OsnabrĂĽck das Licht der Welt erblickte und den eben diese Welt nun noch besser kennen lernen soll: als die wohl schwärzeste Stimme, seit WeiĂźbrote Reggae machen. In 16 Ländern soll der Nachfolger des Nummer-1-Erfolgs Confidence erscheinen, das allein in Deutschland bis heute mehr als 250.000 Käufer fand. „‚Ne schnelle Nummer“ soll es werden, das fehlende Opus, dessen elektronisch-treibenden Riddim Gentleman im heimischen Köln geschrieben und mit seiner Far East Band aufgenommen hat. „So richtig Punkrock“, sagt er und grinst, weil er weiĂź, dass zwischen Punk und Reggae zumindest musikalisch Welten liegen. Doch so munter die Worte letztlich ĂĽber die Lippen sprudeln sollen, so zäh flieĂźen jetzt die Ideen. Mag sein, dass solche zwischenzeitlichen Blockaden mit den gestiegenen AnsprĂĽchen zu tun haben, die Gentleman an sich selbst und seine kĂĽnstlerische Arbeit stellt, Another Intensity, den Albumtitel, will er jedenfalls nicht als „irgendwie dahingesagt“ verstanden wissen. „Vielleicht ist es ja normal, dass man sich mehr Gedanken macht, wenn man älter wird“, sinniert er. „Ich musste mir vor dieser Platte neu darĂĽber klar werden, was ich in meinen Texten eigentlich ausdrĂĽcken will. SchlieĂźlich habe ich auch zwei Kinder, und ich will nicht, dass die im Radio irgendwelchen Blödsinn von mir hören.“ Eigentlich arbeitet Gentleman in Kingston ungern an seinen Texten. Denn die Millionenstadt Kingston ist viel zu laut.

„Wenn man schreibt, muss man auf sein Innerstes hören“, sagt er. „Und dafĂĽr braucht man Ruhe.“

Diese Ruhe hat er schon häufiger im Nordosten der Insel gefunden, in einem parkähnlichen Resort nahe der kleinen Hafenstadt Port Antonio. Hier gehen die Lichter so zeitig aus, dass man morgens auch zeitig aufwacht. AuĂźer einem echt sizilianischen Restaurant jenseits der mit Schlaglöchern gepflasterten AutostraĂźe gibt es kaum Ablenkung, nicht kultureller und schon gar nicht touristisch-folkloristischer Art. Die kleine Badebucht („Frenshman’s Cove“) ist umrahmt von Felsen und ĂĽppigem GrĂĽn. Direkt am FuĂźe des goldgelben Sandstrands flieĂźt ein kristallklarer SĂĽĂźwasserbach ins Meer. Hier geschossene Fotos geraten unweigerlich zum Postkartenmotiv. Wenige Kilometer westwärts findet sich die „Blaue Lagune“, in der der gleichnamige Film mit Brooke Shields entstand. Ebendiese Kitschgewalt mögen Zyniker beim Anblick des Gentleman’schen RĂĽckzugraums auch empfinden. Aber wunderschön ist es hier trotzdem. Und so ruhig, wie es sein soll. In solch einer Umgebung könnten Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis genascht haben. Bei Gentleman ist es zwar nur ein Baumstumpf, aber immerhin. Der lädt vor der zum Meer gewandten RĂĽckseite des Hauses dazu ein, sich darauf niederzulassen. Ein GroĂźteil der Lyrics entstand hier: „Ich habe viel gelesen während der Arbeit am neuen Album“, sagt Gentleman, „und nach Wahrheiten gesucht, nach Worten, die mich umhauen . „Dem Buch „The Good Life“ von Charles W. Colson und Harold Fickett verdankt er den Titel des Albums. „We got to be still, but still moving into another intensity“, heiĂźt es darin. Ein Satz, mit dem sich Gentleman voll identifiziert: „Das ist genau das, worum es geht: weniger oberflächlich sein, den ursprĂĽnglichen Wahrheiten des Lebens wieder auf die Spur kommen.“

Nicht zuletzt deshalb hat Gentleman den Wunsch seines Labels nach mehr tanzbaren StĂĽcken auf seinem neuen Label nicht wirklich erfĂĽllen können. Auch Another Intensity ist ein vor allem im klassischen Reggae wurzelndes Werk geworden. „Ich habe nichts gegen Party, und ich will auch mal einen Love-Song schreiben dĂĽrfen. Aber zentral ist fĂĽr mich doch die Suche nach Wahrheit. Und das ist eben im Roots-Reggae anders möglich als im Dancehall. Reggae hat eine lange Tradition und wurde immer dazu benutzt, die realen Umstände zu verarbeiten. Und das mache ich auch.“ Der Erfolg gibt ihm recht: „Die Resonanz auf die letzten Platten zeigt mir, dass dieser Weg richtig ist. Plötzlich steht eine Roots-Reggae-Platte in den deutschen Charts auf Nummer eins. Damit konnte niemand rechnen. Aber diese Art von Bestätigung hilft dir als KĂĽnstler sehr. Ich ziehe daraus sehr viel Kraft.“

Es gab eine Zeit, da war alle Kraft flöten. Zweieinhalb Jahre nach dem Erscheinen von Confidence, nach zweieinhalb Jahren voller Auftritten zwischen Köln, Kingston und Casablanca, waren die Akkus leer gespielt und leer gesungen. Von einer Krise will Gentleman nicht reden, vielmehr sei so ein Tief absehbar gewesen und normal nach so langer Zeit voller Aktivität. „Ich konnte zu dieser Zeit nicht einmal Musik hören. „Und doch drängten Plattenfirma und Publikum, verlangten nach einem neuen Geniestreich.

Es dauerte eine Weile, ehe die Lust am Musikmachen bei ihm neu erblĂĽhte. „Der Anfang ist sowieso immer das Schwierigste an einer Platte. Aber diesmal war es besonders schwer“, sagt Gentleman. „Allerdings: Das Schöne am Leben als KĂĽnstler ist ja, dass man ausdrĂĽcken darf was einen bewegt. „So entstand das StĂĽck „Emptyness“, das diesen eigenartigen Zustand des Wollens-aber-nicht-Könnens beschreibt, dem von Zeit zu Zeit kein kreativ tätiger Mensch entkommen kann. „Es ist ein groĂźes GlĂĽck, KĂĽnstler sein zu dĂĽrfen“, sagt Gentleman dennoch, trotz solch anstrengender Tage, wie er sie gerade erlebt. Während der Produktionsphase pendelte er monatelang zwischen Köln und Kingston, und dort zwischen einer Vielzahl von Studios hin und her. „Die Unterschiede zwischen Köln und Kingston verschwimmen zusehends“, sagt Gentleman. „Das neue Album ist vor allem im Herumreisen entstanden.“ Er beschreibt damit gleichsam Fluch und Segen der zunehmenden Digitalisierung der Produktionsbedingungen und der schier unbegrenzten Mobilität, die die Globalisierung mit sich bringt. „Fast alle Studios sehen heutzutage gleich aus“, sagt Gentleman. Beinahe jeder Toningenieur dieser Welt arbeitet mit Hard- und Software nach dem „Pro Tools“-Standard, der die Austauschbarkeit der Tonspuren garantiert. In Köln eingespielte Bläser können also unkompliziert in einem Kingstoner Studio weiterverarbeitet werden. FĂĽr den KĂĽnstler und sein Schaffen bedeutet das größte Flexibilität. Sind die von Shaggy („Oh, Carolina“) aufgebauten „Big Yard“-Studios gerade nicht frei, bucht Manager Stephan eben das Cellblock-Studio in einem anderen Viertel Kingstons. Die Technik ist dieselbe. „FrĂĽher, als alles noch analog war, klang jedes Studio anders“, erklärt Gentleman. „Heute klingt im Prinzip ĂĽberall alles gleich. „Vielleicht ĂĽberlässt er deshalb den Endmix auch diesmal Steven Stanley. Der ehemalige Chief Engineer von Islands Records, der in den 70er- und 8oer-Jahren Bands wie Talking Heads oder Black Uhuru zu Stars machte, besitzt noch ein weitgehend analoges Studio und damit seinen ganz persönlichen Sound. Noch aber sind längst nicht alle Audiodaten in den Stanley-Studios. Noch brĂĽtet Gentleman ĂĽber den letzten Bausteinen, die sein Werk komplett machen sollen. Und die Deadline rĂĽckt näher und näher. „Gestern konnte ich noch sagen, morgen hast du noch Zeit“, sagt Gentleman. „Das kann ich jetzt nicht mehr.“

Die Nachrichten aUS dem „Pegasus“ tröpfeln nur spärlich. Gentleman sei mĂĽde, heiĂźt es, er wolle erst einmal schlafen. Währenddessen besprechen die mitgereisten Begleiter im Hotel Altamont schon weitere Details des Albums. Der erste von insgesamt vier Studioterminen am nächsten Tag verschiebt sich auf den Nachmittag. Um 14 Uhr, so die Ansage, sollen wir Gentleman abholen. In Situationen wie diesen, da der Druck wächst, ist ein sicheres Fundament fĂĽrs eigene Ich Gold wert. Gentleman verfĂĽgt ĂĽber so eine Basis. Der ĂĽberwältigende Zuspruch der vergangenen Jahre ist nur ein Grund, aus dem ihm Kraft und innere Ruhe zuwachsen. Ein anderer ist „die Gewissheit, dass es einen Gott gibt, dass alles irgendwie gut ist“. Tilmann Otto wuchs als Sohn eines evangelischen Pfarrers auf und damit ganz selbstverständlich in den Glauben hinein. Gott definiert er heute als „ein GefĂĽhl des GlĂĽcks und der Liebe, das ĂĽber die normalen GefĂĽhle weit hinausgeht und nach dem ich mich sehne“. Vom daraus erwachsenen Grundvertrauen in das Gute im Menschen zehrt Gentleman noch immer, auch wenn er der Kirche, in der er groĂź geworden ist, zumindest innerlich längst den RĂĽcken gekehrt hat. „Irgendwann wurden meine Fragen dort nicht mehr beantwortet“, sagt er. Nach der Konfirmation machte sich Tilmann auf die Suche nach seinem Gott. Er hörte die Platten seines groĂźen Bruders, von Marley, Peter Tosh und Dennis Brown, und war fasziniert: „Da war von schönen Sachen die Rede, aber auch von Babylon, von der kalten, kapitalistischen Welt. „Mit 17 begab er sich auf seine erste groĂźe Reise, erst nach Jamaika, dann nach Indien. Ein Rastafari aber wurde er nie. „Da gibt es innerhalb dieser Kultur völlig entgegengesetzte Strömungen, die so paradox sind, dass ich sie bis heute nicht verstanden habe. Aber wo es bei mir immer aufhört- auch wenn ich Marley höre-, ist religiöser Dogmatismus. Und beim Glauben an den alttestamentarischen Gott, der keine Gnade kennt und sogar Kinder tötet. „Heute, als Gentleman, hat Tilmann seinen Frieden mit seinem Glauben gemacht, nicht ohne weiter auf der Suche zu sein. „In der Musik kann ich mit mir im Einklang sein, auch zusammen mit anderen Menschen. Da kann ich spĂĽren, dass es noch etwas anderes gibt als das Babylon-System und dass ich auf dem richtigen Weg bin.“

Im Morgengrauen hat sich endlich auch die Eingebung fĂĽr die fehlende Strophe eingestellt. „Vier Uhr morgens ist ’ne gute Zeit fĂĽr mich „, sagt er ganz gelöst, als Natty, sein treuer Fahrer, und wir ihn mit dem Auto am „Pegasus“ abholen. „Da habe ich oft gute Ideen.“ Der erste Weg fĂĽhrt in Shaggys „Big Yard“-Studios. „Das ist angenehm da“, sagt Gentleman. „Klimatisiert. “ DrauĂźen kocht die Sonne den Asphalt weich, das Quecksilber klettert weit ĂĽber die 30-Grad-Marke. Drinnen nimmt Gentleman den Song „Missing Those Days“ ab, eine fĂĽr ihn eher untypische, mit dem Kölner HipHop-Produzenten Bonnie Blanco eingespielte Ballade. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht entschieden, ob das StĂĽck aufs Album kommt. Das holzgetäfelte Studio riecht wie eine finnische Sauna, aber zum GlĂĽck ist es hier deutlich kĂĽhler. Der Engineer Barry O’Hare regiert ĂĽber ein Mischpult, das auch als Steuerkonsole eines Raumschiffs durchgehen wĂĽrde. Eine gute Stunde lang korrigiert Gentleman Details seiner Melodie, dann verlässt er die Gesangskabine – sichtlich zufrieden: „Better energy“, sagt er.

Nächste Station: das „Cellblock“-Studio. Hier hat sich der junge Gentleman 1998 seine ersten Sporen als Reggae-Sänger auf Jamaika verdient. „Keine Fotos von Leuten auf der StraĂźe“, schärft uns Stephan ein. Die Gegend ist nicht unproblematisch, die Polizei hat hier nicht viel zu melden. “ Uns ist hier allerdings noch nie was passiert“, sagt er. „Die Leute kennen uns inzwischen.“ Das Studio ist winzig, aber die technische Ausstattung entspricht dem gängigen Standard. Den Namen „Cellblock“ habe es keineswegs aufgrund seiner heiklen Lage, erzählt EigentĂĽmer Cyl Gordon gut gelaunt. Vielmehr sei hier ein Sänger einmal eine knappe halbe Stunde in der Gesangskabine eingesperrt gewesen, weil das Schloss klemmte.

Hier singt Gentleman die Strophe ein, die er in der vergangenen Nacht geschrieben hat. Noch kann er den Text nicht auswendig. Immer wieder spitzt er auf den Zettel, den er auf der Herfahrt noch im Auto studiert hat. In den kurzen Pausen sitzt er mit seinen Buddys auf einer Bank im Innenhof. Ein groĂźer Baum spendet Schatten. „Hier hat mich Luciano, die Reggae-Legende, ganz am Anfang mal zur Seite genommen. Ich benutzte in meinen Lyrics damals noch böse, aggressive Wörter. Es war schon dunkel, und Luciano sagte zu mir: ‚Texte positiv, und du wirst es ans Licht schaffen!‘ Im selben Moment ging das Licht an, und Luciano rief: Jah! Jah!‘ Ich habe mich furchtbar erschrocken und war total beeindruckt. Dabei hatte nur ein kleiner Junge den Bewegungsmelder ausgelöst.“‚ Auf fruchtbaren Boden sind Lucianos Worte dennoch gefallen. Den bösen Buben spielt Gentleman längst nicht mehr, es wĂĽrde auch gar nicht zu ihm passen. Am 24. August erscheint Another Intensity, sein neues Album mit Gastauftritten von Jack Radics, Sizzla und Souldiva Diana King. In einem Videoclip wird möglicherweise ein langer, hagerer Mann auftreten. „I’m a dancer“, behauptet er von sich, und spricht dabei – patois-typisch – das Wort „dancer“ aus wie „Danzer“, wie den Nachnamen eines kĂĽrzlich verstorben österreichischen Liedermachers. Gentleman denkt ĂĽber eine Rolle nach. Skellian wäre die glĂĽcklichste Petersilie der Welt. www.journeytojah.de