„In der Mischung kommt eine Formel raus, die unsere Zeit beschreibt“: Techno-Legende Westbam/ML über seinen Track mit Bausa und Jägermeister als Szene-Getränk
Wer dieses Jahr auf dem Parookaville Festival unterwegs war, konnte ihn kaum übersehen: Den Jägermeister Gigant*. Die drei Floors mit Club in Form einer großen Jägermeisterflasche waren nicht nur Begegnungsstätte für feierlustige Raver, sondern auch für ungeahnte Kollabos aus verschiedenen Musikrichtungen. Das haben Rapper Bausa und Techno-DJ Westbam mit ihrem Track „Alle Warten auf den Drop“ bewiesen.
Zwischen tanzenden Menschen und zertrampelten Gras, Gelächter aus undefinierbaren Ecken, dumpf klopfenden Bässen und dem leisen Klink klirrender Flaschen steht auf dem Parookaville die größte Flasche von allen: der Jägermeister Gigant. 300 Quadratmeter voller Energie, schlafloser Nächte, Shots und Augenblicke, die für immer dauern.
Irgendwo dazwischen Maximilian. Die Techno-Szene hat den 57-jährigen Techno-Guru auf den Namen „Westbam“ getauft, nach seiner Nordrhein-Westfälischen Herkunft und dem dem Hiphop-Namensgeber Afrika Bambaataa. Er ist der Michelangelo des deutschen Techno, Gründer des Mayday-Raves, einer der Urgesteine der Love Parade, Ideengeber zu Marushas „Somewhere over the Rainbow“ und eine essenzielle Figur in der Berliner Partyszene der 80er und 90er.
Michelangelo ist dabei gar nicht so weit hergeholt: „Früher hat die Katholische Kirche große Arbeiten in Auftrag gegeben, wie die Fresken der Sixtinischen Kapelle. Heute ist es Jägermeister, die Neues entstehen lassen“, philosophiert Westbam im Interview mit Musikexpress. Das Neue ist in diesem Fall ein einzigartiger Mix aus Rapper Bausa und Westbam, vereint in dem Track „Alle warten auf den Drop“, der heute erscheint.
Mit Westbam haben wir über das Aufeinandertreffen von Menschen, Epochen und Sounds gesprochen.
Wie Run DMC dem Party-Veteran auf den Geschmack von Jägermeister gebracht hat, was sich Techno von Rap abgucken kann und vice versa, und warum Hippies in Schlapphüten sein DJ-Herz höher schlagen lassen: Westbam und Musikexpress im Interview.
Musikexpress: Du hast auf dem Parookaville dieses Jahr zwei Sets gespielt, davon eins im Jägermeister Gigant. Wie war das für dich?
Westbam: Der Jägermeister Gigant war ganz toll. Nach meinem Gig traf ich auch Paul Elstak, der Erfinder von Gabba aus Rotterdam, den ich seit 1992 nicht mehr getroffen habe. Für mich sind Festivals eine Erfahrung, bei der ich beobachten kann, wie junge Menschen feiern. Das ist auch kulturell für mich interessant.
Musikexpress: Wie feiern junge Menschen denn heute?
Westbam: In der ganzen Technokultur gab es immer eine Spannung zwischen Overground und Underground, die Guten vs. die Schlechten. Ein DJ, der Geld verdient, ist böse. Was mir auffällt ist, dass der Trend bei solchen Festivals zu einem nahtlosen Übergang aller Popkultur geht. Der Übergang von intellektuellem minimal Techno zu Ballermann ist fließend. Es ist eine große Range, die ineinander übergeht.
Musikexpress: Das spiegelt sich ja auch in den Menschen wieder, die vor dir tanzen. Wie passt so eine vielseitige Menschenmasse zusammen?
Westbam: Wenn es eins an Musik gibt, dann ist es doch, das es alle Menschen zusammenbringt. Musik soll nicht trennen. Doch manchmal bin ich schon überrascht: ein Hippie mit Schlapphut, der Ausdruckstanz übt. Von solchen Leuten bin ich fasziniert.
Musikexpress: So ein Event vereint viele Menschen. Alle sind da, um deine Musik zu feiern. Das fühlt sich fast konträr an zu einer gesellschaftlichen Bewegung, in der Menschen zunehmend auseinander zu treiben scheinen.
Westbam: Exactement! Das kennt man von überall, von seiner Familie, von seinen Freunden – Leute, die sich nicht mehr treffen, steigern sich in Fremdhass. Im politischen Sinne sind solche Gatherings [wie im Jägermeister Giganten] deswegen etwas sehr Gutes.
Musikexpress: Macht die Größe der Begegnungsstätte dabei einen Unterschied?
Westbam: Wichtig ist, wie intensiv zusammen kommuniziert wird. Bei der Love Parade gab es Zeiten, wo ich vor einer Million Menschen gespielt habe und mich trotzdem gefühlt habe, als würde ich zuhause sitzen und Kassetten mischen. Es war sehr intim. Die Tanzfläche ist ein Ort der Kommunikation, eine Verbindung zwischen mir, der Musik und den Tanzenden.
Musikexpress: Wie war es dann, in einer riesigen Jägermeister-Flasche zu spielen?
Westbam: Ich bin ja ein kleiner Jägermeister-Fan. Das war wie in einem Raumschiff zu spielen. In den 90ern hätte man gesagt, dass ich mich mit diesem Projekt ausverkauft habe. Ich bin aber schon immer Jägermeister-Fan. 1987 sind die Beastie Boys und Run DMC nach Berlin gekommen. Nach ihrem Gig haben die dann in unserem Partyzelt „Die Macht der Nacht“ gefeiert, wir waren die heißeste Party in Berlin. Nach einer Rap-Performance fragten mich DMC und Ad-Rock, „hey, do you know where I can get this Jägermeister?“ Das war das erste Mal, dass ich von Jägermeister als Szene-Getränk gehört habe.
Musikexpress: Du bist ein wandelndes Lexikon der Musikgeschichte. Momentan werden ja viele Einflüsse aus den 80er- und 90er-Jahre wieder aufgegriffen.
Westbam: Das ist stärker geworden. Die 80er sind ja schon ’97 zurückgekommen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass das 80er-Revival schon länger als die 80er ging. Dann wurde es abgelöst durch das 90s-Revival, und jetzt wird es wieder abgelöst durch ein 80s-Revival, mit Versatzstücken aus den 60ern und 70ern. So ist auch die DJ-Kultur: Alles wird ständig neu verwertet und ist immer dann gut, wenn es durch eine neue Sichtweise neu belebt wird. Ein hohles Zusammenklauen in der Hoffnung, dass die Kids das nicht mehr kennen, ist nichts. Jetzt kommt Gabba zurück, ganz schnelle Rave-Musik. Da gibt es Künstler, die rappen auf Gabba mit Autotune und Schlagertexten. Das würde ich mir nicht privat anhören, aber als Kulturhistoriker ist das spannend, denn es bildet die Realität von jungen Leuten wieder, die sich mit dieser Diversität identifizieren. In der Mischung kommt eine Formel raus, die unsere Zeit beschreibt. Im Guten wie im Schlechten.
Musikexpress: Die Verstrickung in der Verstrickung.
Westbam: Ganz genau, „Die Gesellschaft der Gesellschaft“, Niklas Luhmann!
Musikexpress: Wie ist denn „Alle warten auf den Drop“ entstanden?
Westbam: Früher hat die Katholische Kirche große Arbeiten in Auftrag gegeben, wie die Sixtinische Kapelle. Heute kommt Jägermeister, sagt „wir nehmen jetzt einen Bausa, wir nehmen einen Westbam, und es entsteht was Neues!“ Und es stimmt auch. Wirtschaft übernimmt das, was früher die Katholische Kirche war. Ein Auftrag verfolgt ein eigenes Interesse, durch das neue Kultur und Kunst passiert. Ich habe die Grundlage für den Track zur Verfügung gestellt, da hat Bausa drauf gerappt, dann habe ich wieder weiter produziert.
Die Hook „Alle warten auf den Drop“ ist ein Prinzip, das schon seit dreißig Jahren gilt. In den 80ern lief der Beat durch, und im Rave wurde dieses Element hinzugefügt. Das ist der Moment der Party.
Musikexpress: Rap mit House und Techno zu verbinden ist gerade super aktuell. Viko63, Pashanim, 01099 – es ist ein neues Gefühl, wie du beschreibst.
Westbam: Ich erinnere mich noch an den Urknall aller Entwicklungen: An Turntables konnte jeder DJ plötzlich Tracks machen, daraus entstand schließlich auch House-Musik. Techno und Detroit Techno sind dann auch daraus entstanden. Alles kommt vom selben Ursprung, hat sich über die Zeit voneinander entfernt und nährt sich nun wieder an. Techno und Hip-Hop sind von Geburt getrennte Zwillinge. Teilweise hat man im Hiphop sogar mehr Freiheit als im Techno, dadurch, dass der MC so stark im Vordergrund steht. Es entstehen unheimlich interessante Strukturen, interessante Beats und Loops. Das tritt im Techno in den Hintergrund, auch wenn es immer sehr innovativ sein will. Am Ende bleibt es trotzdem immer sehr eng am „umtz umtz umtz umtz“. Da könnte Techno etwas von Hiphop lernen. Hiphop könnte allerdings ein bisschen was von der Friedlichkeit der Techno-Szene lernen. Es ist ein soziales Kunstwerk. Soziologisch bin ich überzeugter Techno- und House-Anhänger.
Musikexpress: Dann war die Zusammenarbeit mit Bausa ja prädestiniert.
Westbam: Absolut. Ich neige immer dazu, schicksalsgläubig zu sein. Mein Schicksalsblatt ist immer sehr weit gefächert und dafür bin ich sehr dankbar. Das nächste große Ding was ich mache ist „Westbam meets Richard Wagner“ an den Salzburger Festspielen. Eine überraschende Kombination. Das macht das Leben attraktiv.
*Urheber des Jägermeister-Giganten ist Alexander Hamm in Zusammenarbeit mit der White Rabbit GmbH.
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