„In der Kinderdisco lief vor allem ‚Mambo No.5’“ – Giulia Becker im Gespräch
Happy neues Jahr! Das geht gut los: In seiner Kolumne trifft Linus Volkmann auf die übertrieben begabte Autorin & Podcasterin
Meine erste Kolumne im neuen Jahr. Welcome back, ihr Mäuse! Und weil 2025 vermutlich wieder nicht als feel-good-year in die Geschichte eingehen dürfte, kommt hier einfach mal ein wunderbares, ein ganz und gar positives Thema. Ach, was heißt denn überhaupt „Thema“? Wir sind ja nicht im Konfi einer Plattenfirma. Ich spreche hier und heute über (und mit) Giulia Becker.
Meine erste Begegnung lief über das „Neo Magazin Royale“, dort war Giulia Autorin und mitunter tauchte sie auch vor der Kamera auf. Durchbruch auf jeden Fall ihr bis heute unfassbar guter Song „Verdammte Schei*e“.
Und Giulia sang in der Show auch gemeinsam mit den No Angels oder auch Lizzo. Später kam dann noch ihr preisgekrönter Pärchen-Podcast „DRINNIES“ mit Chris Sommer dazu. Das „Neo Magazin“ hat sie dagegen lange hinter sich gelassen, heute schreibt sie für „Die Carolin Kebekus Show“ und ist Buchautorin. Ich habe zwei Exemplare an liebe Menschen zu Weihnachten verschenkt.
Das Buch heißt „Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes“ (Rowohlt) und hat sich von diesem Roman-Imperativ, den Verlage ihren Jungautor:innen reflexhaft aufbürden, emanzipiert. Giulia Becker schreibt Kurzgeschichten und kann darin ihr Talent, einen Witz in ungeahnte Höhen und Tiefen weiterzudrehen, voll ausschöpfen. Die verhaltensauffälligen Storys fangen harmlos an und enden in einem ungeahnten Wahn. Giulia hebt heraus, dass die Story-Bände von Ella Carina Werner sie motiviert haben, sich auch selbst diesem Format hinzugeben. Ich nicke beflissen, habe ich doch ein paar Weihnachten früher diverse Bücher von Ella Carina Werner verschenkt. Sehr zu empfehlen.
Ich liebe jedenfalls vor allem, dass Giulia ihrem Pointen-Exzess immer noch so eine Beiläufigkeit an die Seite stellt. Das selbstverständliche Understatement lässt die Kulisse erst so richtig hell brennen.
Live in Frankfurt war ihre Lesung zurecht komplett und lange im Voraus ausverkauft. Nilz Bokelberg moderierte freundlich und unterstützte Giulia dann auch bei der Gesangseinlage, die – natürlich – nicht fehlen durfte. Auf die Musik von Albrecht Schrader lag der selbstgemachte Song „Barista für eine Nacht“.
Für die kommende Print-Ausgabe des Musikexpress habe ich ein Interview mit Giulia Becker geführt. Beziehungsweise sprachen wir über zehn Platten, die sie in ihrem Sein begleitet haben. In diesem Gespräch ging es aber noch um einiges mehr, was nicht den Weg ins Heft fand – und das lest ihr nun ganz exklusiv hier. Viel Spaß!
„Ich besitze geschätzt so hundertvierzigtausend Playlisten“ – Giulia Becker im Gespräch
Giulia, wenn wir über dich und Musik sprechen, muss man erstmal klären, wo und wie verwahrst du die überhaupt? Gibt es meterhohe CD-Regale, eine Truhe mit Kassetten oder unzählige Playlisten bei Streaminganbietern?
GIULIA BECKER: Ich möchte tatsächlich wieder bewusster Musik hören und habe jetzt angefangen, mir Vinyl-Platten zu kaufen. [zögert] Allerdings besitze ich noch gar keinen Plattenspieler. Ich muss mich erst noch reinfuchsen, welches Modell gut ist und welches nicht. Ich freue mich aber schon drauf, Alben wieder ganz zu hören, wie sie sich von den Leuten ausgedacht wurden. Bislang war ich nämlich eine ziemliche Playlisten-Maus. Ich besitze geschätzt so hundertvierzigtausend Playlisten – das scheint irgendwie mein Hobby zu sein.
Also alle auf unterschiedlichen Bedarf ausgerichtet?
Ja, es wird wirklich sehr kleinteilig bei mir. Ich pflege zum Beispiel mehrere Duschplaylisten: „Duschen morgens“, „Duschen abends“ – und natürlich braucht es fürs Duschen am Wochenende eine andere Liste als unter der Woche …
Und du nimmst nicht Playlisten, die schon angeboten werden, sondern stellst sie dir selbst zusammen?
Oh ja, auf jeden Fall!
Müsstest du nicht vom Alter her gesehen auch mal CDs gesammelt haben? Sind die alle weg?
Das war echt bitter. Ich habe tatsächlich extrem viele CDs besessen und wenn ich in der Stadt war, habe ich nicht wie andere Kleider gekauft, sondern bin immer nur zu Media Markt, zu Saturn, in irgendwelche Musikläden. Als die Ära der CD dann zu Ende ging, tat es richtig weh, das alles bei Momox einzuschicken [ein Reseller für u.a. gebrauchte Tonträger, Anm.]. Jetzt allerdings bereue ich es ein bisschen, weil man mittlerweile mit einem CD-Player gar nicht mehr total abgehängt wirkt. Hätte ich doch alles echt besser behalten!
In diesen Prä-Streaming-Zeiten hat man mit einer Tonträgersammlung seinen eigenen Musikgeschmack verdinglicht. Ich erinnere mich noch, dass ich zur Jahrtausendwende nicht viele CDs besaß, weil ich einfach nicht so viel Geld hatte. Dann aber fing ich in der Redaktion eines Musikmagazins an und beneidete die anderen Popjourno-Männchen, die ihrer musikalischen Distinktion Denkmäler gebaut hatten in Form riesiger CD-Sammlungen. Als Redaktionsmitglied wurde ich auch bemustert, also bekam die CDs als Muster zugeschickt, und ich kaufte jahrelang Benno-Regale bei Ikea – denn ich schleppte alles nach Hause, um auch so eine Wand zu erschaffen. Immer in der Hoffnung, Besuch streift durch mein Zimmer und schaut, was ich für ausgesuchte Platten habe. Geschah aber allzu selten. Und dann wurden CDs, wie du schon angedeutet hast, plötzlich Sondermüll und ich habe alles wieder mühsam zurückgebaut.
Diesen Wunsch, gesehen werden zu wollen in der eigenen Sammlung, erlebe ich bis heute bei Büchern. Dass die Leute vieles horten in einer frommen Hoffnung, irgendwann geht einmal jemand durch und nickt bewundernd, was man so alles gelesen habe. Aber am Ende des Tages juckt das einfach keine Sau. Daher plädiere ich bei Büchern: Nicht aufheben, sondern aussortieren, weiterverschenken, wieder in Umlauf bringen.
Hinter dir allerdings sehe ich eine lange Reihe an Büchern stehen.
Das sind lediglich die Bücher, die ich noch lesen will.
Du machst mit dem „DRINNIES“-Podcast klar, dass du nicht der Typ bist, der dauernd unter Leuten sein will. Gibt es für dich aber die Situation, dass du nachts nach dem Ausgehen mit Freund:innen heimkommst, noch etwas weitermachen willst und ihnen deine liebste Musik vorspielen magst?
Selten! Allerdings wenn ich doch mal bei Leuten privat bin, bin ich die, die die Kontrolle über die Bluetooth-Lautsprecher übernimmt. Denn schließlich – wir erinnern uns – habe ich für jede Stimmung die richtige Playlist. Darauf greifen die Leute dann auch gern zurück.
Klingt irgendwie gut, ich mache nur am Ende des Jahres eine Playlist für eben das abgelaufene Jahr – aber vielleicht sollte ich mich doch auch mehr verästeln.
In den USA ist es ein Trend, dass die Leute sich Monats-Playlisten erstellen. Dadurch bekommt man am Ende des Jahres quasi seinen eigenen Rückblick schon angeliefert – und sieht, was man alles Neues entdeckt hat über die Zeit.
Ich habe dich immer auch als Sängerin wahrgenommen. Als du noch bei Böhmermann gearbeitet hast, existierte dafür auch eine Ausspielfläche. Wie ist das heute, hast du noch Möglichkeiten zu singen?
Ich singe nicht mehr – höchstens noch unter der Dusche. Aber ich habe jetzt angefangen, Bass zu spielen! Ich bin jetzt Bassistin. Allerdings im Moment Bassistin außer Dienst, weil ich etliche Zeit nicht mehr geübt habe. Die heiße Phase von mir am Bass hatte ich zur Abgabe des Buches. Ich musste damit fertig werden und fing aus Trotz einfach an, Bass zu spielen. Doch zuletzt war eine Lücke beim Üben – und ich fürchte, ich muss jetzt wieder ganz vorn einsteigen. Deshalb versuche ich das ein wenig zu verdrängen, aber habe mir trotzdem noch einen zweiten Bass gekauft [lacht]. Es war mir wichtig, dass ich zwei unterschiedliche Arten von Sound habe, wenn ich auf keinem der beiden spiele.
Was für ein Traum steht dahinter? Bass ist nicht so das Instrument für alleine, oder? Willst du in einer Band spielen?
Ich hätte total gern eine Funk-Band, sowas wie das deutsche Vulfpeck – ein weibliches Vulfpeck, das wär’s. Aber da muss ich vermutlich noch etwas mehr üben … Bis jetzt kann ich nur E, A, D, G – also die Leersaiten – sehr gut spielen. Für den Rest bräuchte ich Unterricht.
Dein zweites Buch trägt „Urlaub“ im Titel. Das vermittelt sofort etwas Vertrautes. Ist das Verreisen für dich auch immer mit Musik besetzt gewesen?
Wir waren früher oft auf so Zeltplätzen mit der Familie in Südfrankreich. Da gab es dann Kinderdisco und es lief vor allem „Mambo No.5“.
Funktioniert Urlaub auch als biographischer Sehnsuchtsort vergangener Trips – oder ist es eher etwas, bei dem du sagst: Jetzt, wo ich erwachsen bin, mache ich das alles anders!
Ich kann mich erinnern, dass es früher vor allem chaotisch war. Ich habe zwei Geschwister plus die beiden Elternteile. Wir bestritten dann also zu fünft mitunter sehr lange Autobahnfahrten … in einem Golf 1. Natürlich mit dem ganzen Gepäck im Kofferraum – Ladungssicherung war damals auf jeden Fall kein Thema für unsere Familie. Ich habe das letztens noch mal auf einem Foto gesehen und das dann auch als Tourplakat für meine Lesereise benutzt. Ich sitze auf einem Campingstuhl vor dem geöffneten Kofferraum, in dem es unter aller Sau aussieht.
Wie konnte man in dieses Gefährt drei Kinder im Alter von zwei bis acht packen! Aber letztlich blieb mir in Erinnerung, dass die coolsten Urlaube immer die einfachsten waren. Campen oder mal auf einen Bauernhof fahren, das hat am meisten Spaß gemacht.
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