In den Staaten längst Medienliebling, meldet sich Melissa Etheridge nun als Musikerin wieder zu Wort
Sie gilt als weiblicher Bruce Springsteen, als Hardcore-Lesbe. Hollywood-Darling und Polit-Aktivistin. Dabei will Melissa Etheridge vor allem eines sein: Mama. Ein Jahrzehnt hat sie geackert wie eine Besessene, jetzt schaltet sie einen Gang zurück. Denn Melissa hat fast alles erreicht: Sie hat fünf Bestseller veröffentlicht, kennt halb Hollywood und ist mit der attraktiven Schauspielerin Julie Cypher liiert. Daß sie eine Vorkämpferin der Schwulenbewegung ist, scheint die ansonsten so puritanischen Amerikaner nicht weiter zu stören. Mehr noch: Seit ihrem großen Coming-Out im Sommer ’94 hat ihre Karriere sogar noch einen zusätzlichen Schub bekommen – im Gegensatz zu Ellen DeGeneres, die vom Medienriesen ABC vor die Tür gesetzt wurde. „Für mich hat sie Geschichte geschrieben und wirklich etwas bewirkt“, so Melissa. „Sie hat eine Comedy-Serie benutzt, um wichtige gesellschaftliche Fragen zu stellen. Und dafür war die Welt einfach noch nicht bereit.“ Für die 38jährige ein weiteres Indiz amerikanischer Doppelmoral. „Es ist seltsam, aber dieses Land ist einerseits so fortschrittlich, andererseits völlig rückständig. Die sexuellen Vorlieben einer Rocksängerin sind egal, aber wer Fernsehen macht, muß aufpassen, was er sagt. Das ist doch pervers. Die einzige Möglichkeit, in diesem Land wirklich etwas zu verändern, besteht eben darin, ständig darüber zu reden.“ Denn obwohl es Melissa an nichts mangelt (sie hat ein Anwesen in den Hollywood Hills, eine Farm in Kansas sowie diverse Autos), spürt auch sie die unsichtbaren Grenzen der individuellen Freiheit. Vor allem, wenn es darum geht, als homosexuelles Paar Kinder aufzuziehen. „Ich lebe seit Jahren mit demselben Partner, zahle überhöhte Steuern und bekomme doch einfach nicht die gleichen Rechte wie jeder andere, der über längere Zeit in eheähnlichen Verhältnissen lebt. Ich mußte das Kind meiner Lebensgefährtin adoptieren, nur damit ich das selbe Erziehungsrecht genieße. Das hat über ein Jahr gedauert, weil so ein Fall im Gesetz gar nicht vorgesehen ist.“ Und so führt Melissa seit der Geburt ihrer ersten Tochter Bailey Jean (2 Jahre) einen endlosen Papierkrieg, bei dem sie allerdings illustre Unterstützung erhält. „Zu Beginn meiner Karriere hatte ich viele Freunde, die vom Filmgeschäft träumten – Brad Pitt, Rosie O’Donnell oder Sandra Bullock. Wir haben nach Jobs gesucht, gingen zusammen aus und haben uns gegenseitig unterstützt. Jetzt sind wir berühmt, haben zum Teil schon Kinder und stehen uns immer noch sehr nahe.“ Eine Geborgenheit, die Melissa nicht nur zu weiteren Kindern (Sohn Beckett ist 10 Monate alt) beflügelt, sondern auch zu neuer Risikobereitschaft. So überrascht ihr aktuelles Album „Breakdown“ durch erste zaghafte Ausflüge in die elektronische Moderne. „Ich möchte lernen und wachsen“, meint Melissa über den Einsatz von Loops und Samples. „Das gehört einfach zum Leben. Und selbst wenn ich eine traditionelle Songschreiberin bin, versuche ich doch, das Ganze etwas spannender zu machen.“ Andere Muttis machen in Ikebana, Makramee, Tupperware oder gehäkelten Topflappen – Frau Etheridge macht in Rock.