Im Sog der Strokes tauchen jede Menge Junge Wilde auf – laut, leidenschaftlich und voller Energie.


Ein Plädoyer von Hollow Skai Für Iggy Pop hörte sich bis vor kurzem noch alles gleich an. Zwischen Britney Spears, Limp Bizkit oder Eminem vermochte der Altmeister des Punk keine wesentlichen Unterschiede mehr zu erkennen, weil sie im Studio nicht nur dieselbe Technologie benutzten, um im Mainstream mitschwimmen zu können, sondern auch denselben kommerziellen Werten verpflichtet seien und ihre Seele verkauft hätten. Ohne es zu ahnen, brach Iggy Pop damit eine Lanze für eine neue Generation von Bands, die sich musikalisch am psychedelischen Garagen-Rock der Sechziger und an der New Wave der späten Siebziger orientieren und vom Publikum enthusiastisch bejubelt werden. Offensichtlich hat eine große Zahl von Fans endlich die Nase voll von Boygroups aus der Retorte, Casting-Bands wie den No Angels und belanglosen Superstars à la Mariah Carey.

Die neue Welle schwappte jedenfalls von Amerika über England auch in deutsche Plattenläden und bescherte dem schon so oft totgesagten Gitarren-Rock mal wieder ein grandioses Comeback. Der Kult-DJ John Peel hält die White Stripes für die aufregendste Band seit Jimi Hendrix oder den Sex Pistols. Und die Kritiker-Ikone Greil Marcus mag einfach nicht glauben, dass man die Songs der Yeah Yeah Yeahs nicht in New York auf der Strasse singt.

Bevor die so genannte Nu Wave bei uns so richtig ankam, war allerdings bereits vom Hype die Rede, der die Strokes oder den Black Rebel Motorcycle Club nach oben gespült habe. Auch Jack White wunderte sich über die erhitzten Reaktionen, die seine Band The White Stripes bei Fans wie Kritikern in England hervorgerufen hatte: „Es war, als wenn sie noch nie zuvor Musikgehört hätten.“

Zugegeben, wirklich neu, zumindest für ältere Semester, ist das alles nicht, was die jungen New-Wave-Bands zu bieten haben. The Strokes haben ihren High-Energy-Rock, der nervösen Punk-Rock mit New Yorker Coolness kombiniert, nicht erfunden. Die White Stripes waren nicht die Ersten, die vom Delta-Blues der 30er Jahre inspiriert wurden New Yorks neueste Entdeckung! das eigenwillige Trio Yeah Yeah Yeahs, von dem gar Grell Marcus schwärmt und ihn fürs Kinderzimmer aufmöbelten. Und auch B.R.M.C. haben den Fundus der Rockmusik gehörig geplündert, bevor sie sich auf die Bühne wagten. Sie alle sorgen jedoch endlich wieder für musikalische Kicks und sind vor allem live pures Adrenalin. Same old story, aber immer wieder aufregend.

Gleichzeitig priesen die Medien Ryan Adams als Erneuerer des Rock’n’Roll und stellten ihn auf eine Stufe mit Bob Dylan, Bruce Springsteen oder Gram Parsons. Vom Comeback der Songwriter war auch in Redaktionen die Rede, die noch vor zwölf Monaten den Erfolg der White Stripes als Zufallsprodukt des Sommerlochs belächelt hatten.

Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer. Der Hype, der um die Nu Wave auf der einen und Country-Punk-Bands wie Clem Snide auf der anderen Seite betrieben wird, zeugt vor allem davon, wie langweilig der Mainstream geworden war. Und er erinnert an eine Zeit, in der die Musikszene ähnlich erstarrt war. Ende der siebziger Jahre waren die Helden von einst nur noch Schatten ihrer selbst und hatten sich auf den Bahamas oder im Tessin zur Ruhe gesetzt. In den Charts tummelten sich gesichtslose Mitläufer, und das Leben, vor allem das der Kids, war geprägt von Perspektivlosigkeit und brennender Langeweile.

…und dann ging es plötzlich Schlag auf Schlag: Fast jede Woche erschienen neue, aufregende Platten von Patti Smith, Television oder den Tallring Heads, auf die man sich nun wieder beruft. Überall sprossen Labels aus dem Boden, die der heutigen Musikszene den Weg bereiteten. Und wer selbst drei Akkorde nicht spielen konnte, gab wenigstens ein Fanzine heraus oder organisierte Konzerte, an die etablierte Veranstalter damals nicht zu denken wagten. Schnell erkannte die Industrie das kommerzielle Potenzial dieser neuen Bands, die sich zwar musikalisch voneinander unterschieden, aber doch einer Bewegung gleichkamen und vermarktete sie bis zum Overkill.

Heute ist die Situation vergleichbar. Mick Jagger mimt noch immer den ewig jungen Gockel, obwohl er sich mit 58 Jahren längst im Vorruhestand befindet. Radiohead sind schon seit einiger Zeit auf dem Kunst-Trip und pflegen Thom Yorkes Neurosen, so dass sich selbst ihre größten Fans die Platten schönhören müssen. Und die Charts werden von charmefreien Elfen (Enya), weiblichen Joe Cockers (Anastacia) oder Delmenhorster Rock-Röhren (Sarah Connor) dominiert, vor denen man selbst bei der Winter-Olympiade nicht gefeit war. Kein Wunder also, dass sich Fans wie Kritiker auf die wenigen Pflänzchen stürzten, die im Underground gediehen.

Wahrend die Nu-Wave-Bands musikalische Ahnen wie Television durch den Reißwolf der Ramones jagen oder ätherischen Psychedelic Rock mit dem Punk von The Clash kombinieren, klingen die von Country infizierten Songwriter, als hätten sie alle Sten Nadolny gelesen und entdeckten nun die Langsamkeit für die Musik. Während The Strokes, die White Stripes und B.R.M.C, aber auch die spanische Alternative-Rockband Dover, die englische Hoffnung The Music oder auch die wüsten Schweden The Hives auf die Felle – und die Kacke – hauen, dass es im Gebälk der Musikindustrie nur so kracht, rühren Ryan Adams, Clem Snide & Co. die Herzen mit Songs voller Wehmut und Inbrunst, die klingen, als hätten Nirvana die Country-Metropole Nashville auf den Kopf gestellt.

So unterschiedlich sich beide Fraktionen auch anhören, ihre Wurzeln sind oft dieselben. Ryan Adams verdiente sich seine ersten Meriten in der von Kritikern geliebten Alternative-Country-Band Whiskeytown. Clem Snide wurden bereits 1991 in Boston als Punk-Band gegründet, bevor sie sich ebenfalls dem rauen Alternative Country zuwandten. Dover verehren unüberhörbar Social Distortion und die Dead Kennedys. Und The Yeah Yeah Yeahs versuchen gar nicht erst zu verschweigen, dass sie von der Punkabilly-Band The Cramps maßgeblich beeinflusst wurden. Sie hätten einfach alles geklaut, was ihnen gefallen habe, gestand ihr Gitarrist Nick Zinner freimütig, zum Beispiel die Melodie des Tommy-James-Hits „Crimson & Clover“ für ihre Song-Hymne „Our Time“, in der es heißt: „So glad that we made it / It’s our time to be hated.“

Das ist natürlich reine Koketterie, denn warum sollte man eine Band hassen, deren erste EP sich so frisch und belebend anhört, als hätten sich The Raincoats mit P.J. Harvey und den GoGo’s zu einer Jamsession verabredet? Und überhaupt: Kann man ernsthaft von Hype sprechen, nur weil Joe Strummer sich bei einem Konzert der Strokes amüsiert hat? Weil der Oasis-Gitarrist Noel Gallagher seinen Hut vor B.R.M.C. zieht? Und Courtney Love dem Strokes-Sänger Julian Casablancas den Song „But Julian, I’m A Little Older Than You“ gewidmet hat? Wenn die Begeisterung für eine Hand voll neuer Bands schon als Hype gilt – als was soll man dann das Theater bezeichnen, das jedesmal inszeniert wird, wenn Madonna ein neues Album veröffentlicht, Britney Spears auf Tournee geht oder Benjamin von Stuckrad-Barre ein neues Buch geschrieben hat?

Hype hin, Hype her – um zu erkennen, worauf das alles hinauslaufen wird, bedarf es keiner hellseherischen Fähigkeiten. Ryan Adams hat das Zeug, um auch kommerziell in Bruce Springsteens Fußstapfen zu treten, während die Nu-Wave-Bands sich schon in ein paar Jahren wieder auflösen dürften, weil die Leidenschaft und die Energie, mit der sie zur Sache gehen, sie verbrannt haben. Den neuen Boss werden wir uns hingegen auch dann noch anhören, wenn wir nicht mehr ganz so jung und energievoll sind – bis uns die nächste New Wave aus dem Sessel spült.

Iggy Pop kann jedenfalls aufatmen. Seine musikalischen Enkel haben dem guten alten Rock’n’Roll wieder eine Dosis Energie injiziert, und der Patient befindet sich auf dem Wege der Besserung.