Im schwarzen Herzen Afrikas


Rumba-Gitarren und scheppernde Likembes: Neuerdings pilgern selbst Popstars wie Damon Albarn und De La Soul zur Inspiration in den Kongo.

Tropische Regengüsse haben die Straßen von Kinshasa in Schlammpisten verwandelt, Sammeltaxis mit rostigen Fensterhöhlen bahnen sich ihren Zickzack-Kurs durch die Wasserlöcher, die schwüle Luft trägt Dieselabgase, die Ausdünstungen schwelender Plastikmüllhaufen und das Aroma brutzelnder Ziegenfleisch-Spieße heran. Ein brutales Wechselbad: Hat man gerade genussvoll die Nüstern gebläht, möchte man im nächsten Moment schon wieder die Nase rümpfen. Ähnlich wirkt erst einmal die Kakophonie aus dem von hohen Mauern umschlossenen Karree des – ja, tatsächlich: Club Plaisir: Bassbrummen. Ein Scheppern wie bei der Müllabfuhr. Darüber ein stechendes Zirpen. Will hier jemand die Leistungsgrenze seines Lautsprechersystems testen? Hat man da gerade einen Aphex-Twin-Breakbeat oder ein Jimi-Hendrix-Riff zwischen den verzerrten Trommelteppichen herausgehört? Machen die Likembe-Musiker kongolesischen Punk?

Likembe: So heißen die dumpf schnarrenden Fingerklaviere, deren Eisenlamellen meist aus alten Autofedern zurechtgeschmiedet werden, und die sich ihrer dörflichen Herkunft zum Trotz in der afrikanischen Großstadt als Träger durchdringender Basslinien und Obertöne durchgesetzt haben – nachdem man sie mit Boxentürmen aufgerüstet hatte. Ein merkwürdiges Paradox: Anders als die überforderte Batikhemdfraktion feiern gerade westliche Punk- und Elektronika-Fans die kongolesischen Likembe-Orchester als Bindeglied zwischen Ethnokult und Moderne. Tortoise bewundern sie. Björk hat mit ihnen auf ihrem letzten Album musiziert. Und heute lümmelt sich gar – den Einheimischen vollends unbekannt – ein gutes Dutzend westliche Popstars und Musiker auf den Plastikstühlen des Club Plaisir: Darunter das US-HipHop-Trio De La Soul, Scratch, der DJ von The Roots, Fela Kutis Schlagzeuger und Afrobeat-Pionier Tony Allen, der malische Gitarrist Amadou, Remi Kabaka von den Gorillaz, und sein Kollege Dämon Albarn. Der Charisma tische Blur-Sänger – er reiste in den Vorjahren bereits nach Mali – hatte die Expedition initiiert: um dem Mythos Kongo nachzuspüren, die Musikproduktion im Herzen Afrikas mit eigenen Augen und Ohren zu begreifen. Und möglicherweise abseits der Trampelpfade des Pop neue, unerhörte Klänge zu finden. „Es ist unglaublich,“ schwärmt Albarn, nachdem er ein paar Hundertfrancs-Scheine aus seiner Armeehose gepult und den Musikern nach landesüblicher Sitte auf die Stirn geklatscht hat. „Sie erschaffen diese Klangwelten hier mit primitivsten Instrumenten. Wir können so viel von ihnen lernen: Vor allem diese Verspieltheit, diese kindliche Offenheit, selbst Störgeräusche als Teil der Musik zu akzeptieren…“

Spuren Weißer Schminke rinnen über die bemalten Gesichter. Die Kasai Allstars entfesseln im gekachelten Innenhof des Club Plaisir ihre unwiderstehliche Rhythmuswalze: Während die Baströckchen-Truppe im Vordergrund irgendwie an ethnologische Museen erinnert, lassen die neun Musiker dahinter keinen Zweifel: Wir befinden uns im Jahre 2007. Bandleader Mi Amor hält seine Likembe vor sich wie ein Elektroniker die Computertastatur – und produziert im Verein mit der größeren Bassversion harte, mal schnarrende, mal pfeifende Rückkopplungswellen. Hinter ihm dreschen zwei Trommler auf die Felle, unterfüttern das Klink-Klank der Metalllamellen. Die hohe Kunst des Krachmachens: Mit der richtigen kollektiven Taktung verwandeln sich die zirpenden, brummenden Störgeräusche zu einer musikalischen Trance. Grosse Xylophone mischen ihr Gongen in den Beatkreisel. Pfeifen sirren, und eine Sirene geht heulend los: Handgemachter Techno. Urbanisierte Geisterbeschwörung. Dank der Tonabnehmer – zweckentfremdete Magnetspulen von Schrottautos – und einer absichtlich übersteuerten Anlage schwimmt der Likembe-Rock in der eigenen Rückkopplung wie die Papayaschalen in den Pfützen vor dem Club. Nun hält es auch die Gäste nicht mehr auf ihren Stühlen. Dämon Albarn bückt sich am Bühnenrand über seine Melodika. Bläst einen monotonen Riff, während die Sänger hinter ihm den Chant aufnehmen. Amadou, der blinde Gitarrist des Weltmusik-Duos Amadou und Mariam, lässt sich zum Verstärker führen, stöpselt seine E-Gitarre ein und streut ein paar Kadenzen Mali-Blues in den hypnotischen Beat. Zuletzt haben die Kongolesen auch noch ein Schlagzeug für Tony Allen gefunden. Allerdings steht das Drumkit so wacklig, dass der legendäre Schlagzeuger immer wieder Teile des Beckens vom Boden aufsammelt und neu justiert. Dann endlich ist der Krach komplett: Die Stars aus dem Westen haben sich in den Beat der afrikanischen Großstadt eingetunt. „Diese Rhythmen hier sind schwärzer, afrikanischer als alles, was ich mit Fela Kuti gespielt habe“. Selbst der sonst so coole, verschwiegene Tony Allen ringt um die richtigen Worte „Mir kommt es vor wie ein Gewitterguss: Es kracht gewaltig- bis die Energie draußen ist, und der Stromgans einfach versickert…“

Scharen Baseballkäppi-bewehrter Jugendlicher drängen gegen das Metallgitter des Club Plaisir und stürmen bei j eder Gelegenheit auf die Tanzfläche – bis Polizisten die vermeintlichen Störenfriede wieder vertreiben. „Früher im Dorf“, erzählt der 65-jährige Kasai-Allstars Bandleader Mi Amor, während ein Stromausfall Kinshasa mal wieder in Dunkelheit taucht, „saß man still und aufmerksam da, wenn das Orchester spielte. Schließlich wollte man unbedingt die Botschaß der Sänger verstehen. Aber in der Stadt muss man vor allem laut sein, um gegen das Gebrüll der Lastwagen anzukommen. So habe ich meine akustische Gitarre und die Likembes elektrifiziert.“ Mi Amor erzählt mit seiner Musik die Geschichte eines großen Teils der stimmlosen Bewohner der Armenviertel von Kinshasa. Wie in den meisten Metropolen Afrikas saugt die Zentralisierung der Wirtschaft die mittellose Landbevölkerung in die urbanen Slums. Inzwischen zählt Kinshasa schon über acht Millionen Einwohner, mit einem sanitären System und einer Verkehrslogistik die bestenfalls ein Zehntel davon vertragen würde. In diesem Clash der Kulturen, wo man in der Entfremdung des städtischen Überlebenskampfes wieder die alten Traditionen aufsucht, entstehen verblüffende Bastardmusiken. Wie die erst kürzlich von westlichen Medien entdeckte Congotronic-Szene.

Der belgische Produzent Vincent Kenis hat te 2001 das Likembe-Orchester Konono No 1 und deren Rückkopplungsschleifen zum ersten Mal der Welt zugänglich gemacht: „Afc ich das 1980 zum ersten Mal im Radio hörte, glaubte ich das afrikanische Äquivalent zum Punkgefunden zu haben.“ 20 Jahre später machte er die Band in einer Freiluftbar in Kinshasa ausfindig, und nahm sie mit einem Apple-Computer und ein paar Mikrofonen vor Ort auf. Heute korrigiert sich Kenis:

„Mit dem Punk haben die Musiker hier wohl vor allem das Lebensgefühl des ,no future’gemein. Aber im Gegensatz zu uns halten sie an ihren Überlieferungen fest“. Es ist der urafrikanische Konflikt zwischen Tradition und Moderne, den Gruppen wie Konono No 1 auf ganz eigene Weise lösen: Dabei ist der gewalttätige Lärm, den sie durch einst von den Belgiern hinterlassenen Megaphone jagen, mindestens so authentisch wie die lieblichen Soukous- und Rumba-Sänger, die von Pariser Studios aus den schwarzen Kontinent mit Hitfutter versorgen. „Superstars wie Zaiko Langa Langa, Papa Wemba und Koffi Olomide haben viele ihrer Chants von Konono No 1 übernommen“, erzählt Mr. Mingiedi, der 70-jährige Gründer und Anführer der Band.

Von einem Plastikstuhl im Schatten eines Mangobaumes aus überwacht der alte Mann einige Helfer, die die konischen, „Lance-Voix“ oder Stimmenwerfer genannten Megaphone aus der Kolonialzeit verpacken. In zwei Tagen geht es auf Europa-Tournee. Während die Händler mit Schubkarren zum nahen Markt eilen, Wasserverkäufer ihre Tüten unter ständigem Singsang auf dem Kopf balancieren und alles überhaupt so wirkt, als ob die Zeit hier stehen geblieben sei, fährt Mingiedis junger Manager seinen Laptop hoch, um einen Track von Björks letztem Album vorzuspielen. Ja, unverkennbar. Mit dem Lärmgewitter der gastierenden Konono No 1. Ob er auch schon mal Jimi Hendrix gehört habe? Der alte Mann mit dem tief gefurchten Gesicht verzieht keine Mine, schüttelt den Kopf: „Jedem sein eigener Rhythmus“ verkündet er trocken. Und überhaupt die Sache mit der Rückkopplung: Das sei doch nur einem Sachzwang geschuldet. Man habe eben früher kein Geld gehabt, sich eine ordentliche Anlage zu kaufen wie die Soukous-Stars. Deshalb musste er alte Autos ausschlachten, Megaphone mit Draht verkabeln und sein Gehalt als Taxifahrer auf dem Schrottplatz ausgeben.

Dann fällt der Strom wieder aus in Kinshasa, was in Mr. Mingiedis Stadtteil Ndjili – selbst bei Dämmerung – kaum weiter auffällt. Elektrisches Licht haben hier die wenigsten: Stattdessen erleuchten Petroleumlampen den Saum der Sandstraße, aus Hinterhöfen dröhnen die Trommeln lokaler Pfingstkirchen, überlagert von dem aus überdrehten Batterienradios in den Nachthimmel klingelnden Soukous-Gitarren. Es ist der Sound einer so lebensmutigen wie kaputten Megacity – ein kollektiver Überlebensschrei, den Konono No 1 unwillkürlich in ihrer Musik reproduzieren. Ohne jede Anklage. Schließlich regt sich auch niemand mehr über Blackouts, stinkende Müllberge und an BMX-Parcours erinnernde Straßen auf – sie gehören als Zeichen der alltäglichen Korruption und Behördenwillkür zu Kinshasa, wie das neue Fußballstadion, dem die E-Werke wegen unbezahlter Rechnungen des Sportministeriums den Strom gesperrt haben oder der zentrale Fernsehturm, den angeblich kongolesische Militärs in einer Nacht- und Nebelaktion seiner vergoldeten Verkleidungen beraubten.

Nein, was Mr. Mingiedi und seinen jungen Manager Aharon noch aus der Fassung bringt, ist die Ignoranz des kongolesischen Staatsradios: „Haben Sie da irgendwann Konono No 1 gehört? Aber die Soukous-Stars bleiben Dauerbrenner – so lange sie die Minister und Sponsoren in ihren Songs loben“. Der Moderator der Musiksendung von Radio Congo schwärmt zwischen den Titeln von „unserem besten Präsidenten Monsieur Joseph Kabila“. Und kündigt für heute Abend ein Konzert einiger Nachwuchsmusiker im Vergnügungsviertel Matonge an. Viele der großen Stars des Soukous haben seit langem Paris oder Brüssel zu ihrer bevorzugten Arbeitsbasis erkoren. Hier sind die technisch besseren Studios und Produzenten. Hier sind die Plattenfirmen, die Erfolg auf dem „Worldbeat“-Markt versprechen. Was im europäischen Exil allerdings oft auf der Strecke bleibt: Die Erdigkeit und handgemachte Eleganz der Musik.

„Musica“ heißen die Freiluft-Bars, in denen jeden Abend unbekannte Musiker ihre selbstgemachten Gitarren, Drum-Sets und verbeulten Verstärker aufbauen. Wetterfest ist so eine „Musica“ eher selten. Nun rücken die Gäste enger zusammen – schieben ihre Plastikstühle in Richtung des Wellblechdaches, bevor der tropische Regenguss seinen prasselnden Schlagzeugsound loslässt, und den Innenhof in eine rötliche Lehmpfütze verwandelt, Rinnsale plätschern durch lecke Stellen auf die Bühne, drohen schmuddelige Geldscheine mit sich zu reißen, die das Publikum gerade noch den Musikern auf die schweißnasse Stirn geklebt hatte – Zeichen der Anerkennung und oft einzige Bezahlung. Doch die Band denkt gar nicht daran, aufzuhören. Zwei Gitarristen in fadenscheinigen weißen Hemden lassen stoisch ihre Abwärtsläufe perlen, verweben die immer gleichen drei, vier Noten zu einem hypnotischen Kreisel. Ein alter Mann schlägt den Beat mit einem Löffel auf eine leere Bierflasche. Drei Sänger legen darüber ihre melodischen Lingala-Chants: „Kaka ngai, kaka ngai…“ Man wundert sich noch, wie die deprimierenden Lebensbedingungen im Kongo mit derart unbeschwerten, mitreißenden Melodien zusammenpassen, da kommt auch schon eine der jungen, zur Band gehörigen Tänzerinnen, um ihren Tribut einzusammeln: Lässt das Becken vor dem Plastikstuhl rhythmisch zucken und reibt sich an fremden Hosenbeinen – bis sie mit einem 500 Francs-Congolais-Schein zum nächsten Gast zieht.

Während Trugoy von De La Soul noch über die offensichtlichen Verbindungen mexikanischer Musik zum Rumba Congolais sinniert, haben sich Tony Allen und Scratch auf die Bühne gerettet. Ersterer als Verstärkung des Schlagzeugers. Letzterer mit einer kleinen Einlage als Human Beatbox. Boom Tschak, Boom Boom Tschak pustet er seinen amerikanischen Rhythmus ins Mikrofon. HipHop ist in Kinshasa so gut wie nicht existent. Und doch passt Scratchs Zugabe wunderbar zu dem leichtfüßig springenden Beat. Das Gitarrenklingeln des Soukous-Pop macht in Verbindung mit dem Alkohol und der weichen Schwüle im Handumdrehen besoffen. Wen stört es da schon, wenn von der Latrine ab und zu beißender Urin-Gestank herüberweht? Wenn sich vom Regen aufgescheuchte Kakerlaken mal auf das eigene Hemd verirren? Wenn die Musik so verzerrt klingt, als ob ein Radio auf Störfrequenz laufen würde? Die Republik Kongo mag eines der korruptesten, labilsten und dysfunktionalsten Staatsgebilde Afrikas sein – aber ihre Musiker sind weltberühmt. Soukous gehört zu den Exportschlagern des Landes. Seit Mitte der 50-er Jahre kongolesische Orchester wie OK Jazz den kubanischen Big Bands nacheiferten, lateinamerikanischen Swing mit heimischen Folk-Rhythmen kombinierten, hat ihre Musik ganz Afrika erobert. Wird in Nairobi wie Abidjan zum Soukous und Rumba Congolais getanzt. Und so träumen wohl auch die Gitarristen und Sänger auf dieser Bühne davon, von einem der Promoter, die durch die Nachtclubs der Stadt schwärmen, entdeckt zu werden. Dann dürften sie womöglich in Paris oder Brüssel ihre erste Platte aufnehmen.

„Um im Kongo einen Hit zu landen, kommt es auf die Lyrics an“, erklärt Sänger Bopol später den westlichen Besuchern. „Jeder muss sie auf Anhieb begreifen. Das Dumme ist: Außerhalb unseres Landes verstehen die Fans unsere Lingala-Texte nicht. Deswegen imitieren sie nur die Party-tauglichen Teile unserer Musik“. Er spielt dabei nicht nur auf die Drum-Machines und Synthesizer an, die so viele der Export-Produktionen aus Paris oder Brüssel beherrschen. Sondern auch auf die Weigerung der meisten heimischen Bands, Französisch zu singen. So feiern die Imitatoren aus Kamerun, dem Senegal oder Guinea oft international größere Erfolge als die heimischen Orchester. Im Kongo fehlten einfach die Strukturen, pflichtet ihm der kongolesische Musik-Manager Samy Lubaki bei: „Die Soukous-Produzenten arbeiten in einer Art Ghetto. Es ist Zeit, dass die westlichen großen Plattenfirmen unsere Musik entdecken, ohne sie ihrer Natur zu berauben“.

Dabei erinnert er an Island Records und deren erfolgreichen Feldzug für die jamaikanische Reggae-Musik in den 70-er Jahren.

Wenn der Soukous das Schmiermittel im harten Alltag Kinshasas gibt, er mit seinen lieblichen Gitarrenläufen den Traum von Romanzen, Reichtum und unschuldigem Ruhm verkörpert, dann muss er wohl auch die Übel kompensieren, die die Politik über das Land bringt. Vor allem die Korruption. Wer sich ihr verweigert, kommt in Kinshasa nicht weit. Schließlich ist das Prinzip der Selbstbedienung von ganz oben sanktioniert, bekommen viele Staatsangestellte kein Gehalt, sondern müssen es sich selber holen. Mitten im Verkehrsstau halten Jungen fotokopierte Blätter für 100 Francs das Stück feil: Es ist die Liste der frisch ernannten Minister Joseph Kabilas. Wie sein despotischer Vater Laurent Kabila und der allmächtige Kleptokrat Mobutu vor ihm hat der junge Präsident Kongos die Tradition des halbjährlichen Kabinettsaustausches übernommen: So kann er mehr seiner Freunde an die Futtertröge befördern. Dass nach jedem Wechsel die Ministerien ihre komplette Büroausrüstung und Dienstwagen neu anschaffen müssen – das ist im Kongo ein offenes Geheimnis.

Dämon Albarn und Co allerdings genießen die Welt-Abgeschiedenheit des Kongo: Sie müssen hier niemandem Autogramme geben, nur ein einziges Mal werden die HipHop-Ikonen von De La Soul in einem Club angehauen. Ein lokaler Kollege möchte sie auf seinem Handy verewigen. In Radebrech-Englisch erklärt der Kinshasa-Rapper, dass im Reich der Gitarren und Fingerklaviere kaum Platz bleibe für „musique americain“. Ganz abgesehen vom Fehlen der notwendigen Technik. Er zeigt auf die Blechlawine, die sich vor der Straßen-Bar über die Löcherpisten der Hauptstadt schiebt. „Wollt ihr unser Land nicht kaufen?“ Gelächter. Wenn die Belgier zurückkämen, erzählt er mit ernster Miene, würde wenigstens jemand die Straßen reparieren. Und verhindern, dass die Stadt bei Sonnenuntergang in der Dunkelheit versinkt. Schließlich gibt es in Kinshasa schon seit Jahren keine funktionierende Straßenbeleuchtung mehr. Die trostlose Gegenwart lässt wohl die genauso trostlose Vergangenheit schnell vergessen: Als 1965 Josef Desire Mobutu die Herrschaft über die einstige belgische Kolonie Kongo übernahm, gab er seinem Regime – es sollte bis 1997 anhalten – ein nationalistisches Gesicht: „Authenticite“. Alle Namen wurden reafrikanisiert, aus dem Kongo wurde Zaire, und Mobutu hoffte einmal als großer schwarzer Führer in die Geschichte einzugehen. Dazu holte er 1974 den Titelkampf im Schwergewichtsboxen nach Zaire. Ein weltweit übertragenes Mega-Event. Muhammad Ali besiegte George Foreman überraschend in der achten Runde. Seitdem kennt die ganze Welt Kinshasa. Heute wirkt der einstige Schauplatz des „Rumble in the jungle“ nur noch trostlos: Im einst aufwändig renovierten Stadion des „20. Mai“ wächst hohes Gras zwischen den Tribünen, von der einstigen Anzeigentafel sind nur noch ein paar rostige Eisenlatten übriggeblieben. Wie überall gibt es keinen Strom. Drei Jugendliche mit einer Gitarre hocken auf den Rängen und singen die letzten Rumba-Hits nach.

Sucht man aber das Pendant zu Havannas alten Son-Sängern muss man Sonntag abend ins Chez Sebastien. Der Freiluft-Club am südlichen Stadtrand von Kinshasa, ist von außen nur durch die langen Reihen parkender Autos auszumachen. 2000 Francs, umgerechnet vier Dollar kassiert der Tor-Wärter. Dann darf man eintreten in die glorreiche Vergangenheit des Rumba Congolais: Auf der Bühne steht Simaro Lutumba. Der ehemalige Gitarrist von Franco hatte in den 60er Jahren wesentlich dazu beigetragen, den kongolesischen Soukous in ganz Afrika zu popularisieren. Heute ruht er wie ein alter Häuptling inmitten seiner Band Bana OK (der Nachfolgetruppe der seit 1956 bestehenden legendären OK Jazz), und lässt die tanzenden Sänger, den jungen Bassisten, Trompeter und Schlagzeuger die Show bestreiten, während er aus dem Hintergrund seine Gitarrenläufe abschießt. Ein paar hundert Paare im besseren Alter drängen sich um Plastiktische und Stühle. Viele der Männer tragen trotz der schwülen Hitze Anzüge mit Krawatte. Hier zeigt man, was man ist oder sein will. Aus den Boxentürmen verzerrt der Gesang und der einzige Scheinwerfer beleuchtet erst einmal eine Wolke Moskitos. Egal! Sobald die ersten Akkorde eines neuen Stückes einsetzen, führen die Herren ihre Angebeteten auf die Tanzfläche, schieben sich die Paare mit sanft wiegenden Hüften im Kreis. Mit der Ausnahme von Dämon Albarn und seinen ungläubig hinter die Bühne starrenden Freunden singen alle die Refrains mit. Kabila und Korruption – sie sind in diesen Momenten weit weg. Bis ein Stromausfall die Stadt mal wieder ins Dunkel taucht: „Sie müssen alle paar Stunden ein anderes Viertel abschalten, weil jemand das Geld für die Renovierung des Stromnetzes unterschlagen hat“, klagt der Clubmanager.

Ein paar Stunden später im Innenhof des Hotel Phoenix: Das Licht geht wieder. Und alle starren auf die Kostümwechsel der Band. Alle paar Lieder verschwindet eine Hälfte der etwa 20 Musiker auf der Bühne ein Stockwerk nach oben – um kurz darauf neu eingekleidet an die Mikrofone zu springen. Als der Sänger einen Pelzmantel zur Armani Jeans trägt, sieht man wie ihm die Schweißströme unter seiner Jean Paul-Gaultier-Schiebermütze ins Gesicht laufen. Egal. Stil muss sein. Und die richtigen Kleidermarken zählen hier offensichtlich mindestens so viel wie das Taktgefühl, die perfekte Choreographie. Immerhin ist das die Band von Papa Wemba. Dem Papst der Sapeurs.

Sapeurs: So nennen sich die extravagant gekleideten jungen Kongolesen im Publikum, die einem mit ihren überweiten Zoot-Suits, lila Schärpen oder goldgemusterten Brillen schon von weitem ins Auge fallen. Wie passt das zu der Armut, den Müllbergen, dem allgegenwärtigen Dunst von Kohlefeuern und Urin in den Straßen von Kinshasa? Seit über zwei Jahrzehnten frönen die Sapeurs einer exzentrischen, dem Elend entrückten Gegenrealität. Der Welt der Haute Couture. Ihr Popkult kombiniert ein extremes Markenbewusstsein mit raffinierten Verhaltensregeln. Während einige junge Männer mit wippenden Hüften und rudernden Armen den „Kwassa Kwassa“ oder den „Moto“ tanzen, drehen sie das Innenfutter ihrer teuren Jacketts nach außen. Hauptsache, das Nobeletikett ist für alle sichtbar! Einige von ihnen tragen auch nachts ihre ultracoolen Sonnenbrillen. Und wirken damit beinahe schärfer gekleidet als ihr Patron und Religionstifter: Papa Wemba. Wenn der kongolesische Superstar zum Mikrofon greift und sein näselndes, honigsüßes Falsett in den Nachthimmel von Kinshasa schickt, weiß natürlich jeder, dass sein Auftritt minutiös durchdesignt ist, Baseball-Käppi oder gestreiftes Hemd mit Bedacht und vom richtigen Couturier gewählt wurden.

Immer wieder nehmen Fans die Betonstufe zur Bühne, und kleben dem Sänger einen 5 oder 10 Dollarschein auf die klatschnasse Stirn. Falls sie ihr letztes Erspartes nicht schon vor dem Konzert dem Sänger vermacht haben. Und nun ungeduldig auf die dafür versprochene Einflechtung ihres Namens in eines seiner Songs warten. Ein Geschäft, bei dem Papa Wemba zwecks Taschengeldaufbesserung die verschiedenen Bewerber gegeneinander bieten lässt. Als Gegenwert gewinnen sie Ansehen in der Sapeurs-Gemeinde. Mit seiner „Societe des Ambianceurs et Personnes Elegantes“, abgekürzt „La Sape“, hatte er Anfang der 80-er Jahre die Mode-Bewegung ins Rollen gebracht. „Wer gegen alle Wahrscheinlichkeit ein Comme des Garcons-Hemd ersteht“, hat BBC-Korrespondentin Michela Wrongeinmal das Sapeurs-Phänomen erklärt, „beweist sich vor allem selbst etwas: Dass sein Träger trotz allem Herr seines Schicksals bleibt“. Und auch wenn Papa Wemba gerade eine dreijährige Haftstrafe in Frankreich wegen Menschenschlepperei abgesessen hat: Sein Wort zählt hier noch immer. In einer Lounge des Hotel Phoenix hält der „Pape de la Sape“ Audienz. Dämon Albarn, Tony Allen, die amerikanischen Rapper und ihr Anhang haben sich in Reihe aufgestellt. Dann darf jeder einzeln in die mit rotem Samt gepolsterte Umkleide des kongolesischen Papstes eintreten: „Bonfour Monsieur“. Die westlichen Besucher verneigen sich, die Videokamera im Anschlag. Ein wortloses Nicken auf der anderen Seite. Noch kennen in Europa nur afrikanische Immigranten und Weltmusik-Insider diesen mondgesichtigen Herren mit dem Bauchansatz, gehören klingelnde Soukousgitarren und scheppernde Likembes zu den Geheimtipps im Pop-Arsenal. Doch schon das nächste Album von Damon Albarn und seinen Gorillaz könnte das ändern…