Im Schatten des Zweifels
Nach einigen kargen Songwriter-Platten wagt Chan Marshall alias Cat Power eine elegante Produktion. Eine kleine Neuerfindung.
Bisherige Vorkommnisse mit Beteiligung von Chan Marshall: Ein Interview, bei dem sich der Autor zu der Sängerin ins Bett legen mußte. Ihr damaliger Freund, ein unverzagter Typ mit Cowboyhut, saß daneben auf einem Schemel und zupfte ein bißchen auf der akustischen Gitarre. Ein Konzert, bei dem die genierliche Sängerin die kleine Bühne betrat und 25 Minuten lang flüsterte und Liedanfänge spielte und wieder abbrach. Dann ließ sie die Gitarre fallen und ging. Was nach einem der typischen Cat-Power-Auftritte (entweder genial oder katastrophal) aussah, hatte an diesem Abend einen gewichtigeren und wirklich schaurigen Grund, den Chan damals zwar einigen wenigen Vertrauten mitteilte, über den sie aber heute nicht mehr sprechen und schon gar nichts in einer Musikzeitschrift lesen möchte.
Früher waren die Journalisten in sie verliebt, heute ruft man etwas abgeklärter bei ihr an, und die Mailbox vermeldet: „Th eperson you are calling, Chan, has broken her phone.'“Etwas später geht sie dann doch ran: Sie befindet sich in Miami und klingt trotzdem so, als habe sie Schnupfen. Auf die bescheidene Karriere der Nachtwandlerin zurückzublicken, heißt auch, das eigene Leben im Rückspiegel zu betrachten: Aufwühlend-brillante Trauerarbeiten wie MOON PIX oder WHAT WOULD THE COMMUNITY THINK machten Cat Power einst zur liebsten Melancholiekünstlerin derangierter Randexistenzen.
Dazu solche Geschichten: Mit Bill Callahan(Smog) zusammengelebt! In South Carolina! Wie hat man sich das gemeinsame Frühstück vorzustellen? Wurde überhaupt kommuniziert? Ging Callahan vorher schnell Erdnußbutter kaufen? Trug er immer nur Bermuda-Shorts? Fragen wie diese stellte man sich seinerzeit, doch mit den verläßlichen Kopfhänger-Hymnen und den nie ganz durchschaubaren Liedern gegen die eigene Sprachlosigkeit scheint es jetzt endgültig ein Ende zu haben: THE GREATEST, Opus Nummer sieben, ist eine Platte wie Samt, die Produktion ist, man muß es sagen: königlich. Aber ist Chan Marshalls Gram tatsächlich gebannt? Harsche Zeilen wie „I really do love you and I really miss you too/But I don’t know you and I don’t need you/And I don’t want you anymore“ klingen eher wie das alte Leid in neuem, glanzvolleren Gewand. Eine Erklärung: „Mir geht es jetzt schon hesser als zu der Zeit, in der ich moon pix aufnahm, aber das ist ganz normal: Im Januar werde ich 34, und damals war ich 26. Man sammelt so viele Erfahrungen und erlebt so viele Dinge. Es ist ausgeschlossen, daß ich noch einmal eine solche Platte machen werde. Obwohl: Vielleicht mit 70 oder 80, wenn ich auf mein Leben zurückblicke und der Kreis sich schließt.“
Wenn man nebenbei bemerkt, daß THE GREATEST die erste Cat-Power-Platte ist, die man seiner Oma vorspielen kann und das auch getan hat, freut die Marshall sich wie ein Kind: „Wirklich? Was hat sie gesagt? … Weißt du, ich selbst höre mir meine Platten nur sehr ungern an, denn es gibt keine unter ihnen, die ich wirklich mag. Wenn ich mir jetzt YOU ARE FREE anhören müßte, würde mir gleich auffallen, was daran fehlt und was ich versäumt habe, THE GREATEST mag ich im Moment am liebsten kann aber auch daran liegen, daß alles noch so frisch ist. In einem Jahr werde ich auch hier die Fehler sehen.“
Sich dem Schatten des Zweifels zu entziehen, kann ein Leben dauern. Aber weiter im Text: Chan nahm diesmal in Memphis, Tennessee, auf, in den Ardent Studios, wo viele Soul-Klassiker des Stax-Labels entstanden. Dazu lud sie unter anderem Mabon „Teenie“ Hodges und Leroy „Flick“ Hodges, das Herzstück von Al Greens Backing-Band. Chan sagt, es sei einfach Glück gewesen, daß sie diese großartigen Musiker kennengelernt hat. Auf Tour will sie „die alten Herren, die älter sind als mein Vater“ aber nicht mitnehmen: Es sei doch unverantwortlich, ihnen über viele Wochen Konzertstrapazen und Rock’n’Roll-Lifestyle zuzumuten. Aber Chan, sie ist immer noch jung, möchte sie nicht vielleicht doch noch berühmt werden? „Das wird nie passieren, niemals. Meine Lieder passen immer noch nicht ins Radio, die Musik als Ganzes ist zu abseitig, als daß sie einmal ernsthaft interessant für den Mainstream sein könnte.“
Obwohl das Album, dessen Cover mit den beiden goldenen Boxhandschuhen auf Muhammad Ali (eben: „The Greatest“) und den Lebenskampf im Allgemeinen rekurriert, ja auch vom Verlust der Liebe erzählt – ein ganz universelles Thema. Im Song „Islands“ wartet sogar jemand auf Jesus und hat für den Fall des Nichterscheinens vorausgeplant: „But if you re not coming back / I will sleep eternally“. Es gehe auch darum, wie man ohne Liebe überlebt, sagt Chan Marshall. Die Quadratur des Kreises.
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