Interview

Im Gespräch mit „Moonlight“-Regisseur Barry Jenkins: „Ich bin ein Verbündeter der LGBT-Szene“


Am Sonntag gewann Regisseur Barry Jenkins mit „Moonlight“ den Oscar für den besten Film, dazu wurde er mit einem Oscar für sein Drehbuch ausgezeichnet. Im Interview erklärt er, welchen Respekt er davor hatte, als Hetero einen Film über einen homosexuellen Jungen zu drehen.

Als wir Regisseur Barry Jenkins vor einigen Wochen in Berlin zum Gespräch trafen, hatte sein Drama „Moonlight“ zwar noch nicht in einem Moment des puren Chaos den Oscar für den Besten Film gewonnen. Nahezu unverschämt gut gelaunt ist der 37-Jährige im Angesicht des Interview-Marathons. Kein Wunder: Den Golden Globe für das Beste Drama des Jahres hatte er zu diesem Zeitpunkt schon gewonnen, dazu stehen ein paar freie Tage in Berlin an.

Und natürlich weiß er, dass er wahrscheinlich kein schlechtes Wort zu seinem Film hören wird. Jenkins ist kein Typ für falsche Bescheidenheit, sondern gibt ehrlich zu, dass er um die Wellen weiß, die sein Film mittlerweile schlägt. Dass sein „Moonlight“ nicht nur die LGBT-Community, sondern auch Menschen aus ganz anderen Schichten überall auf der Welt bewegt und bewegen wird.

„Moonlight“ erzählt in drei Kapiteln die Geschichte des schwarzen Jungen Chiron, der in Miami aufwächst und Zeit seines Lebens vor seiner sexuellen Identität davonläuft. Chiron liebt Männer, wächst aber in einer Umgebung auf, in der er sich nicht outen möchte. Aus einem sensiblen Jungen wird so innerhalb von zwei Jahrzehnten eine muskelbepackte Fassade von Mann, der obendrein noch Drogendealer ist. So spezifisch diese Geschichte auch ist, so universell ist doch das Thema „Selbstfindung“, um das es hier geht.

me.Movies: Als weißer, heterosexueller Europäer bewegt mich ein Film über einen homosexuellen, schwarzen Jungen aus Miami wie lange kein Drama mehr. Wie kann das sein?

Barry Jenkins: Nur weil man nicht von dort kommt, heißt das ja nicht, dass man sich nicht damit identifizieren kann. Und genau das ist ja auch eine wichtige Sache – weltweit. Wir werden gerade durch viele Dinge gespalten, die außerhalb unseres Kontrollbereichs liegen. Oder von denen uns gesagt wird, dass sie außerhalb unseres Kontrollbereichs liegen. Was ich an dem Film mag… das klingt jetzt komisch, weil ich ihn gedreht habe…

Nur zu!

Ich mag es, wenn mir jemand so etwas sagt wie du jetzt gerade. Weil es zeigt, dass es einen Ort gibt, in den wir eindringen können, auch wenn es eigentlich nicht um uns selbst geht. Wenn jemand die Erzählung von der Leinwand auf sich selbst beziehen kann. Das ist verdammt nochmal großartig.

Konnten Sie sich beim Dreh vorstellen, dass dieser Film jemals die USA verlassen und dermaßen groß wird?

Konnte ich nicht, nein. Ich war nicht einmal sicher, dass der Film Miami verlassen wird. Wenn man etwas derart Persönliches macht, dann ist es schwer vorstellbar, wie andere Leute eine Bindung dazu eingehen sollen. Das Gute daran ist, dass man mit dieser Herangehensweise etwas Leidenschaftliches, Authentisches schafft. Etwas, das dadurch nicht manipulativ ist. Ansonsten würde der Film nur ein Produkt werden.

Mahersala Ali gewann für seine Leistung in „Moonlight“ den Oscar für die beste Nebenrolle.

„Moonlight“ ist kein klassischer Film, zu dem die Leute in die Kinos stürmen. Allein schon ob der Geschichte auf dem Papier. Was halten Sie von der Idee, dass der Film mit seiner wichtigen Botschaft für junge Leute in Schulen gezeigt werden sollte?

Vor allem im zweiten Kapitel, in der Chirons Schulzeit gezeigt wird, zeigen wir relevante Dinge, zu denen Kinder in dem Alter zumindest Zugang haben sollten. Vielleicht sollte es also wirklich ein Schulfilm sein, aber es ist nicht an mir, so etwas zu entscheiden. Andererseits: Als ich diesen Film drehte, wollte ich keine Lektionen erteilen, sondern eine Geschichte erzählen. Und heutzutage gibt es ja genügend Wege, den Film zu sehen, und wenn es auf Netflix ist. Der Film wird ein Leben führen.

Dabei hilft natürlich auch der Oscar-Hype.

Genau das ist es! Nichts anderes als Hype!

Aber andererseits würden wir ohne den nicht hier sitzen.

Exakt, das ist die gute Seite an dem Hype. Er hilft, dass Leute sich den Film überhaupt ansehen. Sie lesen, worum es geht und haben ihre Erwartungen – wie auch immer die sind. Dann gewinnt dieser Film plötzlich einen Golden Globe und sie denken: „Hey, vielleicht ist der Film ja doch anders als ich dachte?“

Wäre der Hype in diesem Jahr denn möglich gewesen, wenn es 2016 nicht die „Oscars So White“-Debatte um zu wenige schwarze Nominierte gegeben hätte?

Ich weiß nicht. Es wäre wahrscheinlich alles anders gelaufen. Aber ob besser oder schlechter, wer weiß? Ein Teil der Debatte ist sehr gut, weil Zuschauer Filmen von schwarzen Filmemachern nun mehr Aufmerksamkeit schenken. Auf der anderen Seite stellen sich Leute nun natürlich die Frage, ob sie sich Filme anschauen, weil sie wirklich Lust darauf haben. Oder weil sie nur das Gefühl haben, dass sie es wegen dieser Debatte tun müssen.

„Moonlight“ ist nicht nur ein schwarzer Film, sondern auch ein schwuler. Es ist ungewöhnlich, dass ein heterosexueller Regisseur einen so kraftvollen Film über LGBT-Themen macht.

Barry Jenkins

Ich habe mich auch gefragt, ob ich mit dem Film etwas verwirkliche, was jemand anderes verwirklichen sollte. Schwule Filme werden meistens von schwulen Filmemachern gemacht. Habe ich überhaupt das Recht dazu? Aber ich habe auch genügend Filme von Leuten gesehen, die nicht aussehen wie die Leute in dem Film. Weiße Filmemacher haben jahrelang Filme über das Leben von Schwarzen gemacht. Ich fragte mich, ob ich jetzt jemanden anpisse, indem ich „Moonlight“ drehe. Oder ob ich mehr Schaden als Gutes anrichte. Aber durch Gespräche mit dem Autor, der das (unaufgeführte) Theaterstück geschrieben hat, auf dem der Film basiert, ging es. Ich habe mich einfach darauf konzentriert, warum er diese Figuren geschrieben hat, darauf was er wirklich sagen will. Mit dem Verständnis für und den Glauben an seine Stimme traute ich es mir dann zu und hörte auf, mir Sorgen zu machen.

Sind sie jetzt eigentlich schon eine Ikone in der LGBT-Szene? Das geht ja manchmal sehr schnell. 

(lacht) Nein, bin ich nicht. Und sollte ich auch nicht. Tarell Alvin McCraney, der Autor des Theaterstücks, sollte das sein. Er war während seiner gesamten Karriere, die sich in der schwarzen Community abgespielt hat, sehr offen mit seiner Sexualität – und sie war auch oft Teil seiner Arbeit. Ich will auch nicht die Anerkennung für seine Stimme, die Stimme seiner Vorlage bekommen. Die sollte bei ihm bleiben. Für die LGBT-Szene möchte ich ein Verbündeter sein. Und das kann ich am besten als Filmemacher.

„Moonlight“ startet am 9. März in den deutschen Kinos. 

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