Iggy Pop: London, LA2


Iggy Pop ist ein Naturphänomen. Seit Jahr und Tag gibt er den ausgeklinkten Rebellen, der seinen rockenden Urschrei gegen das Establishment und den Mainstream herausbrüllt. Es gehört normalerweise zur Natur dieses Urschreies, daß er nach zwei, drei Alben verpufft. Entweder finden die Urheber dann zur „künstlerischen Reife“, sacken in Depressionen und/oder Drogen ab oder verwandeln sich in Hi-Tech-Nostalgie-Unterhaltungsorchester a la Rolling Stones. Iggy Pop aber hat es bisher geschafft, konsequent seiner Vision von erhebender Trotzmusik nachzuhängen, ohne je kindisch zu wirken oder dem Ausverkauf anheim zu fallen. Der heutige Auftritt findet fast auf den Tag genau 30 Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Stooges-Platte statt. Und er zeigt, daß auch ein Ausscheren in Richtung introspektive Croon-Balladen, wie sie auf dem neuen Album „Avenue B“ zu hören sind, Iggys Lebenslust und seiner Freude, diese mitzuteilen, keinerlei Abbruch getan hat – im Gegenteil. Beides ist nicht nur ungemindert, sondern wird durch die intime Größe des LA2 nur noch überzeugender in Szene gesetzt. Am Anfang steht allerdings ein kleiner Schock: Iggy setzt sich mit einer akustischen Gitarren an den vorderen Bühnenrand und singt eines dieser stillen Lieder von der neuen Platte. Sähe man dazu nicht ganz unverkennbar die Iggy-Visage vor sich, man könnte meinen, einem sorgengeplagten Folkie aus Sheffield zuzuhören. Aber kaum geht die eigenartige Geschichte vom geilen Nazi-Girlfriend zu Ende, springt Iggy auf, zählt mal kurz auf „vier“ und los geht das. Und wie! Die Band bewegt sich zwar im üblichen Gitarre/Bass/Drums-Rahmen und sieht aus wie eine Provinzpudelrockkombo. Aber“Raw Power“, „Search And Destroy“, „The Passenger“, „Lust For Life“ oder auch neue Stücke wie „Corruption“ und die Cover-Version von Johnny Kidds „Shakin‘ All Over“ klingen, als ob sie gerade gestern komponiert worden wären. Nostalgie? Weit gefehlt! Musik mit solcher Vitalität ist selten, verfrachtet Frivolitäten wie „Mode“, „Trend“, „Alter“, „Oasis“ oder gar „Plattenverkaufszahlen“ mit ein paar gekonnten Akkorden ratzeputz in den Müll. Das Publikum, eine unglaubliche Mischung von 70jährigen Mohikanern, 15jährigen Kids und allen (Un-)Coolheits-Schattierungen dazwischen, weiß das zu schätzen. Wie gesagt: wir haben es hier mit einem Naturphänomen zu tun.