Idles live: So war es beim Berlin-Konzert (+Fotogalerie)
Am 15. März traten Joe Talbot und seine Band in der Max-Schmeling-Halle auf. Wir waren dabei.
Kaum jemand kommt an den Post-Punkrockern von Idles aus Bristol derzeit vorbei. Ihr aktuelles Album TANGK, vom Feuilleton hochgelobt, stieg direkt auf Platz zwei der deutschen Charts ein. Ihre Liveshows sind berühmt-berüchtigt und nichts für Zartbesaitete. Kollektive Ekstase, Schweiß und manchmal sogar Blut – all das gibt es bei Gigs von Sänger Joe Talbot und seinen Mitmusikern. Wie populär die Gruppe mittlerweile ist, zeigen auch die Venues, die sie bespielen: Die Max-Schmeling-Halle, immerhin drittgrößtes Indoor-Konzertvenue in Berlin, ist fast ausverkauft.
Hip to hip, cheek to cheek
21 Uhr ist Showtime, die Band kommt unter frenetischem Jubel auf die Bühne, Mark Bowen wie immer in einem entzückenden Kleid, Talbot mit strengem Blick. Nebel wabert, das Licht bleibt zunächst indirekt. Schon erklingen die ersten Takte von „Colossus“, dem feurigen Statement gegen toxische Maskulinität. „I was done in on the weekend // The weekend lasted twenty years// The world’s best bulimic bartend // Tender, violent and queer.“ Die aufgepumpte Menge reagiert prompt und eine Armada von leeren und vollen Bechern fliegt gen Bühne. Die ersten Reihen werden wellenartig gegen die Absperrung gedrückt, Crowdsurfer bahnen sich ihren Weg nach vorne. Da lässt sich Gitarrist Lee Kiernan ebenfalls nicht lange bitten und springt zu seinen Fans, die ihn über ihre Köpfe wirbeln, während er gleichzeitig weiter sein Instrument bearbeitet und über das ganze Gesicht grinst.
Diese Atmosphäre, gewaltig, aggressiv und doch irgendwie rücksichts- und liebevoll, das macht Idles-Konzerte aus. Klingt Talbot auch teilweise wie ein problembehafteter Prediger, so haben die Texte doch enormen Inhalt. Neben Gesellschafts- und Sozialkritik geben sich die Sleaford Mods gerne als die Underdogs der Arbeiterklasse. So spiegelt sich die Brachialität der Lyrics aber auch in der Musik wider und die Idles werden ihrem Ruf als unfassbar gute Liveband gerecht. Die neue Platte ist beim Gig gut vertreten: Gleich nach „Colossus“ folgt „Gift Horse“, später noch „POP POP POP“ und auch der puristische Indietrack „Dancer“. Es sind aber vor allem die älteren Stücke, wie „I’m Scum“ oder auch „Mother“, die besonders zünden. Im Interview mit Musikexpress aus dem Jahre 2018 sagte Talbot: „Mother“ schrieb ich, nachdem meine Mutter gestorben war. Er sollte eine Reflektion darauf sein, wie ihre Rolle als Frau mich und wie mein Aufwachsen als Mann sie beeinflusste. Wie ihr Leben mich als Feministen und trauernden Sohn beeinflusste.“
Ein Highlight des Sets ist selbstredend das in die Länge gezogene „Never Fight A Man With A Perm“, das nochmal die Stärke und den Brutalismus dieser Band unterstreicht. Brutal ist ohnehin das richtige Stichwort, denn nicht nur Musikfans scheinen an diesem Abend gekommen zu sein – sondern auch gewaltbereite, pöbelnde Konzerttouristen, denen es mehr darum geht, körperliche Auseinandersetzungen zu forcieren, als darum, psychische Konflikte aufzuarbeiten. Ebenfalls kritisch zu sehen ist das Politikum, das die Gruppe bei diesem Auftritt propagiert. Die Idles sind keine Fans von Charles und der britischen Monarchie, mehrmals hört man Talbot „Fuck the King“ skandieren. Das gehört in Punkkreisen spätestens seit den Sex Pistols zum guten Ton. Etwas schwieriger ist da die die sehr undifferenzierte Meinung der Band zum Nahost-Konflikt.
Sag, wie hältst du’s mit der Politik?
Noch im November 2023 sahen sich die Idles zusammen mit den Sleaford Mods den Anfeindungen des ebenfalls britischen Musikers Bob Vylan ausgesetzt, der deren fehlende Solidarität mit Palästina bemängelte. Nun, diese Zeiten sind zumindest bei den Idles vorbei, denn mit seiner politischen Einstellung hält Talbot, Sprachrohr der Band, nicht mehr hinterm Berg. Das wiederkehrende „Viva Palestine“ und „Palestine forever“ bringt die Zuschauer:innen in eine unangenehme Lage. Dass Punk und Politik oft Hand in Hand gehen – geschenkt. Bei so einem komplizierten Konflikt platte Parolen zu propagieren, kommt auch beim Publikum nur semigut an.
Es hätte ein guter Konzertabend werden können – aus musikalischer Sicht war er das auch. Laut, dreckig, unangepasst, brachial – als Musiker machen die Idles alles richtig. Das teilweise aber sehr aggressive Publikum und die undifferenzierte Begeisterung für Palästina hinterlassen dennoch einen fahlen Nachgeschmack.