„Ich will Immos, ich will Dollar“: Warum die Gen Z das System durchschaut hat
Unsere Gegenwart scheint später nun tatsächlich Geschichte zu werden. Zeit also, sich in dieser Kolumne die popkulturelle Gegenwart genau anzugucken. Was passiert? Und wie und warum hängt das alles zusammen? Hier Folge 21, in der Julia Friese erklärt, warum Geld auf dem Weg zum Trendthema ist.
Drei Beobachtungen:
1. immos und dollar in „wildberry lillet“
Reduzierter Rap ohne Melodie werde die Musik der Dekade, schrieb die Trendforscherin Emily Segal 2021 im „Guardian“. Er biete die perfekte Grundlage, zu einem TikTok verarbeitet (also ein musikalisches Meme) zu werden. Im August und September trendete sowohl auf TikTok als auch in den deutschen Charts der Song „Wildberry Lillet“ von Nina Chuba, einer 1998 geborenen Hamburgerin, die einst in der Kinderserie „Die Pfefferkörner“ mitgespielt hatte. Auf TikTok nahm man sich ihrer monoton vorgetragenen Zeilen „Ich will Immos, ich will Dollar“ an, mimte sie tausendfach.
Dass Chuba von Dollar statt von Euro singt, ergibt vor allem hinsichtlich des sinkenden Werts des Euros Sinn. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren liegt der Wechselkurs bei 1 zu 1. Die Gen Z hat das System durchschaut. Träumt keine romantischen Träume mehr, sondern träumt von Geld und Geldanlagen. Also von den Werkzeugen, mit denen sich ohnehin (beinahe) jeder romantische Traum erreichen lässt. Geld ist daher vom Tabuthema auf dem Weg hin zum nächsten Trendthema. Es erscheinen gerade sorbetfarbene Sachbücher wie „Coin Stress“ von der Podcasterin Vreni Frost und „Wie viel“ von der Journalistin Mareice Kaiser.
2. moto sapien
Passenderweise hat der Influencer-Prototyp Kim Kardashian eine neue Firma gegründet. Nach Make-up, Hautpflege, sowie figurformender Unterwäsche ist ihre neueste Brand „SKKY“ nun eine Kapitalbeteiligungsfirma. Kardashian wird also bei Anlegern, Banken oder vermögenden Privatpersonen Kapital für neue Marken und Firmen eintreiben. Aufgrund ihrer Vorbildfunktion könnte „Private Equity“ schon bald das neue Ziel für Influencer sein, die bereits durch sind mit eigenen Make-up-, Hautpflege- sowie Softdrinkmarken. Kardashians Ex-Mann Ye West hingegen hat eine einrollbare Folien-Sonnenbrille designt, die YEEZY SHDZ heißt und an eine Mischung aus Corona-Visier, Motorradhelm und Skibrille erinnert.
Letztere ist schon seit Monaten im Trend. Und firmiert seit dem reduzierten Rap der Combo 01099 unter dem Handle „Schnelle Brille“. Die monoton bis desillusioniert vorgetragenen Zeilen „Schnelle Brill’n und wir sind im Modus, Leute tanzen und ich gebe Turbo“ sind hier über einen belanglosen Afterhour-Beat gelegt, der wiederum von den Geräuschen eines Motorradmotors untermalt ist. Das Motorrad als Meme – also als Stimmung, Bild und Vibe – fasziniert gerade. Die Optik ist stilprägend in Mode und Musik, siehe zuletzt auch in Video und Anmutung von Domizianas „Ohne Benzin“. Der österreichische Designer Anton Brousseau sieht gar einen Moto Sapien auf uns zukommen. Eine biomechanische Verquickung von Motorrad und Mensch.
3. visualisieren sie reichtum
Die immer schon biomechanische Björk gräbt sich unterdessen auf FOSSORA mit sechs Bassklarinetten in die Erde ein. Lässt dort Gabber auf tropfnasse Pilze treffen, während sie singt und warnt: „If we don’t grow outwards towards love / We’ll implode inwards towards destruction“. Für Björk beginnt Musik mit Visuals, also mit Bildern, die sie dann in Klänge umwandelt. Zu FOSSORA gibt es dieses Mal keine App, die die Visuals auch den Hörer*innen zugänglich macht, sondern eine Website mit Videos, die außerdem – so schreibt Björk auf Instagram – mit „digital real estate“ garniert seien. Digitale „Immos“ also.
Die Trendforscherin Emily Segal hat derweil ihren Debütroman veröffentlicht. In „Rückläufiger Merkur“ erzählt sie den Alltag der Künstler*innen der New Economy. Man begleitet die Protagonistin an ihren Schreibtisch, an dem sie ebenfalls Visuals sammelt, die sie auf ihrem Mac-Bildschirm so lange hin und her bewegt, bis aus ihrer Mitte – wie ein Pilz – eine neue Inspiration ersteht. Allerdings nicht für Musik, sondern für ein neues Firmen-Logo. Die Kunst der Gegenwart muss schließlich Immos bringen …
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 11/2022.