Hurricane 2023: Die Samstags-Highlights mit Casper, Muse & Marteria
Die große Konzept-Rockshow von Muse gehörte zu den Highlights – ebenso wie der Auftritt von Casper.
Heute brutzelt die Sonne schon etwas erbarmungsloser auf dem Gelände, da kommen die vereinzelten Schattenplätze sehr gelegen – so auch an der Mountain Stage. Dank der gut positionierten Screens lässt sich dort nicht nur die Nürnberger Punkband Akne Kid Joe, sondern auch die Show von My Ugly Clementine ohne schweißtreibendes Existieren genießen. Und deren Version von „What’s up“ der 4 Non Blondes klingt so verträumt schön, dass viele trotz der Hitze Körperkontakt suchen. Gleich nebenan auf der River Stage performt Lauren Mayberry mit ihrer Band Chvrches in einem luftigen, blutroten Wölkchenkleid Hits wie „Clearest Blue“ und „The Mother We Share“. Sie haben Glück, gerade noch rechtzeitig ihr Set beenden zu können, denn das Hurricane macht gegen 19 Uhr seinem Namen doch noch alle Ehre.
Erst brütend heiß, dann plötzlich klatschnass
Innerhalb von Minuten braut sich ein heftiges Unwetter zusammen. Die Hobby-Meteorologen im Publikum fachsimpeln schon früher, denn die sich auftürmenden Wolken auf der einen Seite und das dunkle Band, das gleich darauf trifft, lassen nichts Gutes erahnen. Wer den Blick eher nach vorn zur Bühne richtet, bekommt es dagegen per Push-Nachricht über die App mit, dass es Zeit wird, sich jetzt lieber zügig ins Auto zu verziehen.
30 Minuten Starkregen, Böen und dann ist’s auch schon wieder gut. Nach der amtlichen Entwarnung kann es ohne Verschiebungen und nun auch ohne Staubwolken weitergehen. „I wanna know, have you ever seen the rain / Comin′ down on a sunny day?“ fragen anschließend The Lumineers mit einem offenbar kurzerhand improvisierten Cover des „Creedence Clearwater Revival“-Hits, bevor sie ihr Folky-Mitschwing-Set in der Abendsonne fortsetzen. Dazu entwickeln die Festival-Besucher einen neuen Move: Im Takt wedeln sie durchnässte Pullis und T-Shirts trocken.
Marteria: Das Hurricane hat angebissen
Marteria hat den Tag völlig anders verbracht, wie er gleich zu Beginn des Sets mit strahlenden Augen mitteilen muss. Der Rapper war angeln und hat es offenbar nicht mehr geschafft, die Angelweste vor dem Auftritt auszuziehen. Wie so viele andere Acts an diesem Wochenende hat auch er großartige Erinnerungen an das Hurricane Festival: „2013 hat sich genau auf dieser Bühne unser Leben verändert“ – damals waren gerade Songs wie „Bengalische Tiger“ und „Kids“ vom Album „Zum Glück in die Zukunft II“ erschienen. Und so erscheint auch die Show wie eine kleine Retrospektive. Zugleich gab es mit „Der Mensch stammt von Waffen ab“ einen noch unveröffentlichten Song zu hören:
Anschließend meldet sich auch ein schüchterner Marsi aus dem Off zu Wort und erklärt: Nächstes Jahr kommt das letzte grüne Album – ein Abschied von Marsimoto steht bevor. „Danke für die Liebe auf diesem besonderen Festival“, ergänzt Marteria im Anschluss. „Die letzten Wochen und Monate waren die schwersten meines Lebens“ – eine Reaktion auf die zuletzt aufgekommene private Kontroverse um den Rapper. Zugleich erinnert er das Publikum daran, „gegen Gewalt und Spaltung“ einzustehen, bevor er sich mit „Niemand bringt Marten um“ selbst Mut zuspricht und das Set mit „Lila Wolken“ sowie Abrissstimmung bei den letzten 20 Sekunden beendet. Ein fließender Übergang zu Rin, der bereits eine Bühne weiter ein deutlich jüngeres, aber ebenso großes Publikum anzieht.
Muse: Die große Rockshow
Man kann Muse mit der für sie eigens aufgebauten Stegbühne und den blinkenden Jäckchen natürlich grenzenlose Poserei vorwerfen – an der Tatsache, dass die Zuschauer am Samstag in den Genuss einer bombastischen Konzept-Rockshow kommen, gibt es aber nichts zu rütteln. Mit „Will of the People“ stürmen die Briten maskiert die Bühne – sie sind die fleischgewordenen Akteure ihrer videospielartigen Screen-Story um monströse Polizeigewalt.
Zwischenzeitlich gibt Bellamy Bachs Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 zum Besten, bevor die Band ins vergleichsweise seichte „You Make Me Feel Like It’s Halloween“ einsteigt. „They will not force us / And they will stop degrading us / And they will not control us / We will be victorious, so come on“ – am Ende siegt aber wie immer das Gute und wir reiten gemeinsam zu „Knights of Cydonia“ ins Happy End des Abends auf der Forest Stage.
Big Bang mit Casper
Shows wie diese führen vor Augen, wie hoch die Ansprüche an eine unvergessliche Show im Jahr 2023 sind – sowohl bei den Acts als auch beim Publikum. Auch Casper scheint sich dessen bewusst zu sein, denn er steht als finaler Act auf der River Stage in einem Meer aus Blumen – mit Streublumenhose, umringt von künstlichen Bäumen, seiner Rockband und Streichern. Mit diesen visuellen und akustischen Reizen bleibt den Zuschauern eigentlich nichts anderes übrig, als um halb eins noch einmal die letzten Kraftreserven zu aktivieren. Das geht am Rapper nicht spurlos vorbei: Häufig fehlen ihm die Worte, oft geht der Griff ans Herz. Noch einmal mehr pumpen die Zuschauer heute zum Marteria/Casper-Hit „Adrenalin“ und feiern mit Drangsal den Hit „Keine Angst“.
Nach einem unter die Haut gehenden Streicher-Outro, zu dem über mehrere Minuten die Hilfeseiten Depressionsliga.de, frnd.de und theoceaninyourmind.de eingeblendet werden, schließt sich der Vorhang – und Casper erscheint auf einer weiteren Bühne über der Mitte der Crowd. Im zweiten Akt gelingt es, mit Songs wie „Gib mir Gefahr“, das ein explosives „New Noise“-Sample enthält, die Stimmung wieder anzuheizen und bis zum Ende gegen zwei Uhr morgens nicht mehr lockerzulassen. Größer hätte dieser Tag nicht enden können.