Hurra, wir leben doch!
Das Leben ist scheiße, aber WHITE LIES haben sich damit abgefunden. Besser als immer über den Tod zu singen.
Was die Sache mit dem Tod angeht, da ist sich Harry McVeigh erst nicht sicher. Aber dann ringt sich der Sänger und Gitarrist der White Lies doch zu einer Aussage durch: Nein, seiner unmaßgeblichen Meinung nach habe auf Ritual, dem zweiten Album der Band aus London, nicht ein einziger Song das Ende der menschlichen Existenz zum Thema.
Das war vor genau zwei Jahren auf ihrem Debütalbum noch ganz anders. Da musste sich das kaum der Pubertät entwachsene Trio aus Schulfreunden noch die Frage gefallen lassen, welcher der Songs denn nicht vom Tod erzählen würde. To Lose My Life, aufgenommen nachdem sich die Plattenfirmen ein altmodisches Wettbieten um die Band geliefert hatten, wurde trotzdem oder gerade deshalb ein Hit im Königreich. Mit Folgen: White Lies wurden zu den jugendlichen Stars des Joy-Division-Gedenkhypes um Bands wie Interpol oder Editors, obwohl sie stets beteuerten, eher von Tears For Fears beeinflusst worden zu sein.
Tatsächlich dürften White Lies den ewigen Vergleichen mit Joy Division, die McVeigh „allzu einfach“ nennt und „nie verstanden“ hat, mit Ritual vorläufig die Grundlage genommen haben. Die Stimmung wird zwar immer noch dominiert von einer gewissen morbiden Melancholie, aber der bisweilen etwas verhuschte Indierock-Sound ist ersetzt durch ein bombastisches Bollern, das keine Kosten, Mühen und Breitwandgitarren scheut. Aus einer wackligen Holzhütte ist ein schwergewichtiger Betonbunker geworden, der in einem schicken Stahlgrau schillert.
Für die Weiterentwicklung des Sounddesigns ist auch der Erfolg des Erstlings mitverantwortlich. Den neu gewonnenen Wohlstand nutzten McVeigh, Schlagzeuger Jack Lawrence-Brown und Bassist Charles Cave, der auch die Songs schreibt, vor allem zum Aufstocken ihrer Plattensammlung. Den größten Eindruck auf das eigene Klangbild hinterließ dabei The Fragile. Das Album von Nine Inch Nails sei, begeistert sich McVeigh, zwar von 1999, aber immer noch ein „akustisch atemberaubendes Album“.
So mischen White Lies nun fröhlich Samples, die McVeigh „harsch“ nennt, mit Streichern, die er als „organisch“ bezeichnet, und Gitarren, die man getrost als aufgeplustert bezeichnen darf. Das Ergebnis ist „sehr viel aggressiver“ als das erste Album, aber „zugleich aufbauend“. Vor allem aber setzt Ritual auf die große Gesten und verführerischen Pathos. „Das Leben ist doch immer scheiße“, sagt McVeigh und lächelt nun doch mal, „mit der Musik kann man davor flüchten.“ Oder mit dem Tod, aber der war ja diesmal nicht das Thema.
Albumkritik S. 104