Hucknalls Sternstunden: Groove DeLuxe von Simply Red
LONDON. Ihr Radio-freundliches, glattgewienertes Album „Stars“ war 1991 die meistgekaufte LP Britanniens. Und Simply Reds Auftritt in der Wembley Arena bewies auf atemberaubende Weise, daß die Band zu den auserlesen Wenigen zählt, die hochkommerziellen Studioglanz nicht nur ohne Probleme auf die Bühne umzusetzen vermögen, sondern ihm auch noch das schwer definierbare Quentchen „Soul“ beimengen können.
Angetan mit klassisch dreiteiligem Anzug, besitzt Frontmann Mick Hucknall ohnehin schon natürliche Bühnenpräsenz. Doch wenn er zu singen beginnt, schweigen sogar die Programmverkäufer. Schon gleich am Anfang demonstriert er mit „Move On Out“, wie er es scheinbar gänzlich ohne Anstrengung schafft, vom sanften Vokalschmelz plötzlich in einen überzeugenden Angstschrei auszubrechen. Um dann nahtlos im Refrain zu landen, den er — zusammen mit den obercoolen Backgroundgirls Dee und Linda — in clever arrangiertem Harmoniegesang absolviert. Und hier liegt die Krux und der Unterschied zu so manchen weißen Möchtegern-Soulhändlern: Simply Red haben neben der Stimme auch das instrumenteile Können, ihre musikalischen Absichten auch zu realisieren.
Von der Ur-Combo blieb nur noch Fritz Mclntyre an den Keyboards. Die Rhythmus-Sektion besteht aus Schlagzeuger Gota (ehemals bei Soul II Soul) und Bassist Shaun Ward. Ihr Groove, irgendwo zwischen Reggae, Weather Report und George Clinton, ist schlichtweg umwerfend. Daneben stehen Trompete und Saxophon, die sich nicht schämen, auch mal ganz schön im Schmutz zu wühlen. Abgerundet wird das Line-up vom brasilianischen Junggitarristen Heitor TP, der die unglaublichsten Läufe nur so aus dem Handgelenk schüttelt.
Vor allem in der zweiten Hälfte verwandelt sich das Wembley in einen schweißtriefenden Tanzpalast. Und der Autor dieser Zeilen wandelt sich vom Skeptiker zum hundertprozentigen Fan.