Huber Kah


Daß er als kommerzieller Songschreiber ein goldenes Ei nach dem anderen legt, will ihn nicht befriedigen. Den Fingerübungen möchte Hubert Kemmler nun die künstlerische Kür folgen lassen. Thomas Böhm ging mit aufs dünne Eis.

Im Münchner Nachtcafe bekommt man nicht nur Kaffee mit Milch und Zucker. Wenn in der Bayrischen Landeshauptstadt rechtzeitig zu Beginn des Abends die Bürgersteige hochgeklappt werden, bekommen die Nachteulen noch eine letzte Chance, ihre Tour mit einem Vollrausch oder einem gleichgesinnten Partner zu krönen.

In einer lauen Nacht zum Ende des letzten Jahres bekamen die Besucher etwas ganz Besonderes serviert. Nachdem die Haus-Kapelle ihren letzten Set heruntergespielt hatte, wankten zwei gutgekleidete Herren in der Blüte ihres Lebens auf die Bühne, griffen zu Baß und Mikro und puhlten sich einen Blues aus der trunkenen Seele, nicht unbedingt schwarz, sondern mit Milch und Zucker. Egal, die Gäste waren schnell überzeugt.

Der Auftritt geriet zum denkwürdigen Ereignis, besonders für den Mann am Mikro, für Hubert Kemmler alias Hubert Kah.

„Ich war wie in Trance, habe mich in das, was da aus mir herauskam, total verloren. So konnte ich es den Leuten richtig besorgen“, erinnert er sich.

Es ist sicherlich hinreichend bekannt, daß Hubert Kemmler seine Musiker-Karriere nicht in den Baumwollplantagen von New Orleans begonnen hat, sondern in der schwäbischen Stadt Reutlingen als Sohn einer vermögenden Industriellenfamilie (Kochtöpfe). Hier flog er zur Hochzeit der Neuen Deutschen Welle gemeinsam mit seinen Schulkameraden Klaus Hirschburger und Markus Löhr in Nachthemden auf Engelsflügeln mit doofen, manchmal auch lustigen Liedern von der Schule direkt in die Hitparade.

„Daß ich aus gutbürgerlichen Verhältnissen stamme, heißt noch lange nicht, daß ich keine Gefühle und Erlebnisse und Sorgen habe. Wenn ich das umsetze, ist das ebenso ehrlich und direkt wie die Musik der Straße. Und selbst wenn ich nur über meine Steuererklärung singe.“

Verständlich, daß Hubert Kemmler über seine Einkommenssteuer den Blues kriegt. Der Narziß und Goldmund hat im Laufe seiner Lieder viel Geld verdient. Während andere Jungstars der Neuen Deutschen Welle im Nichts strandeten, entwickelt die Dreieinigkeit Hubert Kah ihr künstlerisches Handwerk und ein neues musikalisches Konzept. 1986 wird mit dem Konzeptalbum TEN-SONGS der pubertäre Spuk endgültig begraben. Ihrem alten Image zum Trotz können Hubert Kah mit einem qualitativ hochwertigen Produkt Kritik und Publikum begeistern. Auch anderweitig scheffelt der manisch kreative Kemmler Geld und Gold. Die Auftragsarbeiten z.B. für Sandra, die Freundin des Produzenten Michael Cretu. für das Gespann Cretu/Thiers, für ihre Freunde Two Of Us und für Bonnie Bianco erledigt er mit Leichtigkeit und mit einem sicheren Instinkt für die Harmonien, aus denen heutzutage die Hitparaden gebaut sind.

„Ich begeistere mich immer wieder für schöne Melodien, einprägsame Hooks und den perfekten Sound. Das läuft schon automatisch. Jede Single von uns war bisher erfolgreich, nicht nur in Deutschland. Wir stehen auch voll hinter den Sachen, auch den Songs, die wir für andere gemacht haben. Allerdings verspüre ich immer weniger Lust, zu funktionieren, irgendetwas zu verkaufen. In dem Sinne war der Auftritt im Nachtcafe ein Schlüsselerlebnis. Ich möchte mich persönlicher ausdrücken, mehr von mir selbst preisgeben.“

Das kann man ihm abnehmen. Doch er selbst weiß um die Schwierigkeiten, so einen Umwandlungsprozeß bis zur letzten Konsequenz durchzuziehen. „Ich siehe in einem Konflikt, das ist schon fast schizophren. Auf der einen Seile steht unsere Liebe zu schönen Formen, die wir uns selber geprägt haben, auf der anderen Seite steht die Person Hubert Kemmler, die noch all die anderen Dinge, die in uns stecken, herauslassen will. Wir haben die Möglichkeit dazu. Der Platten-Vertrag garantiert uns Freiheit und noch eine Vielzahl von Veröffentlichungen. Wir könnten uns ein paar Mißerfolge leisten.“

Bis es soweit kommt, werden erstmal die Songs ihrer neuen Scheibe SOUND OF MY HEART für die Hitparaden ausseschlachtet. Das Trio hat wieder perfekt funktioniert. Hubert als Komponist, Co-Autor und Sänger, Klaus Hirschburger als Bassist und Klartexter und Markus Löhr als Computerfachmann und Toningenieur. Der Titel „Sound Of My Heart“ läßt die neue Richtung erahnen. „Die LP ist ein Kompromiß und der Spiegel unserer Entwicklung der letzten drei Jahre. Nach den kühl gestylten, ästhetischen TENSONGS sind mehr die persönlichen Dinge – zumindest inhaltlich – in den Vordergrund getreten.“

Eine komplizierte Mandeloperation, die Hubert Kemmler für lange Zeit das Singen verbat, verzögerte die Arbeit. Huberts Stimme hat nach der Krankheit eher gewonnen, ist fester und voluminöser als vorher. Manchmal fließt tatsächlich so etwas wie Blues (mit Milch und Zucker) durch.

„Es ist die letzte Platte dieser Art“, verspricht Hubert. Zur Umsetzung des neuen Kah-Feelings sind die drei gerade dabei, sich ein Session-Studio einzurichten, in dem sie, wenn es sie packt,einfach drauflosspielen wollen. Zur Inspirierung wäre vielleicht eine Tapete aus leeren Steuererklärungen nicht schlecht.