Hotlist 2025: Das sind unsere Newcomer:innen des Jahres – Part 2
Wir wagen einen Blick in die Zukunft. Wer sind die besten neuen Bands und Künstler:innen? Hier der 2. Teil.

Die Nonkonformistin: Saya Gray
Saya Gray tourte als Bassistin schon mit Daniel Caesar und Willow. Selbst produziert die Multiinstrumentalistin avantgardistischen Pop, der sich chamäleonartig von Folk und R’n’B zu elektronischem Alt-Rock wandeln kann.
Folgt man Saya Grays Selbstmythologie, so konnte sie bereits Klavier spielen, noch bevor sie das Sprechen lernte. Aufgewachsen ist Gray mit einem schottischen Vater und einer japanischen Mutter in Toronto. Während ihr Vater als Komponist und professioneller Trompeter unter anderem für Aretha Franklin und The Temptations arbeitete, leitete ihre Mutter eine Musikschule vom Haus der Familie aus. Das bedeutete für Gray auch mal am frühen Morgen mit tiefen Augenringen auf dem Weg zur Müslischale in der Küche gleich von einer ganzen Gruppe Schüler:innen am Tisch überrascht zu werden, die Musiktheorie pauken. Aber ebenso neben dem Piano von früh auf die Trompete, die Posaune, das Saxofon und den Bass zu erlernen.
Die Frage, mit der Musik auch professionell Geld zu verdienen, stellte sich erst gar nicht: Mit dreizehn Jahren stand Saya Gray bereits als Musikerin auf den Bühnen Torontos. Mit achtzehn Jahren schmiss sie die Highschool (ein Autoritäten-Problem, wie sie selbst meint), um ein Jahr später ein nomadenhaftes Leben mit diversen Stationen in UK, Japan und Kanada zu beginnen. Inklusive einjährigem Couch-Hopping in London, spontanen Flügen nach Tokio und exzessiven Poledance-Stunden. Mit 19 MASTERS erschien 2022 ein Projekt in Albenlänge, das Gray zu großen Teilen mit der Voice-Note-App ihres iPhones aufgenommen hatte – zwischen diversen Gigs auf Tour. Anhören kann man es der Veröffentlichung nicht. Als „merkwürdig, wunderlich und nudelhaft“ beschreibt Gray es selbst. Tatsächlich ist es ein glatt produziertes, genrefluides Werk – zwischen grungigem Folk und verschrobenen elektronischen Produktionen changierend – auf dem sie fast jedes Instrument selbst einspielte.
Wenn Saya Gray in Interviews auf die Frage nach ihren Zielen für das kommende Jahr antwortet, das Koto zu erlernen (ein traditionelles japanisches Saiteninstrument) und weichere Füße zu bekommen, dann erinnert das an Björks unverstellten Dada-Charme. Und die Krisen ihrer Mittzwanziger in der Londoner Wohnungslosigkeit und mit Drogentoten im Freundeskreis an den Mythos, den Grimes um ihr Speed-Binge-Album VISIONS wob, das nach eigener Aussage in einer „Crackhöhle“ in Montreal entstand. Abgesehen von der exzentrischen Selbstmythologisierung, verbindet alle drei aber etwas anders: das Agieren außerhalb musikalischer Konventionen.
Text: Sophie Boche