Hotlist 2023: Die spannendsten Newcomer*innen des Jahres
Von Domiziana und Nina Chuba über Armani White bis Tara Lily: Die folgenden 16 Newcomer*innen werden (oder sollten) das Popjahr 2023 geprägt haben.
Renée Rapp: Heftig verknallt
Renée Rapp liebt Power Pop und will, dass wir alle davon wissen, in Beyoncé-Manier mit ihr feiern und gleichzeitig genügend Zeit zum Nachfühlen mitbringen.
Eigentlich würde die 22-Jährige gerne absolut auf sich und ihre Wünsche fokussiert durchs Leben gehen. Aber tatsächlich juckt es Renée Rapp doch sehr, was andere denken. Was ist der erste Eindruck von Leuten, die sie zum ersten Mal in der HBO-Serie „The Sex Lives of College Girls“ (2022) als Schauspielerin sehen? Oder wie kommt es jetzt an, wenn sie ihre erste EP „Everything To Everyone“ vorstellt? Wird sie als Musikerin mit Beyoncé als Vorbild ernst genommen? Hört sich jemand die sieben Stücke in Gänze an oder bleiben nur die TikTok-Schnipsel übrig? Die Singer/Songwriterin mit Hang zum großen Pop-Epos und im Kontrast dazu stehenden introvertierten, aber ebenso starken Lyrics kreist ständig um solche Fragen. Es verlangt ihr alles ab, sich von dem Antizipieren anderer Meinungen zu lösen.
Aber wenn sie einmal die Perspektive ändert und es besser weiß, als sich selbst zum People Pleaser zu machen, schreibt sie Tracks, die barmen und wüten, die klar reflektieren und sinnieren. Die Musik war ihr erster großer Crush und Rapps sanfter Umgang mit den Power-Pop-Arrangements und mit dem Erheben ihrer Stimme über die tagebuchartigen Texte entspricht dieser
andauernden Verknalltheit. Sie lässt uns nicht mit wohltemperiertem Mainstreambrei zurück – die EP-Songs haben allesamt dieses Gefühl von „sich gehen lassen“. Als hätte sie wirklich nur die raren Momente genutzt, in denen sie es schaffte, sich ganz von dem Außenwelt-Gebrabbel abzuwenden und diese Lieder über mentale Verletztheit, über die unendlichen Wellen des Liebeskummers und der Sorge um die Unbestimmtheit ihrer eigenen Emotionen zu schreiben.
Eben weil sie sich nicht zurückhält und uns selbst an der Entdeckung ihrer queeren Identität teilhaben lässt, wird es nicht still um die US-Künstlerin bleiben. Der Haken an der Sache: Dann muss sich Rapp doch irgendwann überlegen, wie sie ein Gespräch über ihre mentale Gesundheit mit ihrer Mutter am besten angeht. In ihrer Single „Don’t Tell My Mom“ offenbarte sie erst ihre Hoffnung, dass diese nie erfahren würde, wie innerlich kaputt ihre Tochter sich fühlen würde. Denn „my scars are her scars“. Doch wenn eines klar ist, dann wohl, dass Renée Rapp die richtige Ansprache dafür finden wird – so wie die Newcomerin es auch packt, sich in ihren Songs so zu äußern, dass man gleichzeitig mit ihr fühlen und sie umarmend feiern möchte.
(Hella Wittenberg)
Woher: North Carolina
Klingt wie: die innere Stimme von Clairo mit dem Wunsch nach der Extrovertiertheit von einem Olly Alexander
Anspieltipp: „Don’t Tell My Mom”
Neue Musik: Ende 2022 erschien die EP „Everything To Everyone“