Hot Chocolate
Errol Browns polierter Schädel wurde zum Markenzeichen des englischen Quintetts. Auch seinem Ruf als Ladykiller schien der Kahlschlag nie zu schaden. Im Gegenteil. Aber nicht nur über seine amourösen Abenteuer plauderte der schwarze Gentleman im Interview, sondern verriet uns auch intime Geheimnisse wie die Duftmarke seines Parfüms und den Spritverbrauch seines Rolls Royce…
Es war das beste, zumindest das angenehmste Interview, das ich bislang die Ehre hatte, führen zu dürfen. Nicht daß das, was Errol Brown mir anvertraute, schlichtweg atemberaubend war. Aber schnell, präzise und konzentriert, wie seine Antworten kamen, entwickelte sich ein charmanter Smalltalk, der eine Erholung war nach all dem diffusen Geplapper, das man sich oft genug von altklugen Neu-Stars anzuhören hat.
Errol repräsentiert ein eigentlich schon anachronistisches Showman-Verhalten der alten Schule – ein Relikt aus einer Zeit, als Stars noch keine Sternschnuppen waren – und man tatsächlich noch mehr war… als man vorgab zu sein.
Hot Chocolate arbeiten gerade an ihrer neuen LP und der neuen Bühnenshow – und wieder berücksichtigt Errol die Zeichen der Zeit: die Rückkehr des Rock zur Tanzmusik („Zum Komponieren brauche ich jemanden, der mich inspiriert. Das neue Album schreibe ich mit Adrian Gurvitz, der früher mit Ginger Baker und auch Jimi Hendnx gearbeitet hat. Es soll viel härter und rockiger werden als alles, was wir bisher gemacht haben“) und zu klassischem Entertainment in Hollywood-Dimensionen. („Genau darum geht es. Unsere frühen Songs waren noch sozial engagiert, aber die Leute wollen heute lieber im großen Stil unterhalten werden. Deshalb soll unsere Show so großartig, aufregend, energiegeladen und unterhaltsam wie möglich werden.“).
Zwischendurch findet Errol Zeit, mich zum besten Käsekuchen Londons einzuladen. Als er mich aus dem Office der kleinen, aber immens erfolgreichen Hit-Fabrik von Mickie Most (RAK) abholt, bestätigt er aufs neue das eigentlich längst abgenutzte Klischee von der ultimativen schwarzen Eleganz und Lässigkeit: Schmächtig und etwas verloren lächelt er freundlich unter seinem schwarzen Schlapphut hervor und lehnt aus dem Fenster seines Rolls-Royce Chromcle, der circa 220000 Mark teuren „sportlichen“ Ausgabe des englischen Luxusgefährts.
Als erstes beantwortet er mir die Frage, die keiner zu stellen wagt, der sich so ein Auto bestellt: Wieviel Sprit verbraucht ein Rolls?
„Ungefähr 20 Liter auf 100 km.“
Du bist reich und kannst mit dir zufrieden sein. Du wohnst vor den Toren Londons in Surrey, in einem großen Herrenhaus mit Garten?
„Haha, ja genau. Aber eigentlich lohnt es sich nicht, in England reich zu sein, wegen der hohen Steuern.“
Was hast du gewählt?
„Die Konservativen. Aber nicht nur, weil ich meinen Reichtum beschützen will. Ich denke, Thatcher ist eine sehr gute Führerin, die beste, die wir seit langem haben. Und die Labour Party ist in einem katastrophalen Zustand.“
Glaubst du nicht, daß Englands wirtschaftliche Lage unter Thatcher schlechter geworden ist?
„Oh nein, viel besser. Die Millionen Arbeitslosen sind eine Sache der Weltwirtschaft, der modernen Technologie, die Arbeitskräfte überflüssig macht.
Die einzige Möglichkeit für das Überleben des Kapitalismus besteht dann, eine Technologie zu entwickeln, die es jedem möglich macht, einen guten Tag zu haben, ohne viel zu arbeiten. Die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen, Arbeitszeitverkürzung. Sonst wird das System zusammenbrechen. „
Wer sich jetzt wundert, wieso jemand, der Songs wie „Heaven Is In The Back Seat Of My Cadillac“ schreibt, von Zeit zu Zeit sein Gehirn bemüht und dabei noch schmunzeln kann, dem muß gesagt sein, daß Errol ein gestandener Mann von 36 Jahren ist, der seinen Verstand schon intensiv gebrauchen mußte, um als farbiger Einwanderer in London zurechtzukommen:
„Nach ihrer Scheidung ließ mich meine Mutter mit fünf Jahren in Kingston, Jamaica, zurück.
Als ich zehn war, holte sie mich nach London. Sie arbeitete hart als Sekretärin, um uns ein kleines Haus zu kaufen.
Als Kind war ich nie muskulös, und ich mußte geistig mit den Grausamkeiten der anderen Kinder fertig werden. Ich war der einzige Schwarze auf der Schule. Was mir half das Gelächter zu ertragen, war meine Erinnerung an den Kindergarten in Jamaica, wo ein weißer Junge das gleiche Problem hat¿te: Es war brutal, aber auch lustig, denn der Junge wollte, obwohl es ihm finanziell besser als uns Schwarzen ging, natürlich auch schwarz sein.
Nach der Schule habe ich Wirtschaftswissenschaften studiert, vier Jahre lang, aber dann bin ich doch durch die Abschlußprüfung gefallen. Weil ich ein Schwarzer war, konnte ich keinen Job finden und bin eher zufällig in die Musikszene hineingeschlittert…“
… und hast das, was von deinen Haaren geblieben war, ganz abrasiert.
„Richtig. Meine damalige Freundin sagte, das sehe sexier aus. Da war ich 22 Mit 18 fielen mir die Haare aus, bis auf einen Haarkranz. Jetzt rasiere ich sie jeden Tag im Sommer – und jeden zweiten im Winter. „
Auch Errol hatte seine ersten Sanges-Erlebnisse im Kirchenchor (welcher farbige Showstar hatte das nicht?). Auf „Child’s Prayer“ beschwört er mit der Hot Chocolate so eigenen, inbrünstigen Dramatik und Naivität, daß die Welt den Glaubenverloren hat: „Nobody goes to church on Sundays anymore, is that why the world is fighting, filled with wars ?“
Bist du religiös, Errol?
„Ja, auch wenn ich nicht m die Kirche gehe. Aber ich glaube an das Gute im Menschen und an einen Schöpfer. Ich führe deshalb ein gutes Leben, stehle und betrüge nicht.“
Nach deinen Songs zu urteilen, mußt du eigentlich traurig oder zumindest sehr melancholisch sein. Wie kommst du auf die Texte, die du schreibst?
„Ja, du hast recht, tief im Innern bin ich ein sehr trauriger Mann. Ein Song wie ,You Sexy Thing‘ ist eine absolute Rarität für mich. Die Zeile ,It started with a kiss‘ fiel mir morgens im Bett ein. Eine schöne Zeile. Viele Dinge fangen mit einem Kuß an. Dazu denke ich mir eine Story aus, die irgendeine gefühlsmäßige Erinnerung in mir weckt. Wie ein Schauspieler, der irgend etwas in seinem Lebensucht, um seine Rolle glaubwürdiger spielen zu können.
,Man To Man‘ etwa entstammte der Beobachtung eines Freundes, der m Scheidung lebte. Ich konnte die Trauer der beiden sehen, und ich weiß, was Trauer bedeutet.“
Du verkörperst sehr glaubhaft sowohl die Rolle des gebrochenen, romantischen, in seiner Liebe allein gelassenen Verlierers, der sich in seinen Tränen windet – als auch die des Ladykillers, der mit Liebe und Sex keinerlei Versorgungsprobleme hat.
„Ja, ich wäre wohl auch heute noch ein Ladykiller, wenn ich nicht verheiratet wäre. Seit sieben Jahren habe ich eine Frau, die aus Mauritius stammt; meine Kinder sind drei und fünf Jahre alt.
Aber eine Frau hat es noch nie geschafft, mein Herz zu brechen. Das ist früher geschehen, als ich 19 war – und meine Mutter starb. Sie war lange die einzige Frau in meinem Leben. Aber auch wenn ich nie großen Liebeskummer bei Mädchen habe, weiß ich, was ein gebrochenes Herz ist.“
Die Frauen laufen dir ja angeblich überall nach; du weißt sicher, Neger und Glatze bedeuten nie versiegende Potenz. Und obwohl du glücklich verheiratet bist, hört man, daß du nicht viel anbrennen läßt.
„Hahaha, ich hoffe, diese Gerüchte erreichen nie England. Zu unseren Konzerten kommen 75 Prozent Frauen, unsere Musik ist sehr romantisch, und die Frauen sehen in mir den romantischen Helden.
Oh ja, ich liebe es! Aber ich bin froh, jetzt verheiratet zu sein. Vorher hatte ich eine wilde Zeit, absolut lächerlich. Ich kannte nicht einmal mehr Namen. Wenn ich am Morgen neben einer Frau aufwachte, wußteich nicht, wie sie hieß. Das ging vier bis fünf Jahre so; ich könnte das nicht noch mal machen.
Weil es ziemlich einfach für mich ist, jemanden aufzureißen, war ich sehr einsam. Es ist schön für eine gewisse Zeit im Leben, aber dann kann man es nicht mehr ertragen.“
Auf welchen Frauentyp stehst du denn?
„Nun, wenn man berühmt ist, muß man darauf achten, daß das Privatleben privat bleibt. Meine Frau und meine Familie nehme ich sehr ernst, also muß ich sehr vorsichtig mit meinen Äußerungen sein. Haha. Aber ich mag die sexy Girls, Mädchen, die sagen; ,Ich mag diesen Mann, ich will ihn haben.‘ Die Mädchen, die was von Männern verstehen und ihnen nicht alles glauben. Ich will nicht lange reden. Wenn mir jemand gefällt, und ich gefalle ihr, dann… sollen sich die Dinge auf intellektueller Basis entwickeln, hahaha.“
Welche Musik kaufst du dir?
„Privat höre ich Bowie, Stevie Wonder, meist Jazz/Funk-Musik Ich mochte auch ,Sweet Dreams Are Made Of This‘ und habe mir das Eurythmics-Album gekauft. Sie sind originell und für mich interessanter als Bands wie Duran Duran, für die ich gar nichts übrig habe. Ich kaufe mir nämlich viele Platten, um zu sehen, was es an neuen Sounds gibt, ob wir nicht davon etwas verwenden können. „
Errol, zum Schluß noch eine Frage, die sowohl deine weiblichen Fans als auch deine männlichen Neider interessieren dürfte. Du hast solchen Erfolg bei Frauen, welches After shave benutzt du?
„Oh, meine Frau kauft es für mich. Ich schaue es mir nicht mal an. Aber ich glaube, es ist Eau Sauvage von Dior.“
Trinkst du auch heißen Kakao („hot chocolate“)?
„Ja, vorm Schlafengehen.“
Stimuliert es dich?
„Haha, so kann man’s auch sehen. Ich habe nämlich einen nervösen Magen. Hot Chocolate-Spots habe ich aber noch keine gedreht. Ich sollte das als nächstes machen.“