Hooligan-Chic: Wie die britische Casual-Szene die Modewelt beeinflusst
Hooligans sind gewaltaffine Vollidioten. Das ist die gängige Meinung über diese Jugendkultur. Doch sie sind auch eine enorme Inspirationsquelle für den heutigen Streetstyle.
Für Politiker und Sittenrichter stellen sie eine Gefahr da, für die Modewelt eine enorme Inspirationsquelle: Hooligans erleben seit einiger Zeit eine modische Rehabilitation, die bereits so weit ausgeprägt ist, dass selbst Weltstars wie Rapper Drake sich öffentlich mit in der Szene fest verwurzelten Marken zeigen. Das führt natürlich nicht dazu, dass die Gewaltaffinität der Jugendkultur in der Gesellschaft akzeptiert wird, zumindest jedoch wird ein tieferer Blick auf das Phänomen genommen, seitdem Kids – auch bei uns in Deutschland – Marken wie Stone Island, Ellesse und Reebok für sich entdeckt haben.
Dass die Hooligan-Szene keine strikt heterogene Szene war und ist, zeigt sich auch in den Marken und Stücken, die es in den vergangenen Monaten in den Mainstream geschafft haben. Das in der Gesellschaft verbreitete Bild des Hooligans als glatzköpfiger Muskelberg, der sich über seine ballonseidene Bomberjacke mit müllabfuhrorangenem Innenfutter definierte, befindet sich bereits seit Jahren in Auflösung – was auch mit der Subkultur der Casuals zu tun hat.
Gewalt und Modebewusstsein
Entstanden in einer dunklen Phase der britischen Gesellschaftspolitik, in der die damalige Ministerpräsidentin Margaret Thatcher nach den Tragödien von Heysel (1985) und Hillsborough (1989), bei denen unzählige Menschen während Fußballspielen ihr Leben verloren, einen öffentlichen Krieg gegen Fußballfans initiierte, wehrten sich junge Hools gegen Restriktionen der Ordnungskräfte, indem sie ihr in der Öffentlichkeit verbreitetes Bild (siehe oben) änderten und Kleidung als Distinktionsmerkmal und Code untereinander nutzten.
Welcher englische Bobby würde bei einem adrett in italienischen Markenjeans und teurem Burberry-Trenchcoat gekleideten jungen Mann schon von einem Hooligan ausgehen? Eben: keiner. Bei all ihrer marodierenden Gewalt konnte und kann man den Casuals ein ausgeprägtes Modebewusstsein nicht absprechen. War diese Maskerade in hochpreisigen Klamotten zunächst Mittel zum Zweck, entstand recht schnell der Wunsch den Style auch außerhalb des Fußballstadions durchzusetzen.
Der stylischste Bengel des Kaffs
Die Hooligans begannen ihre Outfits kleinsäuberlich zusammenzustellen – und zwar so, dass auch Jungs, die nicht beim letzten Auswärtsspiel in Mailand und den darauffolgenden Raubzug durch die Viktor-Emanuel-Galerie dabei waren, sich zumindest halbwegs dem Look ihrer Influencer annähern konnten. Es wurde begonnen, teure Einzelstücke, wie etwa die geklauten Armani-Jeans, mit Alltagsmode und landein-landaus erhältlichen Sneakers zu kombinieren. Fila-Trainingsjacke mit klassischen adidas Samba, dazu eine Stone-Island-Jacke mit dem ikonischen Windrosen-Patch und bereits war man der stylischste Bengel des Kaffs.
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Dass den Hools, neben dem Aussehen, auch die Funktionalität ihrer Kleidung wichtig war, wird schnell vergessen. Stone Island etwa bot höchstinnovative Mäntel an, die durch ihre mit Gummi bespannte Baumwolloberfläche äußerst robust waren und so selbst den widrigsten Verhältnissen, wie etwa fliegenden Glassplittern, trotzte. Auch bei den Schuhen wählten die Kunden nicht völlig blind aus. Die „Reebok Classic Leather“ sind durch ihr extrem leichtes Gewicht und hochwertige Lederverarbeitung wie gemacht für den Kampf Mann gegen Mann (Blut lässt sich hervorragend vom Leder entfernen) und für die darauf folgende Flucht aus dem Feindesgebiet geeignet. Momentan sind die „Classic Leather“ und das nur unwesentlich klobigere Schwestermodell, der Tennisschuh „C85“, bei vielen Retailern ausverkauft. Reebok, jahrelang unliebsam vom adidas-Konzern mitgeschleppt, verdankt dem Wiederaufleben des Casual-Looks einen nicht zu vernachlässigenden Teil seines momentanen Aufschwungs. Hätten Fashion-Blogger und andere Internet-Hyper nicht ihre Sneaker für sich entdeckt, wäre Gigi Hadid jetzt ganz sicher nicht das Werbegesicht für das britische Sportswear-Unternehmen.
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Ellesse nutzt die Gunst der Stunde
Eine Marke, die noch weitaus mehr vom aktuellen Hooligan-Chic profitiert, ist Ellesse. Die italienische Traditionsmarke, in der unter anderem Boris Becker 1985 seinen ersten Wimbledon-Sieg feierte, war im Laufe der Globalisierung immer mehr in Vergessenheit geraten. Der Atem, um mit den Giganten Adidas, Nike und Puma mitzuhalten, war schlichtweg ausgegangen. Beinahe pünktlich zum 50. Jubiläum der Unternehmensgründung erwachte der Geist der Premium-Sportmarke wieder und verlagerte sein Leben vom Grabbeltisch der muffigen Intersport-Filiale im sterilen Shopping-Center in den trendigen Streetstyle-Store im urban pulsierenden Szene-Kiez. Ellesse nutzt die Gunst der Stunde und schießt eine Heritage Collection nach der anderen raus.
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Und die Casuals? Die freuen sich diebisch darüber, dass „ihre“ Marken und Klamotten auf einmal von Großstadt-Hipstern und Celebrities getragen werden. Auf Instagram reiht sich ein „Casual Lifestyle“-Account an den nächsten, Fotos von Stars wie Jason Statham und The Weeknd in Stone-Island-Pullovern werden von der Community gefeiert. Sie wissen, dass mit jedem Promi, der sich öffentlich mit den Szene-Marken zeigt, ihre Akzeptanz in der Gesellschaft wächst. Denn ein guter #ootd-Post kann heutzutage vielmehr erreichen als eine unnötige Tracht Prügel.