Honeymoon mit Katzenjammer


Vor genau einem Jahr ging der spektakulärste Coup der Musikgeschichte über die Bühne: Sony kaufte CBS, die größte Plattenfirma der Welt. Preis: zwei Milliarden Dollar. New York Times-Reporter Peter J. Boyer recherchierte für ME/Sounds diesen spannenden Wirtschaftskrimi und kam zu der Erkenntnis, daß der erste Zwist der Flitterwöchner schon vorprogrammiert ist.

Am Morgen des 20. Oktober 1987 sitzt Laurence A. Tisch, Aufsichtsratsvorsitzender von CBS Inc., in seinem Büro im 35. Stock des New Yorker „Black Rock“ und gibt sich seinen pessimistischen Gedanken hin. Ein Fernseher, auf dem Kanal der Börsen-Nachrichten eingestellt, sendet gerade den letzten Wallstreet Report.

Tisch konferiert mit einem seiner Geschäftspartner, und ihre Unterhaltung dreht sich um das, was an diesem Tage Geschäftsleute im ganzen Land beschäftigt. Es ist der Tag nach dem Crash, dem „schwarzen Montag“, der Tag nach dem Zusammenbruch der Börse.

10000 Kilometer entfernt, in einem Büro in Tokyo, wo es bereits spät am Abend ist, herrscht eine völlig andere Stimmung. Im Hauptquartier von Sony liegt gespannte Vorfreude in der Luft. Für uns, so drückt sich ein leitender Sony-Angestellter aus, ist der „schwarze Montag“ ein Glückstag. Nach 13 frustrierenden Monaten scheint Sonys Versuch, die größte Plattenfirma der Welt zu kaufen, endlich von Erfolg gekrönt zu sein. Sonys Mann in Amerika ist am Apparat und teilt mit, daß Tisch nun endgültig entschieden hat zu verkaufen.

Mehr als einen Monat lang lag Sonys letztes Angebot – schwindelerregende zwei Milliarden Dollar – auf Tischs Schreibtisch, beschnüffelt von diversen Direktoren, die unwillig waren, sich von diesem gehegten Teil des CBS-Erbes zu trennen. Dieses Zögern spiegelte nicht zuletzt die zwiespältige Haltung von William S. Paley wider, dem Begründer von CBS, der 1938 Columbia Records, das Flagschiff der späteren CBS Records, aufkaufte und dieses noch 50 Jahre später als „sein Baby“ bezeichnete. Aber Geschäft ist Geschäft – und zwei Milliarden Dollar waren ein stolzer Preis. Dazu kam, daß Tisch, der hartgesottene Geschäftsmann, diesen Deal wollte; der „schwarze Montag“ sollte schließlich den Ausschlag geben.

Die erste japanische Übernahme eines US-Konzerns dieser Größenordnung macht Schlagzeilen. Aber die Geschichte dieser Transaktion ist mehr als das. Es ist die Geschichte eines erbitterten Kampfes zwischen zwei Persönlichkeiten, dem unkonventionellen Kopf von CBS Records, Walter R. Yetnikoff – und Tisch, dem kostenbewußten Präsidenten der Gesellschaft. Aber letztendlich ist es die Geschichte zweier tiefgreifend verschiedener Geschäfts- und Kulturphilosophien: Auf der einen Seite die Investitions-Mentalität von Tisch, mit Augenmerk auf Aktienpreise und Gewinne, auf der anderen Seite die Langzeit-Strategie von Sony, die ein Geschäft erhofften, das die Nachwelt bewundern sollte. Tisch stieß einen Teil des CBS-Konzerns ab und häufte einen riesigen Stapel Bargeld an; Sony wollte eine Verbindung von Hardware und Software, die auch im nächsten Jahrhundert noch Früchte tragen soll Ein gutes Jahr später zeigen sich beide Seiten über den gelungenen Geschäftsabschluß hochzufrieden. Tisch ist glücklich, denn der Verkauf brachte CBS „vermehrte Einnahmen pro Aktie und beseitigte gleichzeitig das Risiko in einem Geschäft, das konjunkturbedingt und deshalb auch oft unkalkulierbar ist.“

Akio Morita, der 67jährige Mitbegründer und Vorsitzender von Sony, ignoriert die kurzzeitigen Risiken und Börsen-Schwankungen in Voraussicht auf den Tag, an dem Sonys Besitz der größten Plattenfirma der Welt ihren Hardware-Erfindungen eine unangefochtene Stellung im Markt sichern wird. „In 20 Jahren“, so Morita, „wird die Geschichte uns Recht geben.“

Obwohl konstant profitabel, unterliegt eine Plattenfirma wie CBS zwangsläufig Auf- und Abwärts-Trends und das ist nun überhaupt nicht Larry Tischs Geschmack. Inzwischen ist das Geld aus dem CBS-Verkauf zum Großteil in langfristigen Schatzbriefen angelegt, die praktisch keinen Schwankungen unterliegen – was Tischs Investitions-Philosophie erheblich näherkommt.

So hatte Larry Tisch im Oktober 1986, nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt als Aufsichtsratvorsitzender, durchaus ein offenes Ohr für den Anruf von Nelson Peltz. Der Chef von Triangle Industries (der größten Verpackungsfirma der Welt) wollte mit ihm über den möglichen Verkauf von CBS Records sprechen. Peltz wollte in die Unterhaltungsindustrie investieren – und da die Risiko/Gewinn-Relation in der Plattenindustrie wesentlich interessanter ist als beim Film, wählte er Ersteres. CBS war die Nummer 1, und trotz aller Dementis hatte Peltz den leisen Verdacht, die Firma sei vielleicht doch zu haben.

Peltz täuschte sich nicht. Tisch wollte verkaufen, aber die Forderung, die er stellte, bezeichnete Peltz als einen „sehr hohen Preis“: 1,25 Milliarden Dollar.

Peltz verlangte die Bilanzen, und Tisch wies den

CBS-Finanzchef an, ihm die gewünschten Unterlagen zusammenzustellen. Tisch versäumte jedoch, Walter Yetnikoff zu unterrichten.

Einige Tage später erhielt Yetnikoff den Anruf eines Freundes, der ihm mitteilte, daß er gemeinsam mit Peltz zu einem Gespräch vorbeikommen wolle. Yetnikoffs Wutanfall war nicht von schlechten Eltern, hatte er doch angenommen, er habe Tischs Versprechen in der Tasche, CBS nicht ohne seine Zustimmung zu verkaufen.

Um Yetnikoff zu beruhigen, bot Tisch ihm an, er könne gerne das Geschäft selbst abschließen und sich für einen anderen Käufer entscheiden. Aber die Konditionen waren klar: Der Preis blieb 1,25 Milliarden, und der Steuer wegen mußte der Deal vor Jahresende Zustandekommen.

Einen Monat später landete Michael S. Schulhof, Vizepräsident von Sony America, mit seinem Jet auf dem Teterboro Airport in New Jersey. Vom Flughafen rief er sein Büro an und erfuhr von seiner Sekretärin, daß er einen dringlichen Anruf von Yetnikoff erhalten habe. Bei seinem Rückruf erfuhr er, daß Yetnikoff von Tisch autorisiert worden sei, für CBS Records einen neuen Käufer zu finden. Die Frage lautete: War Sony interessiert?

„Es geht um 1,25 Milliarden“ eröffnete Yetnikoff Schulhof, zuzüglich einer Abmachung unter der Hand, welche Yetnikoff und seinem Management den Platz sichern sollte. „50 Millionen Dollar für mich und die Mischpoke“ – die Sippe. Er betonte noch die Dringlichkeit, denn der CBS-Vorstand würde schon in zwei Tagen zusammentreffen.

Der Anruf überraschte Schulhof nicht. Er kannte Yetnikoff seit Jahren und hatte ihn schon öfter über Tischs Führungsqualitäten klagen hören. CBS sei seit der „Tisch-Ära“ geradezu besessen von Kosteneinsparungen und zeige sich gleichgültig gegenüber dem „Management kreativer Talente“, wie Yetnikoff es nannte. Schulhof erinnert sich, am Flughafen zu stehen und zu denken: „Das ist eine einmalige Gelegenheit, über die schnell entschieden werden muß. Was den Japanern allerdings nicht ganz leicht fällt…“.

Trotzdem war er sicher, daß Sony die Gelegenheit beim Schöpfe ergreifen würde. Schließlich materialisierte sich hier Sonys jahrelanger Traum für die Zukunft: eine Hochzeit von Software – die Platten, Cassetten, CDs – und Hardware, also die Geräte, auf denen der Verbraucher sie spielen würde. 1970 hatte Sony mit seinem Videosystem Betamax eine herbe Niederlage einstecken müssen als dieses den Kampf gegen das „andere“ System VHS verlor. Den Verbraucher kümmerte es wenig, daß von Fachleuten Beta als überlegenes Produkt anerkannt wurde. VHS, von der Konkurrenz auf den Markt gebracht, war nun mal billiger. Und die Zuschauer waren an Vidto-Filmen interessiert, nicht aber an der Technologie. Das Ergebnis wäre vielleicht anders ausgefallen, hätte Sony durch den Besitz eines Filmstudios die Möglichkeit gehabt, selbstproduzierte Filme exklusiv im Beta-Format zu veröffentlichen.

Der absolute Imperativ auf dem Audio/Video-Markt ist es nun einmal, mit immer neuen Technologien aufzuwarten, wie z.B. vor Jahren dem Sony „Walkman“. In jüngster Vergangenheit entwickelte Sony den digitalen Audio-Cassetten-Recorder. DAT ist ein computerisiertes Aufnahmesystem, das in der Lage ist, eine nahezu perfekte Wiedergabe zu gewährleisten. Ende 1986 erkannte Sony, wieviel einfacher der Verkauf des neuen Systems sein würde, wenn man gleichzeitig im Besitz eines umfangreichen Musikrepertoires ist. Software und Hardware, so umschrieb es Norio Ohga, der Präsident von Sony „sind zwei Räder vom selben Wagen“.

Sony war also an CBS brennend interessiert, doch Schulhof mußte schnell handeln. Noch vom Flughafen rief er Tokyo an und unterrichtete Morita und Ohga von dem Angebot. 20 Minuten später rief er zurück:

„CBS ist so gut wie gekauft.“

Sogar Yetnikoff war perplex über die Geschwindigkeit, mit der Sony die Entscheidung getroffen hatte; – „vielleicht habe ich den Preis zu niedrig angesetzt“, witzelte er später.

Was dann passierte, sollte allerdings an anderem Ort für offene Münder sorgen. Am nächsten Nachmittag wurde Morita, der zufällig in New York war. von Tisch angerufen. Tisch wollte den Handel, um jeden Preis, Paley aber sträubte sich; auch einige andere Mitglieder des Vorstandes waren schockiert, als Tisch am Abend zuvor seine Entscheidung bekanntgab.

Sonys Vorstand war sprachlos. War dies die Art und Weise, in der die Amerikaner ihre „Big Deals“ abschlössen? „Ich war so überrascht“, sagt Norio Ohga. „Der Präsident des Unternehmens sichert uns einen Abschluß zu. Plötzlich dann, wenn die Verhandlungen anfangen, sagt der Vorstand: .Nein, nein, nein, das ist nur Mr. Tischs Idee.‘ So etwas haben wir noch nie in unserem Leben erlebt. Such a headache!“

Es sollte dann zehn Monate dauern, bevor die Gespräche wieder aufgenommen wurden. Japaner sind geduldig, was man von Walter Yetnikoff nicht behaupten konnte: Diese Verhandlungspause war für ihn eine Zerreißprobe. Immer mehr festigte sich für ihn das Bild von Tisch als kleinlicher Geizhals, in dessen Händen CBS Records zum Untergang verurteilt war. Yetnikoff scheute sich nicht, jedem der es hören (oder auch nicht hören) wollte, seine Ansichten über Tisch zu unterbreiten. „Er beleidigte Tisch, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot“, bemerkte Joe Smith, Boß des Rivalen Capitol Records.

Im internen Kreis von CBS war Yetnikoff. der frühere Rechtsanwalt, seit 1975 Chef von CBS Records, ein allseits bekannter Paradiesvogel. Er pflegte den Lebensstil seiner Rockstars, erschien frühestens

mittags in seinem Büro, blieb dann bis spät in die Nacht und trug niemals Krawatten. Er war berüchtigt für seine Angriffe auf die Unternehmensleitung: Warum hatte er nicht einen Privatjet wie die Kollegen von Warner Brothers? Jede Schallplattenfirma braucht ihre eigene Luftwaffe!“

pflegte er zu bemerken. Seine Ausbrüche bei Vorstandssitzungen waren legendär (seine Langeweile ebenfalls; war er doch einmal gar bei einer Aktionärsversammlung eingeschlafen.) Mit anderen Worten: Er war die Personifizierung des schillernden Musikgeschäftes inmitten der gesetzten, grauen Kulisse von CBS.

Yetnikoff verfügte über keine nennenswerte Musikalität, aber er war es ja auch nicht, der neue Künstler unter Vertrag nahm oder Platten produzierte. Was er jedoch beherrschte, war die Fähigkeit, mit den manchmal empfindlichen Egos der großen Stars umzugehen. In dieser Hinsicht gibt es wohl kaum einen Platten-Boß, der ihm das Wasser reichen kann. Ständig war er unterwegs nach Kalifornien, „weil Michael mich braucht“, unterbrach wichtige Telefonate weil „Barbra am anderen Apparat wartet‘ und sprang in die nächste Concorde nach Paris, weil Cyndi seine Anwesenheit während ihrer Konzerte so schätzte.

„Ich bin der Guru“ sagt er, „der spirituelle Führer!“ Eine Funktion, die – wie er oft betont – entscheidend ist in einem Geschäft, in dem „dein Produkt dich nachts nichts anruft und dich anschreit“.

Hatte Yetnikoff zunächst angenommen, er habe eine besondere Beziehung zu Tisch, so änderte er seine Meinung schnell. Bei ihrem ersten Treffen, so berichtete er, habe ihm Tisch eröffnet, er müsse ihm, als Teil des Sparprogrammes sozusagen, seine private Küche und sein Eßzimmer wieder schließen. „Ha! Was für eine Kostenersparnis!“, war Yetnikoffs zynischer Kommentar, als er einem Besucher die beanstandeten Räume vorführte. „Es ist nicht gerade das Taj Mahal!“

Langsam drängte sich ihm die schreckliche Erkenntnis auf, daß ein Guru, so wichtig er auch sein mag, in einer Firma, die Verschwendung verabscheut, auf einem wackeligen Stuhl sitzt. Es wurde daher Yetnikoffs erklärtes Ziel, Tisch davon zu überzeugen, daß er, Walter Yetnikoff, CBS Records war. Er ließ durchblicken, daß – falls ihm etwas passiere, sprich er gefeuert würde – einige wichtige CBS-Stars ebenfalls ihren Hut nehmen würden. Er deutete an, daß einige Verträge (wie z. B. der von Michael Jackson) sogar eine Klausel beinhalten, die ihn als „keyman“, als unabdingbaren Teil des Vertrages aufführten. Verpflichtungen gegenüber CBS bestanden also praktisch nur, solange Yetnikoff dort beschäftigt war.

Eines Tages rief etwa Jackson’s Manager Frank Dileo bei Tisch an. um Jacksons Loyalität gegenüber Yetnikoff zu unterstreichen. Tisch machte das neugierig genug, um einen der CBS-Anwälte damit zu beauftragen, der Vertragssituation auf den Grund zu gehen. Es stellte sich heraus, was Yetnikoff von Anfang an wußte: Verträge mit Klauseln gab es bei CBS nicht.

“ Woran Waller immer hart gearbeitet hat“, sagt der Rechtsanwalt Allen Grubman, der mehrere CBS-Künstler wie Billy Joel und Bruce Springsteen vertritt, „waren Schlüssel-Beziehungen. Er baute freundschaftliche Kontakte zu den größten Stars seiner Firma auf – wie Dylan, George Michael, Bruce Springsteen – und gab ihnen das Gefühl, er sei das Unternehmen. Diese Information wurde Tisch von einigen Seiten her zugetragen: Walter habe sozusagen die CBS-Künstler in seiner Hand. Nicht CBS sei man verpflichtet, sondern Yetnikoff persönlich.

Ob das wirklich wahr ist? Wer weiß? Aber man konnte nicht umhin, diesen Eindruck zu gewinnen – und das gab Walter eine unglaubliche Stellung. Alle Künstler, die ich betreue, behaupten, sie würden für ihn durchs Feuer gehen. Würden sie das wirklich? Hoffen wir, daß sie das nicht unter Beweis stellen müssen.“

In der Zwischenzeit entwickelte Yetnikoff eine neue Taktik um die Dinge voranzutreiben: Er entschied sich. Tisch (den er als “ Giftzwerg“ bezeichnete) und den Vorstand solange unter Druck zu setzen, bis sie sich zum Verkauf gezwungen fühlen würden. Yetnikoff zog selbst seine Künstler für diesen Plan heran. Cyndi Lauper z.B. erzählt, sie habe bei ihren CBS-Besuchen auf jeden, der auch nur im entferntesten wie ein Vorstandsmitglied aussah, heftig eingeredet und für den Verkauf geworben.

Yetnikoff selbst glaubt an den Erfolg seiner Kampagne: „Ich habe einen entscheidenden Teil dazu beigetragen, Tisch derart verrückt zu machen, daß er am Ende nur noch verkaufen konnte.“

Tisch kann darüber nur lachen.

„Ich habe allein im Interesse der Firma und der Aktionäre gehandelt. Yetnikoff hatte auf meine Entscheidung keinerlei Einfluß.“

Während hinter den New Yorker Kulissen heftig intrigiert wurde, blieb Sony geduldig. Sonys US-Statthalter Schulhof fünf inzwischen mit Tischs Zustimmung an, Paley zu bearbeiten. In diversen Treffen mit dem Gründer der CBS versuchte er diesen zum Verkauf der Plattenabteilung zu bewegen. Schulhof versicherte dem 86jährigen CBS-Veteranen, daß Sonys Absichten absolut integer seien, und daß Morita, der ja selbst ein Imperium aufgebaut hatte, volles Verständnis für Paleys „Baby“ habe. Er gab Paley vorsichtig zu verstehen, daß die Zeiten sich nunmal geändert hätten – und daß die Firma früher oder später verkauft werden müssen.

Im Laufe des Jahres 1987 trafen sich Schulhof und Paley etwa ein Dutzend Mal, und während sich Paley standhaft weigerte, war Tisch mehr denn je bereit, den Verkauf mit allen nur denkbaren Mitteln durchzusetzen.

Schulhof erhielt Tischs Anruf an einem Montagmorgen, als er sich gerade auf seinen Flug nach Tokyo vorbereitete, um dort an einem Routine-Meeting teilzunehmen. Da Tisch die Wichtigkeit seines Anrufes betonte, fuhr Schulhof umgehend zu ihm. Dort angekommen, wurde er über Tischs neue Preisvorstellungen informiert: “ Wenn Sony bereit ist, zwei Milliarden Dollar zu bezahlen, verkaufe ich.“

Schulhof meldete Zweifel an, denn er hatte Bedenken bezüglich Paleys Bereitschaft. Tisch beruhigte ihn:

„Ich werde ihn diesmal definitiv davon überzeugen, daß dieser Verkauf im Interesse der Aktionäre liegt. “ Wieder einmal war eine schnelle Entscheidung gefragt; bereits in zwei Tagen würde der CBS-Vorstand wieder zusammentreffen.

Am Abend des nächsten Tages kam Schulhof in Tokyo an; es war ein Feiertag. Trotzdem erwarteten ihn Morita, Ohga und einige andere VorStandsmitglieder im Hauptquartier von Sony. Yetnikoff, der gerade Michael Jackson auf seiner Japan-Tournee begleitete, war ebenfalls anwesend.

Tischs neuer Preis wurde heftig diskutiert. Yetnikoff hielt den Preis für überhöht. Allerdings hatte der Yen zu diesem Zeitpunkt einen besonders günstigen Wechselkurs gegenüber dem Dollar; darüberhinaus hatte Morita das Gefühl, Tisch würde nicht mit sich handeln lassen, also gab er schließlich seine Zustimmung. Schulhof telefonierte mit Tisch in New York, wo es bereits der Morgen der Versammlung war und gab grünes Licht.

Diesmal waren die Japaner zuversichtlich. Trotzdem riet Schulhof Morita, er solle vorsichtshalber Paley noch persönlich anrufen und mit ihm sozusagen von Pionier zu Pionier sprechen. Morita griff zum Hörer und versicherte seinem alten Bekannten, er verstünde nur zu gut, wie schwer ihm die Trennung falle, wäre aber mit Sony in der besten Position, Paleys Spößling weiterhin optimal zu betreuen. Danach zogen sich die Sony-Bosse voller Zuversicht zur Nachtruhe zurück.

A m nächsten Morgen versammelten sich alle wieder, gespannt auf das Ergebnis der CBS-Versammlung. Yetnikoff war dazu bestimmt worden, den entscheidenden Anruf zu tätigen. Und noch einmal mußte sich Sony auf einen Schock gefaßt machen. Tisch teilte mit, der Vorstand habe sich noch immer nicht entschieden. Außerdem sei man zu dem Entschluß gekommen, sich von einer unabhängigen Beratergruppe die Entwicklung auf dem Plattenmarkt prognostizieren zu lassen. Die endgültige Entscheidung würde wenigstens einen weiteren Monat auf sich warten lassen.

Sony verlor allmählich die Geduld. “ Wir konnten es nicht glauben“, war Schulhofs Kommentar. „Wir konnten nicht verstehen, wie die größte Plattenfirma der Welt, die sozusagen die Zukunft der Industrie bestimmt, einen außenstehenden Berater beauftragen konnte …um die Zukunft der Industrie zu prognostizieren. „

Einen Monat später, auf der monatlichen CBS-Aktionärs- Versammlung, wurde das Thema ein weiteres Mal diskutiert. Es sei zum Verrücktwerden gewesen, meint Schulhof: „Der Vorstand redete und redete und konnte sich nicht entscheiden. Die Gerüchteküche war am Überkochen und Walter war ein nervliches Wrack, weil er nicht wußte, wie seine Zukunft aussehen würde.“

Dann, fünf Tage später, als der CBS-Vorstand Sonys Angebot gerade zum dritten Mal abgelehnt hatte, wurde Sonys langes Warten von Fortuna belohnt: Die Börse brach sammen.

Plötzlich sah Tisch mit seinem Verkaufsplan nicht mehr so gut aus: Wer würde die Aktien jetzt noch kaufen? War Sony unter den gegenwärtigen Umständen überhaupt noch interessiert, zwei Milliarden Dollar zu investieren? Er rief Schulhof zu sich: War Sony noch interessiert?

Schulhof kam die Situation bekannt vor. Er forderte deshalb von Tisch die schriftliche Zusicherung, daß der gesamte Vorstand diesmal mit dem Verkauf einverstanden sei.

„Wenn Sony diesen Preis weiterhin akzeptiert“, so Tisch zu Schulhof, „garantiere ich, daß der gesamte Vorstandin den Verkauf einwilligen wird.“

Schulhof bestand auf eine schriftliche Zusage; Sony wollte keinerlei Blamagen mehr. Tisch stimmte zu.

Morita traf die Entscheidung, den Abschluß nun endgültig durchzuführen. Während für Tisch, den Investor, der Schwarze Montag den Ausschlag gegeben hatte, war Morita trotz des Crash völlig gelassen geblieben. „Da es uns letzte Woche zwei Milliarden wert war“, bemerkte er trocken, „ist es uns auch jetzt zwei Milliarden wen. “ Das Geschäft wurde jetzt endlich nach allem Hin und Her abgeschlossen.

Als der Verkauf publik gemacht wurde, beklagten prompt Vertreter der Plattenindustrie den Verlust eines Stückes amerikanischer Kultur. „Die Japaner bauen gute Autos, Fernseher und Traktoren. Aber werden sie einen zweiten Duke Ellington erkennen, wenn sie ihn hören?“ schrieb ein Kolumnist. Mitarbeiter der CBS fürchteten drastische Umwälzungen innerhalb des Unternehmens, wie zum Beispiel eine Invasion leitender Angestellter aus dem Reich der aufgehenden Sonne.

Bis heute hat sich wenig geändert. Die einzigen Japaner im New Yorker „Black Rock“ von CBS sind die Buchhalter von Sony. Unterm Strich hat sich das vorher nicht auf allen Fronten milde Klima bei CBS unter Sonys Führung sogar verbessert. Sogar die Fußböden werden nun regelmäßig gereinigt, wenn auch mit japanischen Reinigungsmitteln.

Verständlicherweise ist Yetnikoff der Glücklichste von allen. Sein mehrjähriger Vertrag mit Sony garantiert ihm 20 Millionen Dollar. Anfang des Jahres sah man ihn bei einem Jaguar-Händler, wo er sich den 1988er Vanden Pias bestellte. Als der Verkäufer ihn fragte, welche Extras er sich vorstelle, antwortete er nur: „Alle die sie haben“. Und er hat ein neues Spielzeug auf seinem Schreibtisch – das Modell des Firmenjets, einer Falcon 900, den Sony für ihn gekauft hat.

Andererseits wird allmählich aber doch ein Problem sichtbar, das Sonys scheinbar selbstlose Motive in Frage stellt: das Problem der digitalen Audiocassette. Sony war maßgeblich beteiligt an der Erfindung dieses zukunftsweisenden Soundsystems. Seiner Verbreitung auf dem Markt widersetzen sich jedoch alle Plattenfirmen leidenschaftlich – allen voran CBS Records. Sie behaupten, die nahezu perfekte Wiedergabequalität des DAT würde das unzulässige Kopieren von Cassetten und Schallplatten fördern und der Industrie (und den Musikern) Millionen an Tantiemen kosten.

Yetnikoff gibt sich betont gelassen. Er ist sich ganz sicher, daß Sony, inzwischen Besitzer einer Plattenfirma, nichts tun wird, was letztlich auch den eigenen Interessen schaden könnte.

Trotzdem bestehen keine Zweifel daran, daß Sony DAT auch wegen der sich im Moment abzeichnenden Verwendungsmöglichkeit der kleinen Cassetten als Speichermedium für den heimischen Personal Computer nicht aufgeben wird. Morita, der Ingenieur, der die große Hardwarefirma praktisch aufgebaut hat, gerät fast ins Träumen, wenn er die neue Technologie erläutert. „Digitaler Sound“, so sagt er, „ist die erste wirkliche Neuerung auf dem Sektor der Hardware seit Edisons Erfindung des Plattenspielers.“

Wie schon beim Kauf von CBS, so ist Sony auch im Falle von DAT gewillt, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. „Ich bin nicht in Eile“, sagt Morita. „Amerikaner überstürzen die Dinge manchmal. Immer sagen sie: , Wir haben keine Zeit‘. Aber ein Geschäft muß über Jahrzehnte wachsen. Es muß nicht alles in einem Jahr passieren. Ich habe sehr viel Geduld. „