Holly Johnson
Lange hat es gedauert, bis er seine Vergangenheit endlich abschütteln konnte. Doch nach endlosen Prozessen kann der Chef-Erotiker von Frankie Goes To Hollywood nun wieder seinen schlüpfrigen Phantasien freien Lauf lassen. Sylvie Simmons stieg zu ihm in den "Love Train".
In ,Riding The Love Train'“, sagt Holly Johnson und präsentiert ein typisches Johnson-Grinsen, diabolisch und frech zugleich, „geht es um die praktische Seite des Sex. ,Love Train‘ enthält eine Menge Zweideutigkeilen, finde ich. Der Reiz lag wohl unter anderem darin, etwas zwielichtigere Formen des Vergnügens an unseren selbsternannten Tugendwächtern vorbeizuschmuggeln. Heimlich ein paar Kübel Schmutz in den Mainstream zu gießen.“
Der Mainstream ist beunruhigend sauber geblieben, seit Frankie Goes To Hollywood vor über einem Jahr in einer Flut von Prozessen untergingen. Parlamentsdebatten, Verbannung aus den Programmen der BBC (als die endlich darauf kam, daß es in „Relax“, der brillanten ersten Single, tatsächlich um den Höhepunkt homosexueller Liebesfreuden ging) – Frankie war mehr als nur eine Pop-Band, Frankie war ein Phänomen. Drei „hemmungslos heterosexuelle“ Musiker, die sich „The Lads“ nannten, zwei schwule Frontmänner, Videos, die in Sado-Maso-Bars spielten, Live-Konzerte mit Transvestiten und an das Schlagzeug geketteten Mädchen. Im Rücken den mächtigen Produzenten Trevor Horn (der sich seinen Ruhm mit Yes und den Buggles erworben hat) und Paul Morley. Journalist und Meinungsmacher beim „New Musical Express“. Dazu einen der aufregendsten, üppigsten Sounds der jüngeren Pop-Geschichte. Alle ihre Singles landeten auf Platz 1 der englischen Charts, einmal belegten sie sogar die beiden Spitzenpositionen gleichzeitig; zwei ihrer Videos wanderten auf den Index, Plattenläden weigerten sich, sie ins Sortiment aufzunehmen, und halb England lief in viel zu großen weißen T-Shirts herum, auf denen Frankies gesammelte philosophische Grundsätze prangten. Sie brachten selbst Boy George auf die Palme, der ihnen vorwarf, sie stellten „Homosexualität als etwas Schmutziges dar, als ob Schwule es grundsätzlich nur in Badehäusern treiben. „
Holly dazu: „Popmusik war wirklich lang genug langweilig gewesen. Als wir auf die Bildfläche traten, haben wir ihr ein bißchen in den Hintern getreten. Politik ist eine Sache, aber ich glaube, es war sehr viel radikaler, sich mit dem Thema Sex zu beschäftigen.“
Sex verkauft sich immer und war sicher ein nicht unwichtiger Grund, warum Frankie eine der erfolgreichsten Bands der 80er wurde. Allerdings war er auch nicht gerade unerheblich am Auseinanderbrechen der Band beteiligt. Die „Lads“ waren mit dem schwulen Image nicht sehr glücklich, was zu internen Machtkämpfen führte. Gleichzeitig fanden Auseinandersetzungen mit Frankies Label ZTT statt, das Trevor Horn gehört.
Als Holly sich entschloß, die Band zu verlassen, ging ZTT vor Gericht und versuchte, ihn mit einer einstweiligen Verfügung an der Veröffentlichung eines Solo-Albums zu hindern. Holly sah das als „Einschränkung des freien Wettbewerbs“ und begann seinerseits zu prozessieren. Die Richter entschieden schließlich zu seinen Gunsten und sprachen ihm mehr als 1,5 Millionen Mark Schadensersatz zu.
Das Album, um das es dabei ging, soll in Kürze veröffentlicht werden; wahrscheinlich zusammen mit der zweiten Single, die nach dem aktuellen Stand der Dinge „Americanos“ heißen wird. Im Moment wird noch viel Geheimniskrämerei betrieben – alles ist fertig und wartet in New York auf den Startschuß durch Hollys Bettgefährten sowie allgegenwärtigen Manager Wolfgang – aber es ist anzunehmen, daß es vom Sound her nicht revolutionär anders klingen wird als Frankie. Als Produzenten der Singles wurden Andy Richards (Trevor Horns Keyboarder) und Steve Lovell (einer von Hollys Liverpooler Freunden) angeheuert. Zyniker äußerten den Verdacht, daß Holly ohne Horn und Morley gewaltig auf die Nase fallen werde, aber mit seiner ersten Single, die augenblicklich sämtliche Charts hinaufrast, scheint er alle Zweifler eines Besseren belehrt zu haben. Sein Kommentar: „Erfolg ist die beste Form der Rache.“ Seine Arbeit bezeichnet Holly als „mein Baby“. Er mußte Frankie verlassen, sagt er, “ weil es nicht mehr mein Baby war. Ich konnte mich darin nicht mehr wiedererkennen, ich hatte jede Kontrolle über die Sache verloren. Die Musik war einfach nicht mehr extrem oder fesselnd oder irgendwie sonst so, wie Musik für mich sein sollte. Ich hab’s nie bereut, daß ich gegangen bin.“