Hole Lotta Love


Courtney Love, einst Ehefrau von Kurt Cobain und Chefin der Band Hole, will nichts weiter als die ganze Welt erobern.

Die Suite im vornehmen Chateau Marmont  Hotel in Los Angeles sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Courtney Love, die weilbliche Handgranate, hat ganze Arbeit geleistet. Obwohl gerade erst angekommen, ist der Boden übersät von Essensresten, Kleidungsstücken, Schallplatten, Zeitschriften und Zigarettenstummeln. Während Eric Erlandson, Gitarrist von Courtneys Band Hole und Bassistin Melissa auf der Mauer still in ihren Sesseln hocken, liegt Lady Love breitbeinig auf dem Ledersofa, inhaliert den Rauch einer Zigarette und beglückt die Welt mit ihrer neusten Errungenschaft: Persuna, ein Apparat zur Überwachung des weiblichen Zyklus. „Von 100 Frauen, die Persuna über den Zeitraum von einem Jahr verwenden riskieren lediglich sechs eine ungewollte Schwangerschaft“, doziert Courtney. „Wenn die grüne Lampe leuchtet,  können sie die Freuden der Liebe ohne jegliche Verhütungsmittel genießen“. Ein allgemeines Johlen und Pfeifen erfüllt den Raum und verdeutlicht, wie sich die Rollenverteilung bei diesem Interview gestaltet: Die Chefin spricht, die anderen spenden Beifall. Und schon ist Madame in ihrem Element: „Dieses Ding haben die Wissenschaftler doch bestimmt schon vor 20 Jahren entwickelt“, ereifert sie sich über den schleppenden Fortschritt in der Fortpflanzungskunde. „Ich wette, sie haben es die ganze Zeit geheimgehalten.“ Courtney liebt Verschwörungstheorien – vor allem ihre eigenen. Auf fremde dagegen reagiert sie allergisch . Daß mußte zuletzt auch der britische Filmemacher Nick Broomfield erkennen, dessen Dokumentation „Kurt & Courtney“ die hanebüchene Hypothese vom Mord an Kurt (Cobain habe sich von Love trennen wollen, deswegen sei er von ihr abserviert worden) aufwärmt und ein wenig schmeichelhaftes Portrait von Courtney zeichnet – ein rachsüchtiges Monster sei sie, das sich nach oben gevögelt habe, nie genug bekomme und vor Machtgier platze. Diese Einschätzung ihrer Person fand Courtney gar nicht lustig und setzte alles daran, die Aufführung des Streifens zu unterbinden – mit dem Ergebnis, daß sich gerade deshalb viele Amerikaner den Film ansehen.

Darüber möchte ich nicht reden, gibt Courtney mit Blick auf den Film, ihre diesbezüglichen Schritte und die Reaktion des Publikums zu Protokoll, „jedenfalls nicht, so lange i meine Anwälte noch daran arbeiten. Wenn du den Film gesehen hast, weißt du, warum ich so wütend bin.“ Ganz Diva, gibt es noch weitere Themen, die Courtney zum Tabu erklärt: Kurt Cobain, Drogen oder auch „Courtney Love“, die angeblich autorisierte Biographie von Poppy Z. Brite, die dieser Tage in deutscher Übersetzung zum Preis von 26 Mark bei dtv erscheint. Die Autorin, Ex-Stripperin und Verfasserin des Kultromans „Lost Souls“, entwirft darin das kitschige Bild der verwirrten kleinen Courtney, die bei durchgeknallten Hippie-Eltern aufwächst, mit LSD gefüttert wird und schließlich in einer Besserungsanstalt landet. Dort gerät sie erneut an Drogen, gibt sich den ironischen Künstlernamen Love und vögelt alles, was auch nur nach Rockstar riecht.

Heute flirtet Courtney vorzugsweise mit den Berühmten und Reichen dieser Welt – mit den Musikern Michael Stipe (R.E.M.) und Trent Reznor (Nine Inch Nails) zum Beispiel, mit dem Schauspieler Edward Norton und bis zu dessen gewaltsamem Ende sogar mit Fashion King Gianni Versace. Dabei sucht Courtney, was ihr als Kind verwehrt blieb: Liebe, Respekt und Anerkennung. Geld spielt dabei nur eine sekundäre Rolle. Frau Love geht es um den gesellschaftlichen Aufstieg. Für selbigen gehe sie – so die Aussage des Films „Kurt & Courtney“ – sogar über Leichen. Wer sich ihr in den Weg stellt werde entweder verbal ausgeknockt oder auf Teufel komm raus verklagt. Wie auch immer, fest steht: Lady Love weiß, wie man sich wehrt und einen kräftigen Wirbel veranstaltet. Sicher ist auch, daß Courtney für ihre Selbstinszenierung die beste Bühne der Welt gefunden hat: die Glitzerwelt von Hollywood. Und – erstaunlich genug – Courtney konnte Fuß fassen im Zentrum der Haifischbranche. Für ihre Rolle in Larry Flint, dem vielgepriesenen Film über das Leben des legendären Herausgebers des Sexmagazins Hustler, wurde Love sogar für einen Oscar nominiert.

Doch wo sich Erfolg einstellt, sind auch Neider nicht weit. Der musizierende Underground etwa wirft Courtney wegen ihrer Buhlschaft mit Hollywood ideologischen Ausverkauf vor. Love selbst kann darüber nur müde lächeln: „Als Rockstar solltest du eine genaue Vorstellung davon haben, was du in dieser Welt erreichen willst. Und dazu gehört eben auch, nicht für immer im musikalischen Untergrund zu bleiben. Dort auf immer auszuharren, ist eine fixe Idee, die sich meine Generation in den Kopf gesetzt hat. Ich für meinen Teil versuche schon seit Jahren, die Leute zu motivieren, daß sie ihre Chancen nutzen. Das bringt doch mehr, als immer nur zynisch zu sein und das auch noch cool zu finden.“ Doch auch der musikalische Mainstream, in den Courtney mit aller Macht hinein möchte, zeigt ihr bis dato noch die kalte Schulter. Nicht, daß sie das erste Enfant terrible wäre, das via Hollywood zu gesellschaftlichem Ansehen gelangt ist. Der wahre Grund für die Ablehnung, die Frau Love in manchen Kreisen entgegenschlägt, liegt in der Halbherzig ihrer Anpassungsversuche. Zwar hat sie sich Busen, Gesicht und Hintern liften lassen, dazu Halluzinogene gegen Healthfood eingetauscht. Doch hinter der strahlenden Fassade ist sie noch immer die alte. Statt sich hinter eisigem Lächeln und gehaltlosem Small Talk zu verbergen, ist sie straight, direkt und explosiv – eine Mischung, die weder beim Mainstream-Publikum noch im vornehmen Beverly Hills besonders gut ankommt. So richtig zufrieden kann Courtney mit ihrem momentanen Status denn auch kaum sein. Den angestauten Frust versucht sie folgerichtig unter dem Deckmäntelchen des Künstlerischen zu verbergen. Mit Blick auf ihre Ambitionen als Schauspielerin sagt sie: „Ich will Filme machen, die etwas bedeuten, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen.“

Wie Courtneys wahre Gefühle aussehen, verdeutlicht „Celebrity Skin“, das dritte Album ihrer Band Hole in acht Jahren. „Celebrity Skin“ ist eine einzige Verbalattacke gegen den „Hollywood Way Of Life“ – gegen Starlets, den Schönheitswahn, falsche Freunde und satte Stars. „So ist schließlich die Realität“, rechtfertigt Courtney ihre harschen Texte, „sollte das jemand als Beleidigung empfinden, wäre ich schon zufrieden. Besonders, wenn Hollywood sich auf den Schlips getreten fühlt.“

Der Album-Titel ist denn auch bestens gewählt: „Celebrity Skin“ ist eines jener Schmuddelheftchen, das Zelluloidstars furchten und Fans wie Regisseure in vollen Zügen genießen. Für eine Handvoll Dollars unter der Ladentheke des gut sortierten Fachhandels erhältlich, sind hier die Jugendsünden von Stars und Starlets zu bewundern: frühe Nacktfotos, freizügige Filmszenen und indiskrete Snapshots, abgedruckt in ganzseitigem Format, damit auch wirklich jedes Detail zu erkennen ist. „Ich finde das sehr amüsant, vor allem, wenn es sich um bekannte Schauspieler handelt. Falls es irgendwelche schmutzigen Fotos von ihnen gibt, tauchen sie früher oder später garantiert in diesem Magazin auf“, grinst Courtney.

An „Celebrity Skin“ hat Love zusammen mit ihrer Band Hole fast zwei Jahre gearbeitet. Zum Vergleich: Das ’94er-Werk „Live Through This“, das gemeinhin als letzte große Platte der Grunge-Bewegung gilt, entstand in gerade mal sechs Wochen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute gilt Grunge, diese hymnische Mischung aus Wut und Trotz, als antiquiert. Lind so würde „Live Through This“, ein Album, das selbst Nirvana gut zu Gesicht gestanden hätte, heute wohl nur noch einen Bruchteil jener 70.000 Abnehmer finden, die sich allein in Deutschland für den Kauf der Platte entschieden. Weltweit ging „Live Through This“ satte zweieinhalb Millionen Mal über die Ladentische. Lind das nicht ohne Grund. Denn daß Courtneys damaliger Erfolg in weiten Teilen auf der Genialität ihres seinerzeit noch lebenden Gatten basierte, ist ein offenes Geheimnis. Bis heute fragen sich Fachleute, in welchem Maß Kurt Cobain an Loves Manifest der Riot-Girl-Bewegung beteiligt war, oder ob er gar sämtliche Instrumente im Alleingang einspielte – ohne genannt zu werden, versteht sich.

Courtney auf derlei Spekulationen anzusprechen, würde jedoch den sofortigen Abbruch des Gesprächs bewirken und zugleich bedeuten, auf der Liste jener Journalisten zu landen, die bei anstehenden Interviewterminen nicht mehr vorgelassen werden. Diese liste, man mag es kaum glauben, existiert tatsächlich und dürfte inzwischen mehrere Bände füllen – wer bei Courtney in Ungnade fällt, erhält keine zweite Chance. Rache ist süß, und Courtney kostet sie aus, vor allem bei Männern: „Ich erinnere mich noch an meine erste große Liebe – ein Typ aus Malibu. Der Idiot hatte mich mit einer anderen betrogen und sich dann von mir getrennt. Weißt du, was ich getan habe, um mich an ihm zu rächen? Ich bin bei seiner Mutter eingezogen und habe zwei Jahre bei ihr gelebt. Von diesem Schock hat er sich bis heute nicht erholt. „Die clevere Courtney ist da schon aus anderem Holz geschnitzt, was nicht zuletzt ihr Erfolg in Hollywood beweist. Die enttäuschenden Verkaufszahlen der ’97er-Kompilation „My Body The Hand Grenade“ dagegen zeigen: Mrs. Love ist zwar ein Star, die letzten Jahre über aber nicht wegen ihrer Musik.

„Celebrity Skin“ allerdings dürfte diese Entwicklung umkehren und beweist außerdem, daß Courtney auch ohne Kurt zu beachtlichen Leistungen imstande ist. Die Platte, so der Plan, soll höchsten musikalischen Ansprüchen genügen und Lady Love einen Platz auf dem Rock-Olymp bescheren. Was Wunder also, daß „Celebrity Skin“ generalstabsmäßig vorbereitet wurde. Kein noch so kleines Detail überließ man dem Zufall. Und schon gar nicht die Frage, welcher Produzent den Sound von Hole in diversen Topstudios umsetzen sollte. Man entschied sich für den renommierten Toningenieur Michael Beinhorn. Ab September nun wird „Celebrity Skin“ in den Läden liegen – und mit Sicherheit weit mehr als nur ein mäßiger Erfolg werden.

Nicht umsonst spricht Courtney von ihrem Titanic-Album. „Celebrity Skin“ ist das teuerste und aufwendigste Rockalbum seit langem. „Ein extravagantes Projekt mit einem extravaganten Produzenten und einer extravaganten Band“, wie Mrs. Love in der ihr eigenen Bescheidenheit unterstreicht. Und dabei hat sie zu allem Überfluß auch noch recht. Den extravagant ist „Celebrity Skin“ im wahrsten Sinne des Wortes. Immerhin muß man Mut besitzen, wenn man in den ausgehenden 90er Jahren noch mit einem waschechten Konzeptalbum aufwarten will, „Celebrity Skin“ ist eine Verbeugung vor Platten wie „Tusk“ oder „Rumours“. Courtney sieht die Sache differenzierter „Das Album ist definitiv sehr Fleetwood Mac-lastig. Aber es gibt einen gewaltigen Unterschied. In den meisten Songs ist unterschwellig davon die Rede, daß jemand stirbt.“

Dennoch: Neben dem Einfluß, den Fleetwood Mac auf Frau Love hatten (mit Stevie Nicks ist Courtney seit Jahren eng befreundet) trägt „Celebrity Skin“ auch die Handschrift eines anderen Mentors: Billy Corgan. Der Kopf der Smashing Pumpkins stimmte Courtney mental auf ihr neues Album ein, half in einer frühen Phase der Produktion und war bei fünf Tracks sogar als Songwriter beteiligt. Opulenter Pop, sphärische Intros und vertrackte Arrangements – Elemente, die das Zutun eines versierten, erfahrenen Handwerkers erkennen lassen, eines Musikers mit genialischen Zügen. Und genau damit glaubt Mrs. Love mittlerweile selbst gesegnet zu sein, erklärt Corgans unverkennbaren Stil zu ihrem eigenen und reduziert seine Rolle auf Privates: „Was er für mich getan hat, hat nichts mit der Band zu tun. Billy hat mir zu einer Zeit geholfen, als ich völlig fertig war, mein Bett nicht mehr verlassen wollte und null Interesse an nichts hatte. Er gehört zu den wenigen Menschen auf dieser Welt, denen es gelingt, mich aufzubauen.“ Am Ende sagt die sonst so selbstsichere Courtney aber auch noch das: „Billy ist der beste Musiklehrer, den man sich vorstellen kann.