Hör doch auf!
Sie waren eine der wichtigsten Bands des vergangenen Jahrzehnts. LCD Soundsystem haben einen Sound zwischen Disco, Punk und House erfunden, der einmal stellvertretend für die Nuller-Jahre stehen wird. Und jetzt soll Schluss sein damit. this is happening ist das letzte Album der Band. Wir bitten James Murphy um Erklärung.
LCD Soundsystem muss sterben. Der Mann, der die Band wahrscheinlich töten wird, hat auch alles Recht dazu: James Murphy. Er hat vor acht Jahren das Projekt gegründet, das in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts die Indie-Kids zum Tanzen gebracht – mit Musik, die kein Indie-Rock war, sondern ein Mischmasch aus Disko, (Acid-)House, New und No Wave und Punk Rock. Jetzt sitzt Murphy im viktorianisch eingerichteten Speisesaal eines viktorianisch eingerichteten Hotels im Londoner Stadtteil Soho und gibt ein Interview zum Album THIS IS HAPPENING. Die dritte Platte von LCD Soundsystem soll die letzte sein.
Wirklich?
Er ist sich nicht hundertprozentig sicher. „Ich glaube, ja. Ich glaube, dass es das letzte Album sein wird“, sagt er, „das bedeutet aber nicht, dass ich keine Musik mehr machen werde, nur nicht unter dem Namen LCD Soundsystem“. Und gleich wird er wieder die Trumpfkarte mit dem Alter aus dem Ärmel ziehen.
Das Alter, Murphy ist vor zweieinhalb Monaten 40 Jahre alt geworden, ist eines seiner Lieblingsthemen. Musikexpress hat ihn bisher drei Mal zum Gespräch getroffen. Bei jedem Mal fand Murphy dabei Gelegenheit, sein Alter in den Vordergrund zu stellen – in einer Mischung aus Koketterie und Stolz. Schließlich muss er sich bewusst sein, dass er mit seiner Band und seinem Label DFA ein eher jüngeres Publikum anspricht – mit diesem mal mehr, mal weniger rockigem Post-Disco-House-Sound, der ein Markenzeichen in der global vom Eklektizismus vereinnahmten elektronischen Musik der Nuller-Jahre geworden ist. „I’m ooooooold“, hat er beim ersten Treffen gesagt. Da war er fünf Jahre jünger als heute. „Sieh ihn dir an, diesen fetten alten Mann“ zwei Jahre später. Und heute dient ihm sein Alter auch noch als Grund zur Auflösung seiner Band. Die steht wahrscheinlich kurz davor, außerhalb von Indie-Rock und Electro, diesen hermetisch abgeriegelten musikalischen Zwischenwelten, in denen sie operiert, die Anerkennung zu bekommen, die sie verdient.
Aber, nein, das Alter.
„Ich bin jetzt 40 Jahre alt. Ich habe mir geschworen, dass ich aufhöre, wenn ich 40 bin. Ich werde – neben ein paar anderen Dingen – weiterhin Musik machen, aber LCD Soundsystem sein, auf Festivals spielen, auf Tour gehen und Platten bei einem Majorlabel veröffentlichen – das ist …“, Murphy hält inne und seufzt fast unhörbar, denkt kurz nach und fährt dann energisch fort. „Ich liebe es, in dieser Band zu sein, aber irgendwie möchte ich die Dinge vorantreiben. Ich möchte auch nicht berühmt sein, ich finde, dass LCD gerade groß genug ist. Ich möchte hinter dieser letzten Platte stehen können, ich freue mich darauf, auf Tour zu gehen. Aber es scheint so, als hätte ich eine natürliche Grenze erreicht mit drei Alben. Das ergibt Sinn für mich, weil nicht sehr viele Leute eine gute vierte Platte machen, oder?“
Die Erfindung der 10er-Jahre
James Murphy, geboren am 4. Februar 1970 in Princeton Junction, New Jersey, ab 1988 Mitglied der erfolglosen Punkbands Falling Man, Pony und Speedking, zieht 1997 nach New York und arbeitet als Tontechniker. Bei den Aufnahmen zum David-Holmes-Album BOW DOWN TO THE EXIT SIGN lernt er den Briten Tim Goldsworthy kennen. Der hatte in den 90er-Jahren zusammen mit James Lavelle das einflussreiche Label Mo‘ Wax gegründet und war zeitweise Mitglied von UNKLE. Murphy und Goldsworthy tun sich zusammen unter dem Namen Death From Above. Das Label und Produzententeam wird nach dem 11. September 2001 aus Gründen der Pietät nur noch unter dem Kürzel DFA firmieren. Die erste Veröffentlichung des Labels, die 12-Inch „House Of Jealous Lovers“ der New Yorker Band The Rapture, ist ein nervöser, Amphetamin-befeuerter Bastard aus Post-Punk und Disco als Definition des Labelsounds: Dance-Punk.
Die 12-Inch „Losing My Edge“ vom Juli 2002 wird die dritte Veröffentlichung von DFA und die erste von LCD Soundsystem. In dem Track singt James Murphy mit einem manierierten britischen Akzent und einer Stimme, die an die von Mark E. Smith von The Fall erinnert. „Losing My Edge“ handelt von den ewigen Coolness-Mechanismen im Pop, die er zwar entmystifiziert, sich ihnen aber auch gleichzeitig unterordnet. Es geht darum, den cool shit als Erster zu haben, den anderen immer eine Nasenlänge voraus zu sein und um die Angst, diese Fähigkeit zu verlieren. Der Text ist ein gigantischer Namedrop von Bandnamen und wichtigen Orten der Popgeschichte, von Can bis This Heat, vom „CBGB“ bis zur „Paradise Garage“, der ganze Song wie ein „Beginner’s Guide To Advanced Music“.
Die Veröffentlichung des gleichnamigen Debütalbums von LCD Soundsystem im Januar 2005 markiert den vorgezogenen Paradigmenwechsel im Pop der Nuller-Jahre. Während die Hipster mit den Debütalben von Bloc Party (das Murphy damals abgelehnt hatte zu produzieren, weil ihm die Musik nicht gefallen hatte), Maxïmo Park und The Futureheads beschäftigt sind, betreiben LCD Soundsystem Vorsorge für die Zeit danach, wenn die aktuellen britischen Bands mit ihren zweiten, dritten, spätestens ihren vierten Alben langweilig geworden sein werden. Disco-Punk statt Wave-Pop, die Erfindung der 10er-Jahre bereits in der Mitte der Nuller. Heute veröffentlichen Bands wie Hot Chip und Hercules And Love Affair ihre Musik bei DFA.
Und morgen soll es LCD Soundsystem nicht mehr geben.
Murphy spricht von einem „Haufen weiterer Gründe“ für das Ende seiner Band, die ja nie eine „richtige“ Band gewesen ist, sondern immer schon ein von ihm hierarchisch geführtes Konglomerat von Musikern aus dem DFA-Universum – aktuell Nancy Whang (The Juan MacLean), Pat Mahoney, Tyler Pope, Gavin Russom (The Crystal Ark), David Scott Stone und Matt Thornley. „Ich möchte kein Profimusiker sein. Ich wollte nie Teil einer professionellen Rockband sein. Ich glaube nicht, dass die Welt noch mehr professionelle Rockbands braucht. Ich bin zur Musik gekommen, weil …“ Und wieder bleibt ein Satz unvollendet. „Musik ist nur eine Sache von vielen, die ich mache. Ich betreibe ein Label. Ich mag die Platten, die ich gemacht habe, aber ich möchte das nicht für immer tun. Ich möchte Bücher schreiben, Romane.“
Erst viel später wird er den Hauptgrund für das Ende von LCD Soundsystem nennen. Bei der Begründung schwingt ein bisschen Resignation mit, weil Murphy erkannt hat, dass das, was er sein Leben lang geliebt hat, nicht mehr von der Allgemeinheit geliebt wird. Das Album als Institution im Pop. Die Zeit des Albums in der Musik sei vorbei, sagt Murphy, kein Mensch wolle mehr Alben hören. Ausgerechnet er, der als Musiker und Labelchef für das Format Album in der elektronischen Musik der vergangenen Jahre mehr getan hat als jeder andere; ausgerechnet im Frühjahr 2010, in einer Zeit, in der offensichtlich eine Rückbesinnung auf das Albumformat stattfindet, die an der überdurchschnittlich hohen Zahl von guten Alben quer durch alle Subgenres der elektronischen Musik abzulesen ist – ausgerechnet jetzt verliert ausgerechnet James Murphy, der Musiknerd, der manische Plattensammler, der Vinyl-Maniac, den Glauben an das Album.
Oder vielleicht doch nicht?
Mitte April, ein paar Wochen nach dem Interview in London, wird er öffentlich einen Versuch zur Rettung des Albums unternehmen, genauer: zur Rettung seines neuen Albums. LCD Soundsystem geben einen „geheimen“ Gig in Manhattan in der „Webster Hall“. Irgendwann während des Auftritts wird James Murphy auf die Knie fallen und einen leidenschaftlichen Appell an sein Publikum – „normale“ Fans und eine Reihe von Plattenfirmenmenschen – richten. Diejenigen, die ein Vorabexemplar der Platte bekommen haben, sollten es bitte nicht weitergeben. „Wir haben zwei Jahre damit verbracht, diese Platte aufzunehmen, und wir wollen sie dann herausbringen, wenn wir sie herausbringen wollen. Geld ist mir egal – nachdem das Album draußen ist, könnt ihr es geben wem ihr wollt – gratis. Aber bis dahin, behaltet es für euch.“
Die Angst vor der Internetpiraterie ist nicht unbegründet. Murphy weiß, wovon er spricht. SOUND OF SILVER, das zweite Album von LCD Soundsystem, war bereits im Dezember 2006 – drei Monate vor seiner Veröffentlichung – auf den einschlägigen Blogs im Internet aufgetaucht. „Das hat mich sehr geärgert“, sagte Murphy damals. Als Schuldiger wurde ein amerikanischer Musikjournalist ausgemacht. „Ich weiß, wie so was passiert. Ich könnte wetten, dass das nicht der Journalist selbst gewesen ist, sondern der beste Freund des Journalisten oder sein Mitbewohner. Der Leak hat mich nicht wegen der Plattenverkäufe geärgert, sondern weil ich das Album noch nicht den Leuten gegeben hatte, denen ich es geben wollte, meiner Familie, meiner Band. Ich hatte noch keine Chance, mit dem Album zu leben, es ein bisschen anzuhören, zu erkennen, dass es meins ist. Und dann schreiben sie in den Blogs:, Das Album ist nicht so gut wie das erste‘, oder, Das Album ist besser als das erste‘. Ich wollte keinen Rummel haben, ich wollte einen Moment der Ruhe.“
Man kann Murphy guten Gewissens als altmodisch bezeichnen. „Ich bin alt und verschroben und kaufe Vinylschallplatten“, hat er in seinem MySpace-Blog geschrieben. Er lacht, als ihm der Satz vorgehalten wird. „Ja, aber das ist doch die Wahrheit!“ Murphys Form des Altmodischen hat nichts mit Vergangenheitsverklärung zu tun, ihr wohnt etwas Transzendentales, Postmodernes inne. „Es ist wichtig, modern zu sein, wenn man ein Teil der Welt sein will.“ Wie zum Beweis steht vor ihm auf dem Tisch sein MacBook Air, daneben liegt sein iPhone und ein Handy. „Ich habe ein iPhone, ich liebe die Ortungsfunktion. Ich mag es nicht als Telefon, weil ich finde, dass Telefone einfach zu bedienen sein sollten. Ich will kein Telefon haben, bei dem ich ständig beide Hände benutzen muss.“ Das Handy klingelt, Murphy murmelt: „Lass mich in Ruhe“ und drückt den Anrufer weg. „Ich möchte nicht absichtlich anachronistisch sein. Es ist einfach so, dass ich manche Dinge mag, die etwas älter sind, weil ich denke, dass manche Dinge die älter sind, besser sind.“ Zum Beispiel Vinylschallplatten. „Niemals“, sagt er, würde er als DJ auf Vinyl verzichten zugunsten digitaler Hard- und Software. „Da würde ich lieber aufhören mit dem Auflegen. Ich fühle mich gut dabei, unzeitgemäß zu sein. Ich möchte auch gar nicht altmodisch sein, ich bin einfach der Meinung, dass digitale Tonträger einen verdammt schlechten Klang haben. Wenn sie nicht so schlecht klingen würden, würde ich vielleicht in Betracht ziehen, auf digital umzusteigen. Aber es klingt so schrecklich, es beleidigt meine Ohren. Es klingt einfach ABSOLUT SCHRECKLICH. Ich höre ständig Leute, die mit MP3 auflegen. Ich denke mir, ich kenne diesen Song, aber er klingt nicht so wie der, den ich kenne.“
Die Inszenierung der Coolness
James Murphy hat in den Jahren zuvor im Gespräch immer einen leicht derangierten Eindruck hinterlassen. Auch diesmal: er wirkt müde, kaputt im Sinne einer durchzechten Nacht. Die Nichtfrisur ist struppig und zerzaust, im Gesicht wächst ein Dreitagebart, vor ihm auf dem Tisch steht ein Teller mit Pasta, den er sich von einem Hoteldiener hat servieren lassen. Jetzt stochert er wie beiläufig mit der Gabel in den Nudeln herum. Dann sagt er, „Ach, wie unaufmerksam“, schiebt den Teller in Richtung seines Gesprächspartners und fragt, ob der denn mal probieren wolle, obwohl er ganz genau weiß, dass dieser das Angebot selbstverständlich ablehnen wird. Es ziemt sich nicht vom Teller eines Rockstars zu essen. Wo kämen wir denn da hin?
Es ist nicht abschließend zu klären, ob es sich bei dem müden, alten Mann um den echten James Murphy handelt oder die perfekte Inszenierung der Coolness durch ihre Antithese, den normalen, weitgehend unbekannten Typen mit seiner komischen Band, der schon mal einen Promotermin in Berlin für ein DJ-Set bei einer Fashionshow von Yves Saint Laurent in Paris platzen lässt. Als Kind, sagt Murphy mit vollem Mund, da wollte er berühmt werden. Heute dagegen sei er froh, dass er es nicht sei. „Man kennt mich in meiner Nische, aber außerhalb davon, in der breiten Öffentlichkeit, bin ich nicht sehr bekannt. Ich glaube, dass das auch mit dem Leben in New York zu tun hat. Die New Yorker interessiert das nicht. Jay-Z lebt in New York, die Beastie Boys wohnen in New York, Sarah Jessica Parker auch – da interessiert sich doch niemand für mich. Ich kann mit der U-Bahn fahren und alles ist okay. Die meisten Kids kennen meine Band nicht. Meine Band gefällt höchstens einem speziellen Kid, das sich damit identifiziert weil es anders sein will als die anderen Kids – das gibt’s ja heute immer noch.“ Er überlegt kurz, richtet seinen Blick an die Zimmerdecke und fährt fort. „Ich will ein Beispiel geben. In dem Flugzeug, mit dem ich von New York nach London geflogen bin, saß ich neben einer Dame. Sie stellt sich als die Frau des Piloten vor. Wir kommen ins Gespräch. Ich frage, was sie so macht. Und sie sagt, dass sie mit ihrem Mann nach London fliegt, um ihren Bruder zu besuchen, der dort arbeitet. Dann werden wir gemeinsam Abendessen, sagt sie, und fliegen wieder zurück, weil mein Mann Pilot ist. Ich sage: Das ist ja verrückt! Und sie fragt, was machen Sie denn so? Ach, sage ich, ich mache Musik. Sie fliegen nach London, um ein Konzert zu geben? fragt sie. Nein, sage ich, ich fliege nach London, weil ich Promotion für meine neue Platte mache. Und sie: Was machen Sie für Musik? Sind Sie berühmt? Kenne ich Sie? Und ich antworte: wahrscheinlich kennen Sie mich nicht.“
www.lcdsoundsystem.com
Albumkritik S. 85
Diskografie — LCD Soundsystem
Studioalben
LCD Soundsystem (2005)
Sound Of Silver (2007)
This Is Happening (2010)
Weitere veröffentlichungen
Introns (Remix-Album) (2006)
45:33 (2006)
A Bunch Of Stuff (EP) (2007)
45:33 Remixes (2009)
Singles
„Losing My Edge“ (2002)
„Give It Up“ (2003)
„Yeah“ (2004)
„Movement“ (2004)
„Daft Punk Is Playing At My House“ (2005)
„Yr City’s A Sucker (2005)
„Tribulations“ (2005)
„North American Scum“ (2007)
„All My Friends“ (2007)
„No Love Lost“ (Joy-Division-Cover) / „Poupée de cire, poupée de son“ (Serge Gainsbourg/France Gall-Cover (2007) (Split 7-Inch mit Arcade Fire)
„Someone Great“ (2007)
„Confuse The Marketplace“ (EP) (2007)
„Time To Get Away“ (2008)
„Big Ideas“ (2008)
„Bye Bye Bayou“ (Alan-Vega-Cover) (2009)
„This Is Happening“ (EP) (2010)
„Pow Pow“ (Record Store Day Exclusive) (2010)
„Drunk Girls“ (2010)
Compilations
DFA Compilation Vol. 1 (2003)
DFA Compilation Vol. 2 (2004)
Music From The OC: Mix 5 (2005)
DFA Holiday Mix (2005)
Fabric Live 36 (2007)
21 (Soundtrack) (2008)
Greenberg (Soundtrack) (2010)