Hirnflimmern: Wie ist es in einer richtigen Scheißband zu spielen?
Man steckt nicht drin. Und das ist auch ganz gut so, findet Josef Winkler.
Letztens hatte ich wieder diesen abgründigen Gedanken – ich denk mir das öfter, wenn mir entsprechende Sachen unterkommen, die sich mit unserer Schulweisheit nicht erklären lassen. Ich fühl mich in diese Gedanken dann gern so ein bisschen rein und versuche solche Phänomene irgendwo ein Stück weit zu verstehen. Also wenn man sagt, man ist empathie-technisch halbwegs normal veranlagt, und man stellt sich vor, man ist zum Beispiel, Hausnummer, die Band Nightwish. Ich weiß nicht, wie’s Ihnen da geht. Stellen Sie sich vor, Sie sind die Band Nightwish – oder, falls Ihnen das leichterfällt, ein Mitglied der Band Nightwish.
Sie haben mal wieder so eine Platte gemacht und jetzt blüht es Ihnen: Jetzt müssen Sie ein Dreivierteljahr lang auf Tour jeden Abend diese fürchterliche Musik spielen! Also spätestens da vergeht’s einem doch eigentlich, oder? Möchte man meinen. Also: Ich tät hinwerden. Ich würde eingehen wie eine Primel. Mich täte es aufs Lager legen. Aber das ist es eben – dann gibt’s halt echt einfach Typen, die packen das. Die können das ab, so wie es, was weiß ich, Schlammtaucher gibt und Wohnungsmakler. Klar, das sind Leute, die sind ganz anders verdrahtet, die haben ganz andere Wahrnehmungsparameter als unsereins, die haben ein ganz eigenes psychisch-emotionales Bezugsgefüge beieinander. Das können wir gar nicht nachvollziehen: Wie denkt so einer, was findet so einer blöd oder gut oder wie man überhaupt sagen soll?
Und darum, so erklär ich’s mir halt immer, darum gibt es so Bands wie Nightwish. Darum ist das möglich. Wo man natürlich als fühlendes Wesen meinen würde: Gut, eine Laune der Natur, und das hält objektiv keine Sau länger als 40 Sekunden aus. Aber dann dieses Phänomen, wo man bei uns früher gesagt hat: „Wo andere ein Gefühl haben, hat der eine Hornhaut!“ Und dann verfestigt sich so etwas irgendwie, und dann gibt es so Bands … wie Nightwish. Oder stellen Sie sich vor: Limp Bizkit. Gibt’s ja auch noch. Oder Revolverheld. Ich sag immer: Du steckst nicht drin.
Ich denke, es gehört schon auch ein gewisses Maß an Verrücktheit, aber auch an Professionalität dazu, in so einer richtigen Scheißband zu spielen. Das auf die Dauer dann auch durchzuziehen … Aber noch etwas anderes beschäftigt mich: Fusion-Jazz. Da muss man ja ganz vorsichtig sein, weil die Geschmackspolizei da ein wahnsinniges Auge drauf hat. Wenn Sie heute hergehen und sagen: „Ich hör Fusion-Jazz“, das kann bei aller gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz für Retroscheiß jeglicher Art sauber ins Auge gehen. Ich mach’s nun aber öffentlich und erkläre:
Ich höre seit Tagen mit großem Genuss IN A SILENT WAY von Miles Davis – das sich aber wahrscheinlich zum Fusion-Jazz verhält wie „Der weiße Hai“ zum restlichen Genre Fischhorrorfilm. Auch eine interessante Frage übrigens: Warum ist eigentlich nie ein guter Fischhorrorfilm nachgekommen? Sie sehen schon: Die Themen gehen uns nicht aus. Oder auch doch?