Hirnflimmern


Gestern nach Feierabend fand ich mich in einer super Situation wieder. Ich saß an einem Profi-Schlagzeug in einer Glasbox in einer abgelegenen Ecke eines Tonstudios. Es war kaum mehr jemand da, die Restaktivität des Tages konzentrierte sich anderswo im Stockwerk, und mein Gastgeber bot mir an: „Willst du trommeln? Hier!“ Er reichte mir einen Gehörschutz, schloss die Tür der schall-isolierten Box und ließ mich im Aufnahmeraum zurück. Willst du trommeln? Will ich trommeln! I will drum! Ich bin der Billy Elliot des Trommelns! Ich platze schier vor in mir pulsierendem Trommelwillen! Ginge es nach mir, die Welt würde widerhallen vom mächtigen Pfund meiner Breaks! Das Problem ist nur: Ich kann’s nicht. Ich habs nie gelernt, und es wurde mir nie beigebracht. Klar: Was heißt können! Trommeln ist doch erstmal total intuitiv! Aber immer, wenn ich im Bekanntenkreis mal einem Schlagzeug begegnet war, hatte ich nur sachte herumzuditschen gewagt. Die Intuition bricht sich schwerlich Bahn, wenn man sich vor lauter Befangenheit nur nervös umblickt, ob nicht doch jemand zuhört, sich gestört fühlt oder gar feixt über den Rhythmusdepp da an der, äh, Schießbude. Oft stellte ich mir vor, wie toll es wäre, mal in einem abgelegenen, schalldichten Raum mit einem Schlagzeug allein zu sein und total intuitiv draufloszudeppern. Jetzt saß ich hier wie der kontaktschwache Geek, der mit seiner Angebeteten auf einer einsamen Insel gestrandet ist – und sich immer noch nicht traut, sie anzusprechen! Ich konnte nicht trommeln. Jeder Boing, jeder Plonk, den ich mit zaghaften Tupfern der unbeholfen umklammerten Sticks erzeugte, scholl wie Narretei in meinen Ohren. Isolierung hin oder her, jemand musste dieses Gestopsel mitkriegen, ja: Mein Unvermögen, aus mir herauszugehen, reichte aus, um mich vor mir selbst zu schämen. Angewidert von der emotionalen Absurdität der Situation trollte ich mich aus der Schlagzeugbox. Ich kann nicht trommeln, gestand ich, mir fehlt die Chuzpe zum Trommeln. Ob ich auch einer von denen sei, die nur im Auto singen könnten, fragte mein Gastgeber. Ein fahrendes Auto sei der einzige Ort, an dem die meisten Leute sich zu singen trauten, weil sie da sicher nicht gehört würden. Was ist bloß los? Warum würden wir nie singend durch die Fußgängerzone schlendern, aus Furcht, für durchgeknallt oder besoffen gehalten zu werden? Und warum würden wir jemanden, der singend durch die Fußgängerzone schlenderte, für durchgeknallt oder besoffen halten? Es wird jetzt ein Schlagzeug angeschafft. Irgendein Schrottkit, der kommt in den Keller, dann werden wir schon sehen. Grade war ich bei Ebay. Da gibts für 4.000 Euro Startgebot das Schlagzeug, das seit den frühen 90ern mit Iggy Pop durch Europa tourte. Was ein schöner Zufall ist. Ich weiß noch, wie mich damals – München, Charterhalle, ca. 1993 – speziell dieses Schlagzeug mit seiner Kingsize-Bassdrum beeindruckte. Wäre cool gewesen, sich am nächsten Tag für Trommelunterricht anzumelden.