Hirnflimmern
Leichtlaufkonsensschmiere, Geltungssuchtsdelirien und sein Kind
„Musik“, weiß die körperlos ölende Werbestimme im Spätabendprogramm, ist ein fester Bestandteil unseres täglichen Lebens. Sie dient dazu, Stimmungen in uns zu wecken, Stimmungen der Freude, aber auch der Entspannung und Ruhe.“ Oder aber auch Stimmungen des In-den-Mülleimer-reihern-Wollens. Wer zum Beispiel dem Wintersport (passiv) zugeneigt ist, dem wurde vom ZDF letzthin zwei Wochen lang die Vokalpumpstation Anastacia als fester Bestandteil ins tägliche Leben geklebt. Dass das für viele keinen schönen, für andere gar einen ausgesprochen ekligen Umstand darstellt, ist den TV-Kreativen in der Popwüste Deutschland sattsam wurst: Musik ist für diese Leute der Ritzensülz, mit dem sie die Fugen ihres schnittigen Programmproduktes zu vollendeter Gleitfähigkeit ausschäumen. Die emotionale Dimension ist hinfällig, benötigt wird Leichtlauf-Konsensschmiere zum Drüberwegglitschen. Die Belästigung nimmt auch kein Ende, nicht einmal dieser spezielle Fall: Im Juni darf Anastacia gleich noch die Fußball-WM zersingen (hier sei noch einmal auf die ehrbare Website www.stoppanastacia.de verwiesen). Klar: Every generation has its own grässliche Sportgroßveranstaltungs-Lieder. Aber gleich zweimal im Jahr Die Röhre From Hell? Herrgott, dann doch gleich wieder Bon Jovi. Oder wenigstens, was weiß ich, Whitney Houston, Udo Jürgens und die deutsche Fußballnationalmannschaft. Koreana. Oder was.
Aber im Fernsehen ist man eh nicht sicher. Da ist man mal einen Samstagabend faul und schaut nach langer Zeit wieder „Wetten, dass“. Vielleicht ganz lustig, denkt man. Und dann sitzt man fassungslos da, während der sehr seltsame und würdelose ältere Herr Ralph Siegel (bei dem ich mich frage, ob der nun zu viele Medikamente nimmt oder zu wenige! und die ungute Corinna May im Delirium ihrer Geltungssucht „Smoke On The Water'“ performen, dass sogar Thomas Gottschalk peinlich berührt ist. Man empfindet Scham für diese Leute. Und – schlimmer – Scham vor sich selbst: Was machst du hier eigentlich, Idiot? Den Zeitdieben auf den Leim gegangen! (Letzte Meldung: Gestern, erzählen Kollegen, haben Stefan Raab und sein Studiogast das ekle Duett bei „TV Total‘ nachgestellt. Der Studiogast war Anastacia. Na, dann haben wir sie ja wieder alle beisammen.) Und manchmal ist man dann doch sicher im Fernsehen. Wenn nämlich Charlotte kommt. Dann hat das Gehampel Ruh, und Charlotte sagt Sätze wie diesen am 25. Februar: „George Harrison wäre heute 59 geworden, wenn er nicht mittlerweile mit John Lennon irgendwo sitzen und alle Paul-McCartney-Songs umschreiben würde.“
Das ist so charmant und lustig und liebevoll, dass ich es mir gerne zum Schlussmachen ausleihen würde. Darf ich? Meine Verehrung. Schluss.