Helen Schneider – Tapferes Schneiderlein
Vom Glück und den Fans verlassen, ausgelaugt und deprimiert, verschwand die "Roclc'n'Roll-Cypsy" 1983 im Nichts. Fünf Jahre später taucht sie ebenso plötzlich wieder auf. ME/Sounds rekonstruierte die fehlenden Jahre.
Vergessen ist das Heimatvertriebenen-Flair der „Rock ’n‘ Roll Gypsy“, entschwunden die New Yorker Dekadenz, den die hohlwangigen Gestalten ihrer früheren Begleitband The Kick verbreiteten. Straffe, gesunde Musik tönt plötzlich von Helens neuer LP BACK ON TRACK, komponiert, produziert und hochglanzpoliert bei der Spezialfirma für gut geölten Ladys-Rock: Mende/DeRouge in Roßbach bei Frankfurt.
Daß sie überhaupt noch einmal in den Rock’n’Roll-Ring stieg, halte eigentlich niemand erwartet. Vor knapp einem halben Jahr erst stand Madame Schneider, inzwischen 35, im Berliner „Theater des Westens“ auf der Bühne und spielte die Sally Bowles in dem Musical „Cabaret“; die Niederungen der Popmusik schien sie endgültig hinter sich gelassen zu haben.
Wer Helen und The Kick 1983 auf ihrer letzten Tournee durch halbleere Hallen miterlebte, hätte keinen Heller auf ein Comeback gewettet: ausgebrannt und völlig mutlos wirkte sie, gedropt von ihrer Plattenfirma wegen mieser Verkäufe. Die 1984 ohne ihr Wissen veröffentlichte LP THE BEST OF HELEN SCHNEI-DER wirkte wie ein verfrühter Nachruf auf eine vorzeitig zerbrochene Künstlerin.
Die Schuld an ihrem Niedergang wurde flugs George Nasser in die Schuhe geschoben. Dem Zwei-Zentner-Riesen dunkler jordanischer Herkunft, seines Zeichens Manager und Ehemann von Schneider, wurde hinter der Hand vorgeworfen, seine Frau physisch wie psychisch ausgebeutet zu haben. Gerüchte von sexueller Hörigkeit machten die Runde, Drogen waren angeblich auch im Spiel. Zuckerbrot und Peitsche habe er gebraucht, um sein Pferdchen auf Trab zu halten.
Nasser, im Frankfurter Studio von uns darauf angesprochen, verweist solche Vorwürfe ins Reich der Absurdität. Koks und anderen Kindereien habe er abgeschworen, seither übrigens 38 Kilo verloren – und wenn hier einer vom anderen abhängig sei, dann wohl eher er von Helen.
Die Gründe für den kommerziellen Absturz und die fünfjährige Abstinenz, so Nasser, seien ganz woanders zu suchen: Als WEA Deutschland 1983 nach der letzten LP EXPOSED (die nur noch 75.000 Exemplare verkaufte; HELEN SCHNEIDER WITH THE KICK hatte 1981 mit 465.000 Scheiben fast Platin erreicht) nur noch fünfstellig in eine Vertragsverlängerung einsteigen wollte, blieb George ebenso hart wie die Gegenseite. Unter Preis verscherbeln wollte er seine Frau nicht. Das Resultat: Helen stand viereinhalb Jahre ohne Vertrag da.
Nasser, der seinen Schützling vor 15 Jahren in seiner Funktion als Klavierlehrer kennenlernte und als gestandener Vierziger gleich mit ihr zum Standesamt marschierte, kann überdies nur lachen, wenn er sich als rücksichtsloser Sklaventreiber dargestellt sieht: „Versuch Du Helen zu treten – und erkläre mir dann, wie Du dieses Kunststück fertigbringst!“
Nasser weiß offensichtlich, wovon er redet. Dem Gesprächspartner muß er’s erst noch erklären: „Wir sprechen über die schizophrene Helen Schneider.“
Das Wort schizophren ist weniger als psychopathologischer Befund gemeint. Auf den drastischen Nenner bringt Nasser die eigentlich erfreuliche Tatsache von Helens Vielseitigkeit. Sie hat eine Riesenstimme, kann tanzen, liebt Hardrock genauso wie Balladen oder Musicals. Seit ihrem Filmdebüt in „Eddie & The Cruisers“ (1983) weiß sie auch noch, daß sie als Schauspielerin einen Fuß in der Tür hat.
So wie der arme George die Sachlage darstellt, hatte er während der zehnjährigen Karriere von „Belle“, wie er seine Gattin nach Geschäftsschluß zu nennen pflegt, immer seine liebe Not, mit den Kapriolen ihrer Vielfach-Begabung schrittzuhalten.
Der Schneider-Laden funktioniert ungefähr so: Helen, das Talent, fühlt den Drang nach Ausdruck. George, der Mann mit der Chuzpe und den guten Verbindungen, denkt sich ein Konzept aus um Kohle zu machen.
1978 wollte Helen einfach nur singen; George stellte einen Vertrag mit RCA auf die Beine. Daß er die eigentlich eher zerbrechliche Sängerin 1983 mit den Dunkel-Rockern von The Kick auf eine Bühne stellte, erwies sich indes schnell als Bumerang: Die ungehobelten Rock-Köpfe von The Kick gingen ihr beim ständigen hautnahen Kontakt doch gehörig auf die Nerven. Das Ende der „Rock’n’Rollerin“ Helen Schneider, die nur mit eigener Seidenbettwäsche auf Tournee ging, war so zwangsläufig vorgezeichnet.
Es spricht für Helens eiserne Energie, daß sie auch weiterhin durchzog, wonach ihr der Sinn stand. Da waren zwei Jahre disziplinerte Arbeit auf der Schauspielschule, dann eine Theater-Rolle neben Stacy Keach in „Idiot’s Delight“, schließlich ihre Eine-Frau-Show mit Songs aus den 20er Jahren, die im exklusiven New Yorker „Ballroom“ 1987 gewaltig einschlug. In „Cabaret“ in Berlin – ein Job, für den sie in sechs Monaten nahezu akzentfrei deutsch lernte – war sie gewaltig, eine weitere Solo-Club-Show im langen Schwarzen hat sie für den Sommer fest auf dem Terminplan. Warum in The Beauty & the Beast: Helen mit Manager und Ehemann George Nasser aller Welt zieht es Madame also wieder zurück zum Rock’n’Roll?
Wäre es nach Schöngeist George gegangen, hätte sie besser eine Scheibe mit Songs des „West Side Story“-Texters Steven Sondheim aufgenommen. Helen und CBS hielten mehr von handfester Kost und stärkerer Breitenwirkung.
Ende Februar begannen die Arbeiten. Die Produzenten Günther Mende und Candy DeRouge steuerten für BACK ON TRACK auch den Löwenanteil der Kompositionen bei. Die Begeisterung der Schneider ist groß:“.Die ersten Produzenten, die mich richtig aufgenommen haben. Die haben kapiert, daß meine Stimme auch Töne im tieferen Spektrum zu bieten hat. „
Auf eine neue Tournee oder gar eine Neuauflage von The Kick hat die Prinzessin keine Lust. „Es war eine tolle Zeit, wir sind auch immer noch gute Freunde, aber ich will sowas um alles in der Well nicht nochmal machen.“