Heimspiel Knyphausen 2016: ein Wochenende mit Gisbert
Get Well Soon, Sophie Hunger und Die Nerven sind nur einige Gäste, die Gisbert zu Knyphausen auf dem Gutshof seiner Eltern eingeladen hat. Rund 2.200 Besucher kamen pro Tag zum zweitätigen Festival ins beschauliche Eltville-Erbach am Rhein.
„Oh, oh, das ist mein Lieblingslied“, sagt er plötzlich und hält inne. Ein Nicken mit dem Kopf, ein leichtes Summen. Auf der Bühne singt gerade der deutsche Popsänger Enno Bunger ein paar Zeilen, Gisbert zu Knyphausen sitzt hinter der Bühne und wippt im Takt. Auf dem Tisch stehen ein paar Gläser, gefüllt mit Rot- und Weißwein, auf einem Teller liegen ein paar Essensreste. 26 Grad in Eltville-Erbach. Und das Festival Heimspiel Knyphausen ist in vollem Gange. Rund neun Monate lang hat Singer-Songwriter Gisbert mit seiner Familie und dem befreundeten Booker und Promoter Benjamin Metz an dem Heimspiel getüftelt. „Mein Vater hat den Wein rausgesucht“, sagt Gisbert, „Benjamin und ich machen das Booking, meine Brüder haben sich um das Gelände gekümmert.“
Je 2.200 Besucher sind am Samstag und am Sonntag auf dem Weingut Knyphausen zu Gast. Baron Knyphausen, Gisberts Vater, begrüßt die Gäste, Weingläser mit dem darauf bedruckten Line-up werden am Eingang des Geländes verteilt. Es liegen bunte Picknickdecken auf der grünen Wiese, ein paar weiße Zelte stehen am äußersten Wiesenrand. 23 Hektar Weinberge haben die Knyphausens. 130.000 Flaschen im Jahr stellen sie her. Darunter Riesling, Pinot Noir, Roter Riesling und Gelber Orleans. „Breborn trinke ich am liebsten“, sagt Gisbert, als wir ihn auf die gefüllten Weingläser ansprechen. Ein Rotwein, wie uns Benjamin später im hofeigenen Weinladen der Knyphausens zeigt. Bier gibt es auf dem Festivalgelände nicht. Dafür passt das Essen zum edlen Tropfen: Käse, Trauben, Pasta und Gnocchi gibt es. Die Frau von Gisberts Bruder Frederick backt Waffeln an einem Stand. Was die Knyphausens veranstalten, ist eine Art Familienfest. Eine Feier im Grünen. Und hier ist Gisbert aufgewachsen.
Während auf der Festivalbühne weitere Töne erklingen, führen uns Benjamin und Gisbert über das Gelände: Im hofeigenen Weinladen war früher Gisberts Proberaum, wo im Haus heute ein Frühstücksbuffet für Hotelgäste steht, das einstige Wohnzimmer. Im Keller steht das Catering für die Musiker. Im zweiten Stock hausen über das Wochenende Die Nerven und David Lemaitre. Die Festivalbesucher müssen sich allerdings selbst um eine Übernachtungsmöglichkeit kümmern. Am Rhein sind Campingplätze, in der Stadt gäbe es einige Unterkünfte.
2009 hat Gisbert zum ersten Mal das Heimspiel veranstaltet, ist mit befreundeten Musikern selbst aufgetreten, bis er 2013 anfing, ein Programm für zwei Tage zusammenzustellen. Die Höchste Eisenbahn und Käptn Peng spielten bereits auf der Bühne. Sophie Hunger tritt dieses Jahr zum zweiten Mal auf. Mehrere Acts und noch mehr Besucher will Gisbert und seine Familie jedoch nicht. Es soll heimelig bleiben. Vielleicht ein Grund, warum sich auch die Besucher wie zu Hause benehmen. Keine Glasscherbe ist in Sicht, kein Müll wird in die Ecke geworfen. Der Hofhund rennt über das Gelände und langsam hört man einen immer lauter werdenden Bass. „Ich bin der letzte Tanzende“, singt Max Rieger ins Mikrofon während Bandkollege Julian Knoth in die Seiten seines Basses greift und Schlagzeuger Kevin Kuhn mit seine Sticks hantiert. Der treibende Beat zwingt die ersten Festivalbesucher dazu, von ihren Picknickdecken aufzustehen. Dann ein „Sssschhhh“. Die Band wird leiser, die Zuschauer auch. Spannung. Warten. Und dann spielt das Stuttgarter Punkrocktrio erneut energisch und lautstark weiter.
„Wir wussten nicht, wie Die Nerven bei unserem eher ruhigen Publikum ankommen“, sagt Gisbert, als er hinter der Bühne sitzt, „aber wir wollten die Mischung einfach mal wagen.“ Und es funktioniert: Die Besucher beginnen, vor der Bühne zu pogen und neben Schlagzeuger Kevin Kuhn kommt ein kleiner Junge zum Vorschein. Mit einem Kuscheltier wedelt er im Takt der Band, bis er bei einem der letzten Songs, „Angst“, selbst mit ein paar Sticks in die Trommeln hämmert. „Johnny“, stellen die Nerven ihn vor. Und der Kleine klaut der aufstrebenden Band schon fast die Show!
„Sophie Hunger ist wie wir ein großer Nerven-Fan“, sagt Gisbert zum Konzert. Die Schweizerin ist nach dem Nerven-Trio dran. 21:30 Uhr. Headliner für den Samstag. Doch bevor sie die Bühne betritt, hallt erst noch ein ganz anderer Sound durch die Luft: Moop Mama spielen auf dem Gutshof – unangekündigt. „Sie waren gerade auf der Durchreise und fragten uns, ob sie nicht vorbeikommen dürften“, sagt Benjamin, „und ob wir noch Platz im Hotel haben.“ Die gleiche Frage, die auch von Sophie Hunger kam. Für ihre Show ist ein zusätzliches Bandmitglied angereist. Nun sind alle Zimmer bei den Knyphausens belegt.
Stagetime Sophie Hunger: „Super Woman“, „Die ganze Welt“, „Walzer für Niemand“. Hunger spielt sie alle. Mit ihrer zitternden, voluminösen Stimme – auf Französisch, Deutsch, Englisch und Schwyzerdütsch. Dann ein Prince-Cover: „Purple Rain“ und ein Chor aus Festivalbesuchern setzt ein. Nun stehen alle und lauschen Sophie – selbst Die Nerven. Gisbert ist es wichtig, dass Bands spielen, die er mag. „The Notwist und Junip“, nennt er noch als favorisierte Bands. Die Ideen für das Heimspiel gingen nie aus. Besonders zufrieden ist er mit seiner „Heimspiel Hoffnung“. Für jene konnten sich mehrere Acts bewerben. Der Sieger eröffnet das Festival am zweiten Tag. „Und die Bewerber werden immer besser“, erzählt Benjamin. Lilly Among Clouds ist die Siegerin für dieses Heimspiel. Am Sonntag steht die 27-jährige Würzburgerin mit zwei alten Kollegen von Gisbert auf der Bühne. Erst vor wenigen Wochen unterschrieb sie beim Indie-Label Pias. Und der Auftritt? Gelungen! Lilly erinnert stimmlich an Birdy und Lorde. Es ist sogar fast ruhiger als beim Silent-Moment der Nerven.
Es folgt David Lemaitre, der auf dem Heimspiel sein einziges Deutschlandkonzert spielt. Das Wetter ist gut, die Zuschauer nippen genüsslich am Weinglas und Gisbert begrüßt Backstage Get Well Soon. Konstantin Grooper und Band versammeln sich hinter der Bühne, Sängerin Alex Mayr bedient sich noch am Buffet und der kleine Johnny von Die Nerven rennt noch im Hintergrund über die Wiese. Gisbert wohnt schon seit mehreren Jahren nicht mehr auf dem Weingut seiner Eltern. Seine Brüder haben es übernommen und der Wahlberliner ist nur noch zum Festival, an Weihnachten und an Geburtstagen da. In zwei Tagen reist er wieder ab. Ob er hier lieber wohnen würde? „Vorerst nicht“, sagt Gisbert und setzt sich noch einmal hinter die Bühne an den Tisch mit den Weingläsern, „doch ich bin gerne hier.“
Ein Wind zieht auf. Die vier großen Leuchtbuchstaben LOVE von Get Well Soon werden auf die Bühne gestellt. „It’s Love“ dröhnt aus den Boxen und mit jedem Takt tröpfelt es vom Himmel herab. Als schließlich Konstantin Grooper George Michaels „Careless Whisper“ anstimmt, bricht der Regen ganz aus und füllt die leeren Weingläser Gisberts. Die Picknickdecken der Festivalbesucher werden zu „Regenmänteln“ umfunktioniert und ein letztes Mal wird noch geschunkelt, ehe das Heimspiel sein Ende findet. Bis zum nächsten Mal dann. Tschüss Gisbert.