Hear ME Out: Popwahlkampf statt Popkultur
In Berlin geht die Landesregierung mit dem Vorschlaghammer auf Kultur los. Aida fragt sich, ob die Verantwortlichen überhaupt ihre Stadt kennen.
„Man kann ja gerade jeden Tag auf die Straße gehen“, sagte mir gestern eine Bekannte, die ich selten so oft gesehen habe wie in den letzten Wochen – weil wir uns dauernd auf Demos sehen. Für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, gegen die Kürzungen im Berliner Haushalt, gegen rechte Aufmärsche. War es denn jemals anders? Wahrscheinlich nicht. Aber diese Tage fühlt es sich an, als ob die Einschläge immer näher kommen.
Überleben als Musiker:in ist hart genug
Nehmen wir die Sache mit dem neuen Berliner Haushaltsplan, der ganz massiv Soziales, Bildung und die Kultur trifft. Und mit Kultur sind eben nicht nur die großen Theater und Opernhäuser gemeint, sondern auch die Popkultur. Als Musiker:in oder auch Labelmacher:in zu überleben ist hart genug, insbesondere für Newcomer:innen und natürlich vor allem für jene, die sowieso schon marginalisiert sind. Etwas, was der Kultursenator Berlins eigentlich wissen müsste: Er war vor dreißig Jahren Sänger der gnadenlos erfolglosen Band Blue Manner Haze. Und damals war es sogar noch möglich, in der Musik Geld zu verdienen.
Heute wird mit Förderprogrammen versucht, ein bisschen mehr Gerechtigkeit in die Popwelt zu bringen und auch denen eine Chance zu geben, die anspruchsvolle Kunst abseits des Mainstreams schaffen. Ich bin zum Beispiel seit zwei Jahren Teil einer Jury, die Gelder an Künstler:innen verteilt, die damit dann neue Alben aufnehmen, Mitmusiker:innen bezahlen, Musikvideos machen, Proberäume mieten oder auch neue Liveshow-Konzepte planen können. Für viele Musiker:innen – selbst jene, die schon etabliert sind – geht ohne solche Förderung schon lange eigentlich gar nichts mehr.
Der Rotstift des Berliner Groko-Senats kennt keine Gnade
Jetzt fällt ein beträchtlicher Teil der Förderung weg, andere Programme, zum Beispiel zu Diversität im Kulturbetrieb oder Büros, die in einer Stadt mit explodierenden Mieten Studios an Kunstschaffende vermitteln, sollen ganz gestrichen werden. Die geförderten Projekte hat es kalt erwischt – viele haben erst aus der Presse erfahren, dass sie ab Januar weniger oder sogar gar kein Geld mehr haben werden. Der Rotstift des Berliner Groko-Senats kennt keine Gnade – und vor allem die eigene Stadt nicht, in der Kultur, und gerade Popkultur, nicht nur einen beträchtlichen Teil seiner Identität ausmacht, sondern die Menschen aus aller Welt anzieht, die hier urlauben oder gleich hierherziehen, arbeiten und leben wollen. Den Ast absägen auf dem man selber sitzt? Na gerne doch, denkt sich der Berliner Senat.
Der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegener, haut dazu Sätze raus, für die sich rechte CDU-ler sogar in den Neunzigern geschämt hätten: Die Kassiererin an der Supermarktkasse solle mit ihren Steuern nicht die Oper finanzieren, weil sie da ja eh nicht hingehe. Da fragt man sich, welches Bild so ein Spitzenpolitiker von Kassiererinnen hat und ob er jemals mit einer geredet habe (Katja Kollmann von der „TAZ“ hat das übrigens gemacht – und ganz schön viele Kassiererinnen gefunden, die gerne in die Oper, ins Theater oder auch ins Ballett gehen). Ganz abgesehen davon, dass die Subvention von Eintrittspreisen ja dafür sorgen soll, dass sich auch jemand mit geringem Einkommen Kultur leisten kann – von Oper über Theater bis hin zu eben Popkultur wie Konzerten, Raves oder auch Festivals, die auch alle durchaus Förderung erhalten können und oftmals tun. Wer braucht schon Logik, wenn man Ressentiments haben kann?
Eine Menge Probleme, die man anpacken sollte
Das denkt sich anscheinend auch die Bundes-CDU, die die ganze Zeit davon redet, das Land nach dreieinhalb Jahren Ampel wieder auf den „richtigen“ Weg führen zu wollen. Irgendwie wird dabei vergessen, dass es davor 16 Jahre CDU gab und die vergangenen drei Jahre auch von Krieg in Europa und Pandemie geprägt waren, aber egal. Gibt ja wirklich eine ganze Menge Probleme, die man anpacken sollte: Wohnungsnot nicht nur in den Städten, sondern im ganzen Land, marode Infrastruktur, kaputte Schulen, und so weiter und so fort. Was verspricht die Partei des höchstwahrscheinlich künftigen Kanzlers dagegen, zumindest laut eines Wahlprogrammsentwurfs, der an die Presse durchgestochen wurde? Logischerweise ein Genderverbot, und zwar mit dem Argument der „Bevormundung“. Klingt wie ein Witz, ist aber völlig ernst gemeint. Noch mieser: Das seit sechs Wochen in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz, nach dem trans, inter und nicht-binäre Menschen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen auf dem Standesamt ändern können, will die CDU wieder abschaffen. Wie diese beiden glorreichen Vorschläge nun mehr Wohnungen hervorzaubern oder marode Schulen sanieren sollen, weiß ich jetzt auch nicht. Aber ich habe das miese Gefühl, dass es gar nicht darum geht, reale Probleme zu lösen. Wir haben’s ja gerade in den USA gesehen und bei so vielen anderen Wahlen weltweit: Es geht nicht um Fakten oder reale Probleme, es geht um Vibes, Vibes, Vibes. Popkultur wird weggespart und mit Popwahlkampf ersetzt. Haben wir das wirklich verdient?