Hausmusik 2.0


Beck

Song Reader – Twenty New Songs by Beck

McSweeney’s/Faber & Faber

Beck Hansen veröffentlicht sein Meisterwerk. Ein Liederbuch zum Selberspielen.

Es ist zweifellos ein Album. 20 Songs im Schuber, ein konzeptionelles Kunstwerk, eine bündige Liedersammlung gegen den Ruin der Popmusik im Zeitalter von MP3. Beck veröffentlicht seit 20 Jahren Alben aller Art, Song Reader ist sein zwölftes. Tonträger, so sieht es Beck Hansen inzwischen auch, waren das Medium für Musik im 20. Jahrhundert. Deshalb hat er seine neuen Songs schon nicht mehr aufgenommen. Er veröffentlicht sie, liebevoll gestaltet und verpackt, als Notenkonvolut. Man darf es selbst zum Klingen bringen, Stücke wie den „Mutilation Rag“, einen Beschneidungs-Foxtrott fürs Klavier. Über den Partituren stehen fürsorgliche Spielanweisungen wie „All is well; the song begins like any other“.

Beck lässt einen nicht allein mit seinen Noten. In der Vorrede erklärt er ausführlich sein Anliegen: „Nachdem ich Mitte der 90er-Jahre ein Album herausgebracht hatte, ließ mir ein Verleger die Klavierauszüge zukommen. Als ich sah, wie meine Klangideen zu Noten geronnen waren, wurde mir klar, dass meine Lieder leider nie dafür geschrieben worden waren.“ Beck erinnert an Bing Crosby, dessen Schlager „Sweet Leilani“ sich vor 75 Jahren 54 Millionen mal verkaufen ließ, als Notendruck. So viele Platten und CDs hätte Beck insgesamt gern abgesetzt. Aber es geht nicht nur um die Ökonomie und darum, einer deprimierenden Industrie der Streams etwas von bleibendem Wert entgegenzustellen, etwas für den Couchtisch. Krämerei, Konzept und Kunst waren im Werk Beck Hansens immer eins.

Es geht um die Geburt der Popmusik aus günstigen Gesangsbüchlein für Wandervögel und aus Tin-Pan-Alley-Sheets für jedermann. So hat Beck auch die Bögen illustrieren lassen, zwischen Jugendstil und Depressionszeit. Das Deckblatt zu „Now That Your Dollar Bills Have Sprouted Wings“ zeigt, wie den Dollarnoten Flügel wachsen, um sie immer wieder heimzutragen, zu den Banken. Der Song selbst ist zweistimmig zu singen, „with a friend (or a bill collector)“. Und es geht dabei auch darum, wie Beck selber angefangen hat, als mutwilliger Lo-Fi-Dilettant, um Pop wieder vom Ursprung her zu denken. Als er Song Reader in Angriff nahm, muss er geahnt haben, was kommen würde: YouTube. Er hat eine eigene Seite angelegt, songreader.net, dort sammelt er die Videos von Soundcloud und von YouTube. Ernste Gymnasiasten spielen seine Lieder zur Gitarre. Ältere versuchen, ihn an Kauzigkeit noch zu überbieten, mit Ukulele und Kinderklavier. Im Vorwort des Song Reader wirbt Beck selbst für eine Renaissance der Hausmusik. Es gibt einen musikhistorischen Essay einer Bing-Crosby-Kennerin und eine Einweisung in die Geheimnisse der Notenschrift. Nicht alle haben das als Witz verstanden: Aus den neobürgerlichen Wärmestuben wurde Beck schon ausdrücklich dafür gelobt, dass er die Rückwendung zu Hausmusik und Handarbeit befördere. Gewiss wird heute mehr Musik gespielt als je zuvor. Das zeigt das Internet, das weiß jeder Gitarrenhändler. Und die Hausmusik kehrt in der Tat zurück, allerdings durch die Hintertür des Pop. Pop kommt noch immer ohne Noten aus. Wer Songs nach Noten spielen muss, behält das nach wie vor besser für sich.

Dafür werden die üblichen Gitarrengriffbilder über die Notation gedruckt, oft reichen drei Akkorde aus. Was nicht gegen Songs spricht wie „Don’t Act Like Your Heart Isn’t Hard“ und „Why Does A Heart That Longs To Love You Have Two Hands That Won’t?“ Im Gegenteil. „Do We? We Do“ wirkt anspruchsvoller auf dem Blatt, dafür lässt er dem Interpreten wenig Spielraum, man kann ihn nur böhmisch spielen. Ein Song heißt „America, Here’s My Boy“, ein Antikriegslied aus Sicht einer Mutter, die ihren gefallenen Sohn betrauert. Das kann nur Beck selbst singen in seinem unerschütterlichen Bariton.

Aber wo ist der post-moderne Beck in seinem Song Reader? Diesmal verbirgt er sich in hübsch faksimilierten Klassikern von Songschreibern, die Scarlet Weiss und Howard Staples heißen, deren Songs liegen dem Album bei. Aber auch hinter ihnen steckt kein anderer als Beck Hansen selbst, der ewige Zitierer. Er verbietet ja auch niemandem, die Songs mit Samples und Konsolenbeats zu unterfüttern. Dieses Album ist sein Meisterwerk für das 21. Jahrhundert.

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