„Harte Drogen lehne ich ab!“
Diese Serie basiert auf Interviews mit jugendlichen Straftätern. Namen, Ort und Zeit wurden von der Redaktion bewußt geändert, um die Anonymität zu erhalten.
In der Diskothek hatten sie ihn schon vorgewarnt. Die Polizei hatte sich umgehört. Jan traf dort immer seine Lieferanten. Doch heute hatte er den Shit an anderer Stelle besorgt. Zusammen mit seinem Freund hatte er die Platte Haschisch in einem alten Schrank versteckt, den sie im Ford Transit transportierten. Jan stieg ein und bemerkte erst nach einer Weile, daß ihnen ein Wagen folgte. Sein Freund fuhr in eine Seitenstraße. Der Wagen überholte sie. Die Kelle leuchtete vor ihnen auf: rechts ran, Polizei. Die Beamten fanden den Stoff. Das Urteil lautete für Jan: ein Jahr Jugendstrafe mit zweijähriger Bewährung.
Jans Akte war damals, was Shit betraf, nicht mehr so ganz lupenrein. Etwa ein Jahr zuvor war er zusammen mit einem Freund geschnappt worden, als er ganz arglos mit einer Briefwaage mitten im Park hantierte. „Ich habe das damals noch gar nicht als Vergehen empfunden“, erklärt Jan heute. „Wir haben uns immer auf einer Wiese getroffen und geraucht. Ich war mir ehrlich nicht bewußt, daß ich da etwas Kriminelles tue. Im Freundeskreis haben wir uns das Zeug gegenseitig verkauft. Wer gerade etwas hatte, gab halt eine kleine Ecke ab. Daß man das Zeug ganz gut professionell verkaufen kann, habe ich erst später gemerkt.“ Das erste Mal hatten sie ihn also mit 35 Gramm geschnappt. Jan bekam Arbeitsauflage und mußte an Wochenenden im Krankenhaus putzen.
GERAUCHT, UM PROBLEME ZU VERGESSEN
„Ich habe mit 16 Jahren angefangen, Shit zu rauchen,“
erklärt Jan. „Heute glaube ich, um meine Probleme irgendwie zu bewältigen. Zuhause hatte ich ständig Krach. Ich durfte keine langen Haare tragen, durfte nicht rauchen, bekam kein Taschengeld. Wenn ich mal weggehen wollte, zu Konzerten vielleicht, gab es Ärger. Ein wenig Taschengeld habe ich mir neben der Schule als Bürohilfe verdient.“ Jan meint zwar, daß seine Eltern wohl merkten, wenn ihr Sohn angetörnt durch die Gegend schlich. „Sie haben mich aber nie richtig darauf angesprochen, immer nur in Andeutungen geredet. Ich glaube auch nicht, daß ich damals auf Gespräche eingegangen wäre. Dafür fehlte einfach das Vertrauensverhältnis.“
MIT DREI JAHREN ZU DEN GROSSELTERN
Jans Verhältnis zu seinen Eltern war nie besonders gut. Echtes Vertrauen, persönliche Beziehungen und wichtige Gespräche fhelten. Mit drei Jahren brachten ihn seine Eltern zu den Großeltern. Nach der Geburt des zweiten Kindes war die Wohnung zu eng geworden. „Ich versuche, mich manchmal daran zu erinnern, aber ich weiß heute nichts mehr davon. Zuhause wird dieses Thema auch immer umgangen. Ich weiß echt nicht mehr, wie ich darauf reagierte. Meine Eltern kamen regelmäßig zu Geburtstagen und zu Weihnachten. Das war alles. Für mich war auf jeden Fall meine Großmutter die Bezugsperson!“ Ihr Tod vor einigen Jahren war ein schwerer Schock für Jan. Bis dahin war sie es, die stets Verständnis für seine Probleme gezeigt hatte. Ihre Beerdigung – die erste in seinem Leben – und die anschließende Trauerfeier, zu deren Anlaß Familie und Verwandschaft eine verlogene Gemeinschaft demonstrierten, gaben ihm damals den Rest.
NACH HAUSE – IN DIE FREMDE UMGEBUNG
Mit sechs Jahren kam er wieder nach Hause. Seine Eltern hatten eine größere Wohnung bezogen, außerdem stand seine Einschulung bevor. „Zuhause mußte ich mich erst einmal durchsetzen, die kannte mich ja alle gar nicht.“ Jan, drei Jahre lang verwöhnt und Mittelpunkt im Haushalt der Großeltern, mußte sich in einer für ihn fremden Umgebung erst einmal zurechtfinden. Mit drei Geschwistern, einem Vater, der ehrgeizig an seiner Weiterbildung arbeitete und einer total überlasteten Mutter. Die erste Zeit in der Schule war nicht gerade – glorreich. „Ich war unheimlich faul und hatte überhaupt keine Lust. Im Zeugnis stand immer, ich könnte viel mehr leisten. Aber ich bin trotzdem ganz gut mitgekommen.“ Der Start im Gymnasium verlief ähnlich. Mit seiner natürlichen Intelligenz kam Jan zwar recht gut zurecht, aber so oft wie er unentschuldigt fehlte und ohne Hausarbeit antanzte, war nicht mehr viel zu retten. Man hatte ihm schließlich nahegelegt, die Schule zu verlassen.
Trips und die erste Dealerei
„In der ersten Zeit danach hing ich ziemlich viel zu Hause herum. Ich nahm damals ziemlich viele Trips.
Da habe ich auch mit der Dealerei angefangen. Ich habe Haschisch in kleinen Mengen verkauft. Ich hätte aber niemals mit harten Drogen gehandelt! Ich selbst bin gegen alle Arten von Schießgift. Ich weiß, daß es einen umbringen kann. Wenn Du jemals beobachtet hast, wie Leute daran zugrunde gehen, wie sie von Tag zu Tag dünner werden…“
Irgendwann hatte Jan die Trips satt. Was anfänglich noch ein witziges Erlebnis war, wurde in der Gewöhnung unbefriedigend. „Ich habe mir dann Arbeit gesucht. Die zweieinhalb Monate auf dem Bau haben mir ganz gut getan. Vor allem kam ich körperlich wieder auf die Beine. Aber ich bin mit den Leuten nicht klargekommen. Später bin ich von Personalbüro zu Personalbüro gewandert und hab‘ verschiedene Aushilfsjobs angenommen.“ Das war natürlich nichts für’s Leben. Jan hatte jedoch Glück und wurde in einem anderen Gymnasium aufgenommen. „Die Schule lief bei mir auch bald wieder nur nebenbei. Ich habe noch immer regelmäßig Shit geraucht und nebenbei gedealt.“ Und dann dauerte es auch nicht mehr lange, bis sie ihn zusammen mit seinem Freund im Transit mit dem gefundenen Rauschgift überführten.
„ICH LITT SCHON UNTER VERFOLGUNGSWAHN“
Jetzt hatte Jan nicht nur die zwei Jahre Bewährung, sondern auch noch bei jedem Gedanken an weiteres Handeln mit Haschisch eine fürchterliche Angst im Nacken. „Ich litt schon unter Verfolgungswahn, meint Jan, Jedesmal, wenn ich ein Auto neben mir hörte oder jemand hinter mir ging, dachte ich: „Jetzt schnappen sie dich!‘ Ich wollte die ganze Dealerei lassen, aber das war wie eine Sucht. Ich hatte mich mit einem Typen zusammengetan. Wir arbeiteten so vorsichtig, daß ich keine Bedenken mehr hatte und also wieder voll eingespannt war.“
Die nächste Empfehlung, die Schule zu verlassen, kam kurz vor dem Abitur. Jan ließ sich nicht lange bitten. Er zog zu seinem Freund. „Zuhause hatte ich sowieso seit langem das Gefühl, ich sei nur noch geduldet.“ Im Durchschnitt verdiente er mit dem Shit 400 DM in der Woche. Also machten sich die zwei ein flottes Leben und genossen den Sommer. Sie aalten sich an der See oder bis mittags im Bett, spielten in Zuhälterkneipen Billard und ließen eine ganze Menge für gutes Essen und Getränke draufgehen. Jan verdrängte alle Gedanken daran, daß damit irgendwann einfach Schluß sein mußte. Unterschwellig war ihm schon bewußt, daß er den engen Kontakt zu seinem Freund aufgeben mußte. Er mietete sich eine kleine billige Wohnung, kam aber nicht mehr dazu, sie zu renovieren. Eines Abends warteten die Beamten der Polizei schon auf ihn in der Wohnung seines Freundes. Man hatte sie schon seit langem im Auge. Das Urteil: 21 Monate.
„PROBLEME KOMPENSIERT MAN AM BESTEN DURCH BESCHÄFTIGUNG“
„Ich habe nie damit gerechnet, ins Gefängnis zu kommen. In den ersten Tagen habe ich gedacht: „Jetzt muß doch jemand kommen und dich hier rausholen. Die müssen doch merken, daß gar nicht hierhin gehörst!“ Inzwischen hat Jan sich an die Situation angepaßt. Er ist 21 Jahre alt und hat nicht nur das Glück, in einer der fortschrittlichsten Haftanstalten für Jugendliche untergebracht zu sein, wo ihm ein vergleichsweise großzügiges Arbeits- und Freizeitprogramm zur Verfügung steht. Vermutlich kann er nach Verbüßung der Strafe wieder aufs Gymnasium zurück. Dort hatte man inzwischen festgestellt, daß es bei ihm Zuhause nie so richtig stimmte. Sein Lehrer besuchte ihn schon mehrfach im Gefängnis und bemüht sich um eine geeignete Unterkunft, vielleicht in einer Wohngemeinschaft.‘ Jan bereitet sich jetzt schon auf die Schulzeit vor. Zusätzlich nimmt er an einem Holzverarbeitungskurs teil und arbeitet im Redaktionsteam der neuen Gefängniszeitung. Außerdem hat er reichlich Zeit, mit zwei anderen Leuten musikalisch zu arbeiten. Die Gruppe mit Jan als Gitarristen, einem Bassisten und einem Schlagzeuger wird jedoch nicht allzu ernst genommen. Ihre Musik ist offenbar zu sehr dem Jazz und Blues verschrieben, um die breite Masse der Anstalt zu erreichen. Aber das stört die Drei nicht sonderlich.
„Das wichtigste, was ich hier gelernt habe, ist, daß man seine Probleme nur durch Beschäftigung kompensieren kann,“ betont Jan. „Dadurch habe ich es hier ganz gut gepackt. Wenn man hier einigermaßen durchblickt, kann man sehr viele Freiheiten haben. Aber den meisten fehlt leider die Motivation dazu. Ich bin abends manchmal so müde, daß ich schon gar kein Interesse mehr habe, fernzusehen, während das für andere hier das Wichtigste überhaupt ist. Ich lasse mich dann oft schon in meine Zelle einschließen.“
„ICH WÜRDE MICH NICHT ALS KRIMINELL BEZEICHNEN!“
Ist jemand wie Jan überhaupt kriminell? Die Anklageschrift und die Urteilsbegründung beschuldigen ihn „äußerst verwerflicher Taten“. „Ich würde mich nicht als Kriminellen bezeichnen.“ erklärt er, „denn ich hätte niemals mit harten Sachen gehandelt. Wenn ich meine Käufer mit harten Drogen abhängig gemacht hätte, um mir meinen Kundenstamm zu sichern – das würde ich als kriminell bezeichnen.