Halber Popstar


Phillip Boa, einziger Indiepopstar der Republik, fehlt Anfang der 90er nicht mehr viel: Er könnte ein richtiger Star werden! Oder etwa nicht?

Fernsehen und Boa -„das ging immer in die Hose“, sagt Phillip. Dabei hat der Mann, den sie Ende der 80er schon „Indiepopstar“ nennen, offenbar kein grundsätzliches Problem mit diesem Medium: Er geht ja immer wieder hin. Eher noch hat das Fernsehen eines mit ihm, diesem unberechenbaren Hünen, dem man seine Zerrissenheit bei jedem Interview-Smalltalk ansieht wie Gelbsucht. Da sitzt er, ein wenig pampig, ein wenig punkig, vor allem aber fahrig und bereut offenkundig, dass er wieder hingegangen ist. Boa windet sich unter den Fragen ahnungs- wie interesseloser Moderatoren in Sendungen, die Namen tragen wie „Spruchreif“ (ARD), um beim anschließenden Playbackauftritt lustlos und verwirrt gegen die eigene Zwiegespaltenheit anzuperformen. Als der Regisseur der ZDF-Sendung „P.I.T. – Peter Illmanns Treff“ im Zoo von Miami ein Orang-Utan-Baby auf Boa und seiner Partnenn Pia Lund herumklettern lässt, ist das kaum weniger absurd – aber es ist wenigstens lustig. Gar nicht lustig hingegen der Auftritt von Phillip Boa & The Voodooclub bei der „Off Beat Night“ von Tele 5 am 16. Februar 1989. Der Sender unterhält von 1988bis 1990 mit „Off Beat“ ein interessant gemachtes Independent-Musikformat. Dass der Shooting Star der deutschen Indieszene, die fünf Jahre nach dem grausigen Ende der Neuen Deutschen Welle immer noch in einen Umzugskarton passt, bei der live übertragenen „Off Beat Night“ neben Kukbands wie The Fall, Residents und Laibach auftreten darf, ist ihm eine Ehre. Was er jedoch, so erzählt Boa heute, erst nach der Ankunft in München erfährt, ist die Produktionsvorgabe, dass zwei Bands mit Playback auftreten müssen. Eine davon ist seine. Boa und Club sollen zudem zum Auftakt durchs – vor allem aus geladenen (Medien-)Gästen rekrutierte – Publikum zurBühnemarschieren. Doch in dem Moment, in dem sich das Quintett in Gang setzt, läuft berieits das Tape:

„Jeder Blödmann hat sofort gesehen, dass das Playback war“, erzählt Boa. Das Publikum in der Alabamahalle nimmt die Band auseinander. Buh-Rufe, Pfiffe, Pöbeleien. Als jemand Boa aus nächster Nähe ein Bier über den Pelz kippt, tritt der ab. Seine Stimme vom Band brüllt: „Kill yonr ideals now!“ Der Voodooclub rumpelt tapfer tonlos weiter. Tatsächlich kehrt Boa Sekunden später zurück, reißt große Teil der Backline samt Voodoodrums ein, dreht etzt so richtig auf. Später legt er sich dann live on TV auf die Bühne und spielt mit Bauklötzchen.

Wäre Phillip Boa später zu einem richtigen Popstar geworden: Man würde sich heute noch an diesen „Skandal“ erinnern. Publicity hat dem Mann, der sich für ein paar Jahre bei Konzerten beim Kosenamen „Arschloch“ rufen lässt, die unselige „Off Beat Night“ auf jeden Fall gebracht. Fehlende Publicity war auch nie das Problem. Dennoch kam Boa nie ganz oben an. Und so hieß jener Song, den er 2003 auf seinem Album C.% veröffentlichte geschichtseeht

und grundehrlich dann auch „I’m An Ex 1/2 Popstar“.

Als sich Ernst Ulrich Figgen (Boa bürgerlich) 1984 mit seiner Freundin Heide Bohr (alias Pia Lund) zurückzieht, um im Homerecordingverfahren seine eigene Vorstellung von Musik zu verwirklichen, ist nicht nur das Startum kein Thema: Selbst der Pop ist noch keines.

„Das klang wie die Residents“, erzählt Boa. „Andere Bands gehen in den Proberaum und spielen Rockmusik. Bei uns war das anders, unschuldiger. Wir haben mit der Musik gespielt.“

Bandertahrung hat er zuvor schon gesammelt, z. B. bei Erste weibliche Fleischereigesellin nach 1945, einer spät auf den NDW-Zug aufgesprungenen Gruppe: „Die waren älter als ich, teilweise viel älter.“ Dort kommt der autodidaktisch agierende Gitarrist nicht nur zu der Erkenntnis, dass sich sein (künstlerisches) Ego nicht in demokratische Strukturen pressen lässt. Er holt sich als Zaungast auch gleich eine blutige Nase im Umgang mit der Plattenindustrie. Der Band ist es nämlich gelungen, einen Vertrag bei einem Major zu ergattern: „Ich habe mir die ganzen Versprechungen mit angehört, bevor die erste Single und das Album rauskamen — und ich habe die Reaktion dann nach dem Flop mitbekommen. Da hatte ich das Spiel schon verstanden.“

Von Gruppendynamik und Plattenindustrie (vorerst) geheilt, stürzt er sich in Experimente, die einen freieren, zugleich internationalen Ansatz verfolgen. Mit Songs für eine erste EP wird er bei einem Mini-Label vorstellig: Ja! Music. Boa: „Ich saß da 1984 bei denen, hatte dieses Demo und eine unheimlich große Klappe, gerade weil mir alle gesagt haben: ,Das kann man nicht verkaufen!“ Irrtum: In der ersten Auflage gehen von der EP „Most Boring World“ 500 Exemplare weg, 300 werden nachgepresst. Sogar John Peel spielt sie vor. „Aber das kam bei den Bands aus Deutschland damals oft vor – die obskuren Bands hat er ja auch immer gefördert.“

Das erste Album PHILISTER (1985) – schrill, laut, aber auch schon markiert von Boas Liebe und Talent für Refrains – landet auf Platz eins der Independent-Charts. Boa erkennt die Möglichkeiten, die sich im Vakuum der schockerstarrten Post-NDW-Szene ergeben. Fürs zweite Album ARISTOCRACIE gründen er und Pia ein eigenes Indie-Label: Constrictor, bei dem auch die Platten anderer Bands, vor allem aus Großbritannien, erscheinen. Als Phillip Boa & The Voodooclub es 1986 zu einem Vertrag mit dem Label Red Flame auf der Insel bringen, „wurde alles viel leichter“. Über diese Gruppe mit dem exotischen Namen, die es in „England geschafft hat“, will jeder berichten, lesen, senden, hören. Und tatsächlich wird auch die britische Presse, in den auslaufenden 80ern nicht gerade vollbeschäftigt mit der Beobachtung der eigenen, eher müden Szene, aufmerksam. Die Dortmunder bekommen Reviews, Konzerte werden euphorisch besprochen. Bis heute sind Phillip Boa & The Voodooclub der deutsche Act mit den meisten „Single Of The Week“-Auszeichnungen in britischen Magazinen. Boa hegt den Traum, von der Musik leben zu können. Dafür muss er zu einem verhassten Major. Bald macht das Gerücht die Runde, dass der Voodooclub „nicht unter 350.000 Mark“

zu bekommen ist. Eine Finte. Boa lernt Tim Renner kennen, A&R-Manager bei Polydor: “ Er kam eigentlich aus der selben Szene. Und damals war er auch nicht so businessmäßig drauf wie später…“ Renner will Boa. Und Boa seinen Traumjob. Er unterschreibt. Die Independentszene schimpft ihn einen Verräter.

“ / just wanna play with fire / I just wanna annoy someone!“

lautet seine Antwort, in den Textzeilen seiner ersten Single, die Boa bei Polydor veröffentlicht: „Kill Your Ideals“. Eine wütende Punkrockhymne. Der Voodooclub nimmt für Polydor weitere wilde, abenteuerliche, seltsame Musik auf. Doch auch der immer größere Popappeal ist nicht zu überhören. Eines Tages sitzt Boa im Restaurant, als jemand den Refrain seines (halben) Hits „Container Love“ pfeift. Leute erkennen ihn auf der Straße. Das gefällt ihm nicht. Er und Renner tun zwar ihre Überzeugung kund, dass Musik wie die seine Pophörer zu Pophövern mit höheren Ansprüchen erziehen könnte. Doch bleiben fast überall nur die zwei, drei Refrains hängen, die auch im Mainstreamradio laufen. Boa kämpft nun an zwei Fronten: Es soll erfolgreich sein, klar, zu seinen Bedingungen… Gleichzeitig weiß er, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihn der Backlash ereilt. Deshalb schlägt er Haken, nicht nur musikalisch. Er provoziert in Anzeigen und Interviews: “ Was ist das für eine Welt, in der die Kinder die Musik ihrer Eltern hören?!“ Er produziert Schlagzeilen. Boa, nicht nur ein echter Egozentriker, sondern auch gelehriger Schüler der Popkultur, hat seinen Malcolm McLaren studiert. Den Vogel schießt er ab, als er vor Veröffentlichtung seines erfolgreichsten Albums BOAPHENIA (1993) in einem Offenen (betrunken geschriebenen) Brief seinen Abschied von Deutschland Richtung Malta inszeniert: “ Da standen Dinge drin, bei denen man sich nur an den Kopf fassen konnte“ erzählt er: „Sowas wie ,Die deutsche Musikszene wird sehen, was ohne mich übrig bleibt.'“

Das ist nicht mehr zu steigern. Phillip Boa & The Voodooclub landen mit „Love On Säle“ noch ihren größten Hit, danach muss auch Phillip Boa zur Tagesordnung übergehen. Raus aus den Schlagzeilen, rein in den Beruf Popmusiker. „Love On Sale“ klettert bis auf Platz 43 der Charts. Mehr Popstar kann er gar nicht. Und will er auch nicht.

www.philipboa.de