Haindling
Seit der Buchner Hans-Jürgen mit seiner bayrischen Kleinkunst Einzug in die preußischen Hitparaden hielt, droht das Dörfchen Haindling endgültig zum Wallfahrtsort zu werden. Dabei kann der prominente Dorfbewohner auf Popularität eigentlich ganz gut pfeifen: In seinem Heimstudio und der Töpferwerkstatt hat er absolut alles, was er zum Leben braucht. Kurz bevor Buchner und seine Muse Ulli die Türen ihrer ländlichen Idylle endgültig vor dem Medienrummel verschlossen, luden sie ME/Sounds zu einem "allerletzten" Besuch nach Haindling ein.
An Hans Jürgen Buchner, Keramikermeister und Schlagersänger“ steht in schnörkeliger Pelikano-Jungmädchenschrift auf dem Briefumschlag. Fanpost nach Haindling, ein 100-Seelen Dorf in Niederbayern. Zusammen mit Muse, Lebensgefährtin und Arbeitskollegin Ulrike Böglmüller, wohnt und töpfert Buchner im ehemaligen Dorfgasthof. Und er macht Musik, die so heißt wie der Ort, in dem er lebt.
Hans Jürgen Buchner macht Volksmusik. Obwohl (oder gerade weil) man dieses Wort heute nicht mehr in den Mund nehmen kann, ohne daß alle Oberkrainer- und Maria Hellwig-Geschädigten gleich schreiend das Weite suchen, gibt es kein treffenderes. Buchner – um das gleich klarzustellen – macht Volksmusik 1984, also richtig mit Schlagzeug, Keyboards, Baß und Gebläse.
Und (außer live natürlich) ganz allein. „Ich bin von dem Wahn besessen, daß meine Platten mein Ejakulat sind – bis auf Baß und Schlagzeug und vielleicht mal bei einem Stück Trompete oder so. Aber normalerweise möcht ich meine Nummern selber spielen, weil ich glaub, wenn ich nicht die zwei Saxophone miteinander spiel und die Tuba und Tenorhorn und das Klavier, dann ist das nicht Haindling. Entweder du malst ein Bild allein, oder du fragst deine Lehrlinge oder Mitarbeiter, was sie dazu meinen. Dann sagen die: ,Da muß noch ein Strich hin und dann find ich, daß das Blau zu kräftig ist…‘ und schon ist es nicht mehr dein Bild.
Nur so ist Haindling entstanden: Die Platten, die mach ich für mich.“
Aber erst ab eins, halb zwei mittags, denn „vorher steh ich nicht auf, egal, ob ich am Abend um elf oder um sieben in der Früh zu Bett gegangen bin“.
Weit hat er es eh nicht zur Musik: Im großen Schlafzimmer stehen rund um das herrliche lila Himmelbett auch noch Tasten- und Blasinstrumente aller Art, ein Schlagzeug, Recorder, alles, was man so braucht. Hier filtert Buchner aus stundenlangen Aufnahmen die besten Ideen (das Wort „basteln“ mag er gar nicht), hier entstehen Haindlings Musik und Texte.
„Ich seh nicht nur meine Musik, sondern mich und mein ganzes Leben. Und da seh ich die Keramik, da seh ich, daß ich Masken mach, daß ich schreib, daß ich spinn, daß ich mit der Ulli zusammen Sachen entwerf – also, ich seh das als Gesamtkunstwerk. Mein ganzes Leben ist Kunst.“
Und Kunst, was ist Kunst?
„Kunst ist auf jeden Fall was Besseres als Hubert Kah.“
Kommerzialität um der Kommerzialität willen ist sicher das Letzte, was man Buchner vorwerfen könnte. Auch wenn manchem (schon gar bayerischen) Haindling-Hörer dessen zweites Album – und besonders die Single „Lang scho nimma g’sehn“ – genau das war: zu kommerziell nämlich, nicht verschroben genug, zu seicht.
„Lang scho nimmer g seh’n‘ ist kommerzieller, weil der Text vielleicht nicht mehr so frechhinterfotzig und unergründlichzwiedeutig ist wie bei den meisten Stücken – sondern weil er eindeutig ist und praktisch ein richtig deutsches Lied, für jeden nachsingbar. Vom Hamburger kann das genauso verstanden werden wie vom Österreicher.“
Nur daß der Hamburger oder der Österreicher heute ein gestörtes Verhältnis zur Volksmusik und zum deutschen Schlager hat und erst langsam wieder Zugang zu derlei Musik findet.
„Aber wenn die Engländer auf ,I Love You ausflippen, dann können wir Deutsche das doch auch auf ,ich liebe dich‘ tun.“
Ulrike: „Warum sollst du dich nicht mit dem beschäftigen, was dich umgibt. Da kannst du mitmischen, da kannst du was machen und da kannst du was mit Musik machen.“
Das klingt nach „Message“, Systemveränderung und kritischem Heimat-Liedgut, ist aber gar nicht so gemeint. Buchner ist nicht der zurückgezogene Gesellschaftskritiker im finstren Wald, sondern (ganz einfach) Dichter und Denker. Und Musiker und Sänger („ich sing nicht, sondern ich drück mich aus, ich schrei … und wein vielleicht manchmal… „So wie ein Achternbusch Filme macht, macht der Buchner Musik. Beide gelten sie als „leicht spinnert“ und „unbequem“, beide machen sie es ihrem Publikum nicht unbedingt leicht.
Haindling live, zum Beispiel: „Wenn ich im Konzert eine rockige Nummer spiele – und die Leute grad voll drin sind im Tanzen, war’s natürlich taktisch besser, daß ich dann die nächste wieder rockig mache … Da bring halt ich einen Walzer, wie der einfach dazugehört, dea g’hert do eini! Ich tu das Publikum ein bissel massakrieren, indem ich’s nicht so ablaufen laß wie normal.“
Das macht ihm Spaß, mitunter diebisches Vergnügen. Bei Konzerten wartet er nur drauf, daß ihm irgendwer aus dem Publikum etwas zuruft, „dann kann ich einsteigen, dann ergibt sich was“. Buchner will keine herkömmlichen Konzerte, Haindling ist „neu, lustiger, entspannender und vielleicht denkt man am nächsten Tag noch länger dran, als wenn man sich nur rhythmisch bedröhnen läßt und momentan gut drauf ist.“
Er baut auf die Langzeitwirkung, drum stören ihn auch die Kommerzialitäts-Vorwürfe eher weniger; bedeuten sie doch nur, daß ihm da offenbar eine Platte passiert ist, durch die mehr Leute Zugang zu seiner Musik finden. Denn: Wie das nächste Album klingen wird, weiß ja heut noch keiner. Und „mit den Leuten, die Haindling irgendwann mal liebgewonnen haben, kann ich weiterarbeiten. „
Wenn er dazu kommt, der Buchner Jürgen. Vor anderthalb Jahren hat er in diesem Blatt noch verkündet, daß er es für unnötige Zeitverschwendung hält, alte Lieder einzuüben, „denn in derzeit kann man was Neues machen“.
Heute muß er zugeben: „Ich hab noch nie so wenig Musik gemacht wie seit ich im Musik-Business bih. Im Dezember war die Platte fertig – und bis jetzt hab ich überhaupt noch nichts gemacht, außer Gigs spielen. Ich komm praktisch nicht mehr zum Musizieren. „
Und dann ist auch der Keramikermeister Buchner noch gefragt; der Träger des Bayerischen Staatspreises kann über Mangel an Aufträgen aus ganz Deutschland nicht klagen, schließlich haben Hans Jürgen Buchner und Ulrike Böglmüller einen „exzellent guten Geschmack“ und sind dem Rest der Republik damit immer „ungefähr ein halbes Jahr voraus“ – nur „als Geschäftsleute zu phlegmatisch“, um daraus das große Kapital zu schlagen.
Wozu auch? Buchner hat keine großen Wünsche „ich hab alles“. Luxus, Zerstreuungen und das Konsumgetriebe der Großstadt können ihm gestohlen bleiben (ebenso wie die merkwürdigen Reporter noch merkwürdigerer Blätter, die ihn ihren Lesern als liebenswürdigen Exoten verkaufen und damit letzlich nur dafür sorgen, daß auch die letzten Ortsschilder von Haindling geklaut werden). Buchner hat alles, was er braucht, da, wo er lebt. Und wo sonst gibt’s das noch, daß der nächste Wirt (in Geiselhöring) seinen Laden zusperrt, wenn der einzige ortsansässige Rockmusiker ein Konzert gibt?
„Pizzeria Gardasee heute geschlossen wegen Besuch des Haindlings-Konzerts in Straubing“ steht dann in der Zeitung.
Musik aus einem Dorf, wo jeder jeden kennt und Traktoren das häufigste Verkehrsmittel sind, muß zwangsläufig anders klingen als Musik aus München, Frankfurt, Köln, Hannover, Hamburg oder Berlin. Buchner muß in Haindling niemanden übertönen, muß nicht lauter, schneller, schriller sein als die anderen – weil’s gar keine anderen gibt. Der künstlerische Einzelkämpfer betreibt ungestört Selbstbesinnung.
Weltfremde Idylle in Niederbayern? Keineswegs. Buchner ist sich sicher, daß es so, wies geht, nicht weitergeht: „Es muß eine Revolution kommen, aber die läuft nicht mehr so ab wie früher, daß einer zum Gewehr greift und dann geschlossen die ganze Bauernschaft gegen die Staatsoberhäupter losgeht.
Revolution läuft so ab, daß einfach keiner mehr mag, daß jeder sagt: ‚Du, leck mich am Arsch, ich arbeit nimmer, für was soll ich meine Miete noch zahlen, für was die Abzahlung für mein g’schissenes Häusl, das ich mir gebaut hab und für das ich seit 20 Jahren zahl und immer mehr zahlen muß, weil’s so teuer geworden ist.‘ Die Revolution ist einfach, daß die Leute nicht mehr mögen. Und dann bricht’s zusammen, dann funktioniert zum ersten Mal überhaupt nichts mehr.“
Obacht, es war nicht das erste Mal, daß der Buchner Jürgen was vorher weiß!